Eichstätt
Der letzte Zeitzeuge

In London ist John B. Dixon im Alter von 94 Jahren gestorben – Er war von 1942 bis 1945 in Eichstätt gefangen

02.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:05 Uhr

John B. Dixon bei seinem letzten Besuch im Jahr 2008 in Eichstätt. - Foto: Richard Waterhouse

Eichstätt/London (aur) Er war vermutlich der letzte noch lebende Zeitzeuge; der Letzte, der während des Zweiten Weltkriegs im Offiziers-Kriegsgefangenenlager in Eichstätt interniert gewesen war: Jetzt ist John B. Dixon in seiner Heimatstadt London im Alter von 94 Jahren verstorben.

Das erfuhr der pensionierte Eichstätter Polizeibeamte Helmut Reis durch einen Brief von Dixons Nichte. Darin schreibt die Nichte: „Er sprach immer wieder von Eichstätt.“

Reis hat über die Geschichte des ehemaligen Gefangenenlagers mit dem Namen Oflag VII B, das heutige Gelände der Bereitschaftspolizei, umfassend geforscht und hielt seit Jahrzehnten Kontakt zu den Männern, die hier während des Krieges eingesperrt waren. Immer wieder waren ehemalige Gefangene zu einem Besuch nach Eichstätt zurückgekehrt. Doch mit John B. Dixon verband ihn eine echte Freundschaft.

Die ehemalige Eichstätter Jägerkaserne war gleich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in ein Gefangenlager für Offiziere umgebaut worden. Im Herbst 1942 wurden die Briten hierher gebracht, darunter auch Dixon. Von 1942 bis zum Kriegsende im April 1945 waren in Eichstätt etwa 1200 Offiziere aus dem gesamten britischen Empire gefangen. Dixon war 1940 als 21-jähriger Oberleutnant in Dünkirchen in deutsche Gefangenschaft geraten war. Der Gefangene mit der Nummer 767, ein waschechter Londoner, gehörte damals unter den gefangenen Offizieren zu den jüngsten.

In Eichstätt versuchte Dixon aus der Situation das beste zu machen: Arbeiten mussten die Offiziere gemäß der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht, also versuchten sie sich in verschiedensten Freizeitbeschäftigungen. Spielten Theater (Dixon war zum Beispiel im Shakespeare-Stück Hamlet die „Ophelia“), lernten Fremdsprachen und musizierten – alles auf sehr hohem Niveau. Der weltberühmte Komponist Benjamin Britten, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, schrieb von England aus speziell für seine kriegsgefangenen Musiker-Freunde im Oflag VII B ein Werk für Männerchor, das nach Eichstätt geschmuggelt wurde und dort 1944 bei einem Konzert im Lager seine Uraufführung erlebte: „The Ballad of Little Musgrave and Lady Barnard“. Kurz vor Kriegsende wurden die Briten von ihren Bewachern von Eichstätt aus in einer dramatischen Aktion Richtung Süden getrieben – in Moosburg bei Freising wurden sie von den Amerikanern befreit.

John B. Dixon, ins Londoner Zivilleben zurückgekehrt, wurde erfolgreicher Versicherungsmanager. Er heiratete, die Ehe blieb allerdings kinderlos. So pflegte der reisefreudige Dixon, der sich als Kosmopolit fühlte, enge Kontakte zu seinen im ganzen ehemaligen Empire lebenden Neffen und Nichten. Und 1988 machte er erstmals eine Reise zurück in die Vergangenheit: nach Eichstätt. Er haderte nicht mit seiner missglückten Jugend – im Gegenteil: „Was er erlebt hatte, sah er immer als Bereicherung seines Lebens“, schildert Helmut Reis. Im Gespräch mit dem EICHSTÄTTER KURIER nannte Dixon es einmal einen Glücksfall, dass es ihn seinerzeit nach Eichstätt und nicht in eines der anderen Lager verschlagen habe: „I was lucky.“ Auf Deutsch, das er seit seiner Gefangenschaft beherrschte, meinte er damals: „Ich liebe Eichstätt. Das ist eine fantastische Stadt.“ Helmut Reis erinnert sich an den Satz: „Am liebsten würde ich mir in Eichstätt ein Haus kaufen.“

Insgesamt kam John Dixon wohl zehn Mal nach Eichstätt zurück, und Helmut Reis, sein neu gewonnener Freund aus dem Altmühltal, besuchte ihn mindestens ebenso oft in London, in seiner großzügigen Wohnung im Stadtzentrum mit Blick auf Themse und Tower Bridge.

„Ich bin traurig“, sagte Helmut Reis, als er erfuhr, dass John B. Dixon am 24. Mai in einer Londoner Klinik gestorben sei. „ Das ist nun irgendwie auch das Ende einer Ära.“