"Da braucht es keinen lieben Gott, der Knöpfe drückt"

24.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Die Schmetterlingssammlungen begeistern den Regens mit ihrer Vielfalt und Farbenpracht.

Eichstätt (HK) Das bischöfliche Priesterseminar ist Träger des naturwissenschaftlichen Jura-Museums – das wirkt gerade im aktuellen Darwin-Jahr auf den ersten Blick unvereinbar. Redakteurin Eva Chloupek sprach darüber mit Regens Josef Gehr, dem Leiter des Seminars.

Naturwissenschaftliche Sammlungen in kirchlicher Trägerschaft – das ist wirklich außergewöhnlich. Wie kam es dazu?

Gehr: Das rührt von der Geschichte des Bischöflichen Seminars als Ausbildungsstätte für Theologen her. Wir sind hier in Eichstätt seit 1614 sehr von den Jesuiten geprägt. Und es lag immer schon im jesuitischen Bildungsideal, Naturwissenschaft und Theologie in Einklang zu bringen, so dass eine umfassende Priesterausbildung ermöglicht wird, die die sehr geerdet und auf dem neuesten Stand der Dinge ist.

DARWIN-JAHR

Sie haben als Theologiestudent selbst noch diese naturwissenschaftliche Ausbildung durchlebt – und auch genossen?

Gehr: Ich war damals noch in der privilegierten Situation, einen sehr guten Professor gehabt zu haben, nämlich Professor Josef Behringer aus Ingolstadt. Sein Lehrstuhl hieß "Theologie und Grenzfragen" und war direkt am Seminar angesiedelt, der Unterrichtsraum ist heute noch in unserer physikalischen Sammlung zu begutachten – mit Vortragsraum. Ich hab damals bei ihm auch Informatik gehört – und Atomphysik.

Professor Behringer ging 1988 in den Ruhestand, sein Lehrstuhl am Seminar wurde nicht mehr besetzt. Wie gewährleisten Sie als Chef der Priesterausbildung heute den Kontakt der angehenden Priester zu Naturwissenschaft?

Gehr: Das ist heute leider nur noch in einem reduzierten Maße möglich. Wir bestellen immer wieder Gastdozenten zu diesen Themen. Da geht es dann um Fragen der Evolution, um Fragen der Zeit und auch Themen aus dem Bereich der Astronomie. Durch den Verlust des Lehrstuhls nach Behringer ist da aber etwas weggebrochen, was bis heute nicht mehr ersetzt worden ist.

Dennoch ist das Seminar nach wie vor Träger des Jura-Museums und Besitzer der umfangreichen Sammlungen. Wie wird das heutzutage von Ihnen genutzt?

Gehr: Ganz aktuell sind wir im Spezialprogramm der Kaplansausbildung derzeit mit 20 Kaplänen im Jura-Museum unterwegs und sehen uns die Sonderausstellung über Darwin und die Evolution an. Für Neulinge im Priesterseminar gehört es zu den Standardbesuchen, dass die Priesteramtskandidaten mit dem Subregens zum Jura-Museum hochgehen und dort mit den Exponaten und der Geschichte des Museums vertraut gemacht werden. Außerdem haben wir im Seminar selbst immer wieder Studientage zu naturwissenschaftlichen Themen und Grenzfragen.

Sie siedeln also die Evolution im Bereich der Grenzfragen an?

Gehr: Die würde ich dort ansiedeln, ja. Denn darin wird etwas ausgesagt über die Entstehung der Welt und die Entwicklung der Dinge. Dass damit gleichzeitig der biblische Schöpfungsglaube angesprochen ist, liegt auf der Hand.

Sie sehen aus theologischer Sicht jedoch keinen Widerspruch darin?

Gehr: Richtig, da gibt es keinen Widerspruch. Die Evolutionstheorie macht keine Aussage über den Ursprung und das Ziel der Dinge, sondern sie stellt fest, dass es eine Entwicklung gibt. Damit ist der biblische Schöpfungsglaube nicht ausgeklammert. Die Evolutionstheorie verneint nicht, dass es einen ewigen Ursprung geben kann und dass die Entwicklung zielgerichtet ist. Und das ist genau der springende Punkt beim Schöpfungsglauben. Wir glauben, dass es einen Schöpfergott gibt, der die Welt und die Menschen gewollt hat und dieser Schöpfung auch ein Ziel gegeben hat, nämlich einmal ganz bei ihm sein zu können. Im Glauben kommt es auf diese beiden Fixpunkte an: Auf den wirklichen Ursprung und das ewige Ziel.

Was zwischen diesen beiden Punkten an Evolution abläuft, ist also aus theologischer Sicht ohne weiteres so möglich, wie es Darwin herausgefunden hat.

Gehr: Richtig. Da braucht es dann auch nicht den "lieben Gott", der von außen eingreift und irgendwelche Knöpfe betätigt. Das Ganze ist so angelegt, dass es in den Rahmen ablaufen kann, den die Naturwissenschaft feststellt.

Und hier greift der Streitpunkt der Kreationisten, die die Bibel als historisches Buch sehen und die Schöpfungsgesichte darin wörtlich auslegen. Dem widersprechen Sie also entschieden?

Gehr: Aber mit Sicherheit! Man darf die heilige Schrift nicht wörtlich auslegen. Da spricht die moderne Schriftauslegung, die Exegese entschieden dagegen. Das wäre ja, wie wenn man die heilige Schrift als Steinbruch benutzt und Dinge herausbricht, die man so im Vergleich mit unserer Wirklichkeit und mit der Naturwissenschaft nicht darstellen kann.

Dennoch finden die Kreationisten in den letzten Jahren nicht nur in Amerika, sondern in Europa immer mehr Anhänger. Haben Sie im Seminar auch schon gelegentlich solche Strömungen feststellen müssen?

Gehr: Unter den Kandidaten sicher nicht. Die werden durch die theologische Ausbildung an der Fakultät mit den Ergebnissen der theologischen Wissenschaft und der Naturwissenschaft konfrontiert, so dass ein plumper Schöpfungsglaube, wie er von den Kreationisten dargestellt wird, gar nicht entstehen kann. Es geht bei der Ausbildung vielmehr darum, dass die Kompatibilität von christlichem Schöpfungsglauben und Evolution möglich ist und verdeutlich wird, wie man die christlich Schöpfungslehre und die Evolution im Rahmen des Glaubens und der menschlichen Vernunft vertreten kann.

Zurück zu den Sammlungen in Ihren Kellerräumen. Was geschieht ganz konkret damit?

Gehr: Was im Jura-Museum zu sehen ist, ist nur das Beste aus den Sammlungen. Darüber hinaus gibt es viele weitere Stücke, die von großem naturwissenschaftlichen Interesse sind. Und es wird kontinuierlich daran gearbeitet. Wir haben ein eigenes Zimmer für Gastwissenschaftler, die hier an verschiedenen Stücken forschen können.

Haben sie aus den Sammlungen ein persönliches Lieblingsstück?

Gehr: Ich muss zugeben, dass mir die Paläontologie nicht so leicht zugänglich ist wie die Botanik und die Biologie. Wir haben ja in der Sammlung wunderbare botanische und biologische Präparate – wunderbar, wenn man die herrlichen Schmetterlingssammlungen anschaut, die Käfer, oder auch die ausgestopften Vögel, die zum Teil auf die alte Leuchtenberg-Sammlung zurückgehen. Das ist eine wunderbare Vielfalt und eine Farbenpracht, die mich immer wieder begeistert.