Eichstätt
88,5 Prozent Wahlbeteiligung

27. Januar 1946: Erster freier und geheimer Urnengang nach Diktatur und Krieg

14.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:57 Uhr

Romuald Blei (links) stand von 1945 bis 1948 und von 1949 bis 1951 an der Spitze der Stadt, Otto Betz war Eichstätter Bürgermeister von 1919 bis 1934 und Landrat von Eichstätt 1945 (wiedergewählt 1946) bis 1948. - Fotos: Historischer Verein/je

Eichstätt (EK) Nach Diktatur und Krieg fanden am 27. Januar 1946 die ersten freien, demokratischen und geheimen Kommunalwahlen nach rund zwei Jahrzehnten statt. In Eichstätt waren 4178 Bürger wahlberechtigt, von denen 3701 an der Abstimmung teilnahmen.

17 193 Frauen und Männer konnten sich an der Wahl zum Kreistag beteiligen, 13 342 machten von ihrem Recht Gebrauch. Mit 88,5 beziehungsweise 77,6 Prozent war die Wahlbeteiligung im Vergleich zu heute hoch.

Der Wille, zu den Stimmlokalen zu gehen, wurde 1946 allerdings arg strapaziert. Insgesamt standen vier Urnengänge an. Für den 27. Januar hatte die amerikanische Militärregierung Gemeindewahlen angesetzt; die ehrenamtlichen Gemeinderäte waren zu bestimmen. Ferner wurden in Kommunen bis zu 3000 Einwohnern die Bürgermeister gewählt. In größeren Orten nahm der Gemeinderat die Bürgermeisterwahl vor.

ANNO DAZUMAL

Die nächste Abstimmung war die Kreistagswahl am 29. April 1946. Dabei wurde aber nicht über den Landrat abgestimmt. Dieser wurde bei der konstituierenden Sitzung am 17. Juni durch den Kreistag eingesetzt und hieß Otto Betz.

Am 30. Juni bestand die Möglichkeit zur Teilnahme an der „Verfassungsgebenden Versammlung“. Bayernweit, wie auch in Stadt und Landkreis Eichstätt, lag hier die Christlich-Soziale Union (CSU) an der Spitze. 2450 Eichstätter votierten für diese Partei, 750 für die Sozialdemokratische Partei (SPD), 73 für die Kommunistische Partei (KPD), 33 für die Freie Demokratische Partei (FDP) und 325 für die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV). Am 1. Dezember 1946 schließlich wurde über die Verfassung und den Landtag befunden.

Zu einer Kontroverse war es in Bayern wegen des Stimmrechts der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen gekommen. Die Militärregierung sprach ein Machtwort und bestimmte, dass jeder Deutsche, der die deutsche Staatsbürgerschaft vor 1939 besessen und sie nicht abgelegt hatte, das Wahlrecht besitzt. Voraussetzung war, dass er sich ein Jahr in Bayern aufhielt und als „politisch einwandfrei“ eingestuft wurde.

Als erster ehrenamtlicher Bürgermeister von Eichstätt in der Nachkriegszeit war bereits am 9. Mai 1945 Romuald Blei von den Amerikanern eingesetzt worden. Er stammte aus Waal bei Buchlohe, war am 13. November 1882 geboren, besuchte das Kemptener Gymnasium und studierte Landwirtschaft. Den Zweiten Weltkrieg machte er an der Westfront mit, zuletzt als Hauptmann. Von 1929 bis 1953 war Romuald Blei Leiter der Eichstätter Baywa-Filiale. „Die Bürger schätzten seine Charakterfestigkeit und Hilfsbereitschaft“, schrieb Dompropst Joseph Rieder in einem Nachruf zum Tod des Stadtoberhaupts am 19. März 1976.

Blei schied 1948 aus; für ihn kam Richard Jaeger. Anlässlich der Wiedererlangung der Kreisfreiheit im November 1949 verlieh die Stadt Romuald Blei aus Dankbarkeit die Ehrenbürgerwürde. Als Jaeger kurz darauf zum Bundestagsabgeordneten gewählt wurde, musste Romuald Blei erneut antreten, als ehrenamtlicher Oberbürgermeister und Oberverwalter der Baywa zugleich. Diese Doppelbelastung führte dazu, dass er am 1. Oktober 1951 das Amt aufgab. Sein Nachfolger wurde Hans Hutter.

Am 8. Februar 1968 ist Landrat und Gutsbesitzer von Sperberslohe, Otto Betz, im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war gebürtiger Eichstätter, besuchte das Humanistische Gymnasium, studierte in München Rechtswissenschaft und kam nach dem Dienst an verschiedenen Stellen an das Bayerische Innenministerium. 1919 wurde er unter 23 Bewerbern als Bürgermeister von Eichstätt ausgewählt und behielt das Amt bis 1934. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er zum Landrat bestimmt, am 17. Juni 1946 erfolgte durch den Kreistag seine Wiederwahl; 1948 endete seine Dienstzeit. Otto Betz wurde zum Ehrenbürger von Eichstätt und Workerszell ernannt. Sein Nachfolger wurde Landrat Hans Pappenberger.

Im ersten Nachkriegskreistag von Eichstätt hatte die CSU 27 Sitze, die SPD sechs, die KPD keinen, die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV) ein Mandat. Für das Wohl der Stadt Eichstätt und der Gemeinden waren die Kommunalwahlen vom 27. Januar 1946 entscheidend. Damals wurden die Bürgermeister bestimmt, die über viele Jahre die Geschicke lenkten. In der Kreisstadt wurde über die Zusammensetzung des Stadtrats unter Leitung von Bürgermeister Romuald Blei abgestimmt. Am aufschlussreichsten ist dabei ein Blick auf die Resultate der ersten Stadtratssitzung am 23. Februar 1946. Blei forderte die Räte „zu Entscheidungen in wahrem demokratischen Geist zum Wohl der Stadt und der Bevölkerung“ auf. Anschließend wurde er von den Stadträten wiedergewählt; für ihn rückte Adolf Daiminger in den Rat nach. Stellvertretender Bürgermeister wurde Alois Weinzierl, Referent für das Krankenhaus Magnus Niklaus, für das Heilig-Geist-Spital Johann Schellkopf, für das Städtische Altersheim Lorenz Kölbl, für den Städtischen Friedhof und den Schlachthof Josef Waldmüller (alle CSU), Referenten für die Technischen Betriebe wurden Eugen Feser und August Hammerl (beide SPD).

Eine weitere Abstimmung im Jahr 1946 war die Wahl der Abgeordneten zur Verfassunggebenden Versammlung in Bayern am 30. Juni. Auch hier verbuchte die CSU deutlich die Mehrheit der Wählerstimmen. Ein paar Beispiele. Eichstätt: CSU 2521 Stimmen, SPD 749, KPD 73, FDP 33, WAV 328 Stimmen. Kipfenberg: CSU 215, SPD 58, KPD 17, FDP 3, WAV 27. Konstein: CSU 115, SPD 113, KPD 13, FDP 1, WAV 3. Nassenfels: CSU 117, SPD 16, KPD 2, FDP 0, WAV 10.

In welcher schlimmen Notzeit die Wahlen im Jahr 1946 angesetzt waren, zeigt das Studium der Anzeigen in der Heimatzeitung, damals der DONAUKURIER mit Eichstätter Lokalteil. Da wurden etwa ein „gut erhaltenes Herrenfahrrad“ im Tausch für eine Nähmaschine angeboten oder Herrenschuhe, Größe 40, gegen eine Briefmarkensammlung offeriert. Ein Brautkleid konnte für ein Straßenkleid eingetauscht werden, und 3,30 Meter Wollstoff wurden für einen hellen Herrenanzug hergegeben.

Vor allem aber fallen die Anzeigen auf, in denen von verzweifelten Angehörigen bei Kriegskameraden nach dem Verbleib von vermissten Soldaten geforscht wurde.