Eichstätt
"Ein Geben und Nehmen"

Gottstein und Bulling-Schröter: Zwei Politikerinnen arbeiten in sozialen Einrichtungen mit

20.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:31 Uhr

Passt doch und chic ist es auch, scheint Landtagsabgeordnete Eva Gottstein zu signalisieren. Jedenfalls sind Winterjacken begehrt in der Kleiderkammer der Caritas. Wind und Wetter beginnen den Flüchtlingen gerade in diesen Tagen einen ersten Eindruck vom deutschen Winter zu vermitteln. - Fotos: Hoh

Eichstätt (EK) In Bergen von Kleidern zu wühlen oder sich den Kopf über die Hausaufgaben von Sechstklässlern zu zerbrechen gehört eigentlich nicht zum Tagesgeschäft von Politikern. Durch das Projekt „Rollentausch“ haben sie aber die Gelegenheit, einen Blick in den Alltag von Sozialarbeitern zu werfen.

Hinter dem Tresen der Kleiderkammer der Eichstätter Caritas sitzt Landtagsabgeordnete Eva Gottstein (Freie Wähler) auf einem Stuhl: „Ich bin jetzt schon fix und fertig“, schnauft sie. Seit einer Stunde unterstützt sie die Mitarbeiterinnen der Kleiderkammer: Sie sortiert ein, führt das Register und berät die Kunden in Stil- und Größenfragen.

Einige Kilometer weiter, im Kinderdorf Marienstein, rauchen die Köpfe. „Ich war so gut in Algebra, aber irgendwie vergisst man vieles“, stöhnt Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter (Die Linke). Sie und der zwölfjährige Samuel aus der Gruppe Regenbogen brüten gemeinsam über den Mathehausaufgaben.

Die beiden Abgeordneten, die sich normalerweise auf dem politischen Parkett in Berlin und München sicher bewegen, geraten in den sozialen Einrichtungen, wo sie zu Gast sind, hin und wieder ins Straucheln. „Rollentausch“ heißt das Projekt, das Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kirche für einen Tag den Alltag in sozialen Einrichtungen erleben lässt. Bereits vor neun Jahren initiierte es der Landesverband Bayern der Freien Wohlfahrtspflege; der Termin wird seither bestens angenommen. Ziel ist es, vor allem Politiker jenseits ihres Tagesgeschäfts mit der Realität in der Sozialarbeit zu konfrontieren.

Gerhard Bauer, Leiter der Eichstätter Kreisstelle der Caritas, spricht von einer „Kluft zwischen dem, was in der sozialen Arbeit passiert und dem, was Politiker wahrnehmen“. Eben jene Kluft gelte es durch das Projekt zu verringern. Ein „Geben und Nehmen“ nennt Bauer den Besuch: Zum einen biete er den Politikern die Gelegenheit, einen Eindruck vom Alltag in der Einrichtung zu bekommen, zum anderen hätten er und seine Mitarbeiter die Gelegenheit, auf Missstände aufmerksam zu machen oder Wünsche an den Besucher heranzutragen. In der Kleiderkammer herrschen reges Treiben, Gewusel und ein Stimmengewirr aus einem Kauderwelsch mehrerer Sprachen. Das lässt den Stresspegel bald in die Höhe schnellen. Deshalb, erklärt Gottstein, möchte sie mit ihrem Besuch auch unbedingt ihre Wertschätzung ausdrücken, denn „der Gang draußen ist einfach immer voll und die Damen immer freundlich“, erklärt sie. Ihre Entscheidung, im Rahmen des Rollentauschs ausgerechnet die Kleiderkammer zu besuchen, sei gefallen, als sie hier kürzlich selbst Kleidung abgegeben habe, berichtet sie. Da sei ihr schnell klar geworden, dass es sinnvoll sei, dieses Treiben auch einmal von der anderen Seite zu erleben.

Einen Mangel konnte Gottstein schon nach kurzer Zeit feststellen: Es gibt viel zu wenig Platz. Die Kleiderstapel kitzeln bereits die Decke und immer wieder müssen Ecken und Winkel zu Umkleidekabinen umfunktioniert werden, um die Schlange auf dem Gang schneller abfertigen zu können. Damit hat Gottstein auch tatsächlich das größte Anliegen der Mitarbeiterinnen erkannt: mehr Platz.

In Marienstein rutscht Samuel ungeduldig auf seinem Stuhl herum. Er möchte endlich nach draußen und Fußball spielen. Doch vorher muss er seine Hausaufgaben erledigen: Bruchrechnen. Nicht gerade seine Stärke und auch nicht seine Leidenschaft, seufzt er. Sein Leid teilt heute Eva Bulling-Schröter. Sie besinnt sich auf ihre Schulzeit und gemeinsam lösen sie die Aufgaben. Der Alltag hier verläuft sehr strukturiert, erklärt Gruppenleiterin Ingrid Karl und sie ist sehr zufrieden. Die einzige Bitte, die sie an den Besuch heranträgt: Die Finanzierung muss weiter so bestehen bleiben, damit jedes Kind auch in Zukunft entsprechend seiner Fähigkeiten und Bedürfnisse gefördert werden kann. Damit rennt sie bei Bulling-Schröter offene Türen ein. Seit Jahren stehe sie in regem Austausch mit dem Kinderdorf, das ihr immer wieder zeige, wie gut Kinder gefördert werden können und das „darf nicht am Geldbeutel scheitern“, betont die Abgeordnete.

Plötzlich lugt ein trauriges Gesicht um die Ecke. Der Bub hat ein ganz besonderes Anliegen an die Politikerin: Einer der drei Hasen des Kinderdorfs hat sich den Hinterlauf gebrochen. 350 Euro soll die Operation kosten und nun sind alle im Kinderdorf aufgerufen, sich mit einer Spende zu beteiligen. Klarer Fall, dass auch Bulling-Schröter etwas in die Spendenbox werfen wird. Die Kinder strahlen. Für sie hat sich der Besucher der Abgeordneten auf jeden Fall ausgezahlt.