Beilngries
Warten bis der Arzt kommt

Beim Blick in die Praxis des Beilngrieser Mediziners Matthias Bauer zeigt sich, was "Hausärztemangel" bedeutet

16.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:36 Uhr

Allgemeinmediziner mit Herz und Seele: Matthias Bauer hat sich vor zwei Jahren in Beilngries niedergelassen.

Beilngries (DK) Matthias Bauer hat Stress. Am Empfang unterschreibt er ein Rezept, Arzthelferin Jasmin braucht den Namen eines Neurologen, eine Patientin spricht den Arzt an und das Telefon klingelt. Alltag in der Praxis – über Stunden hinweg. Und mittendrin Patienten.

„Das wird noch schlimmer werden“, prophezeit der Allgemeinmediziner. Nachdem einige seiner Beilngrieser Kollegen in den Ruhestand getreten sind und auch im Umland etliche Praxen geschlossen haben, kann sich Matthias Bauer vor Patienten kaum mehr retten. Was ja einerseits gut ist, andererseits aber ein hohes Maß an Organisationstalent, zeitliches Engagement des Arztes und Geduld bei den Patienten voraussetzt.

Bestes Beispiel sei der erste Tag nach den Weihnachtsferien gewesen. Es habe über eine Stunde gedauert, ehe die Tür zur Praxis im Beilngrieser Medicenter das erste Mal zugefallen sei. Bis in den Flur hätten die Patienten gewartet. In drei Tagen haben der 40-jährige Mediziner und sein Team ungefähr so viele Patienten betreut wie im gesamten ersten Quartal der Praxiseröffnung am 1. Januar 2011: Das waren 498.

Mit 3700 Namen in der Kartei und durchschnittlich 1800 Scheinen im Quartal zählt die Praxis mittlerweile zu den 20 Prozent der größten in ganz Bayern. „Stolz und überrascht zugleich“, ist Bauer von dieser Entwicklung, die ihm aber auch einiges an Kraft abverlange. So liege sein „Feierabend-Rekord“ in der vergangenen Woche bei 22 Uhr, die anderen Tage waren nicht viel besser. „Für beschränkte Zeit geht das“, sagt der Arzt, der „nebenbei“ auch noch als Notarzt unterwegs ist, hofft aber auf Besserung.

Diese wird auch eintreten, ist das Stadtratsmitglied sicher. Und zwar dann, wenn alle neuen Patienten einmal „durchgelaufen“ seien und er einen genaueren Überblick über die Kartei gewinne. Dass es ausgerechnet nun so dick gekommen sei, liegt vor allem daran, dass einer der alteingesessenen Beilngrieser Ärzte in den Ruhestand getreten sei.

Allerdings sei dies nur ein weiterer Mosaikstein, denn die Schließungswelle im Umkreis – von Titting, Thalmässing über Kipfenberg und Greding – habe schon in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Kunden in die Praxis gespült. Auch Kinder, denn nach Aufgabe eines Facharztes stünden mehr und mehr Vorsorgeuntersuchungen von Jungen und Mädchen im Terminplan.

Neben Matthias Bauer kümmert sich mit Elvira Pantke-Stockmeier eine weitere Ärztin um die Kranken, im Frühjahr soll eine zusätzliche Kollegin für ein Dreivierteljahr aushelfen. Eine Stellenausschreibung, mit der der Vater zweier Mädchen im Alter von fünf und sieben Jahren schon seit Monaten einen Kollegen in Festanstellung sucht, brachte so gut wie keine Resonanz. Bauer nimmt diese Entwicklung mit Humor: „Scheinbar ist an dem Hausärztemangel am Land was dran.“

Wenn verlässliche Zahlen („schließlich gibt es ja auch eine betriebswirtschaftliche Seite“) vorliegen, will er allerdings noch einmal eine Initiative starten – und notfalls auch in Kliniken und Krankenhäusern Klinken putzen gehen.

Sein Personal meistere den Stress „bemerkenswert gut“. Nicht selten staune er über die stoische Ruhe, mit der sein fünfköpfiges Helferinnen-Team den Stress und die Anforderungen bewältige, lobt Bauer.

Auch, wenn er nicht viel von dem Trubel mitbekommt, der im Eingangsbereich „vorn am Tresen“ herrsche, weiß er doch um manch unfaire Attacke seinen Mitarbeiterinnen gegenüber. Auch von der Stimmung im Wartezimmer erfahre der vom Köschinger Krankenhaus nach Beilngries gewechselte Arzt mehr „hintenrum“.

Er beobachte, dass das Verständnis bei vielen wachse, „weil sie ja sehen, was hier los ist“. Die überregionale Schlagzeile vom Ärztemangel sei „nicht mehr weit weg und anonym“, sondern komme an der Basis an, schildert er seinen Eindruck. Neulich habe ihm, ein älterer Mann im Sprechzimmer gesagt, dass er im Grunde froh sei, dass er warten könne, „dann ist immerhin noch ein Arzt da“.

Bei seinen Patienten könne er indes nur auf Verständnis hoffen. Zwei, drei Stunden Wartezeit seien oft nicht vermeidbar, sagt der frühere Truppenarzt und erklärt an einem Beispiel, wie der Zeitplan – von Notfällen abgesehen – durcheinander gewirbelt werden kann. Ein neuer Patient wollte „nur schnell“ ein Rezept für seine Blutdrucktabletten, die er seit sechs Jahren nehme. Wann denn der Blutdruck das letzte Mal kontrolliert worden sei, fragt Bauer, als er den Mann sieht. „Na, vor sechs Jahren“, sagt dieser. Nach einem ausführlichen Gespräch, Messungen, Untersuchungen und Checks stellt sich heraus, dass der Mittfünfziger Diabetes und einen Gallenstein hat.

Derartiges koste zwar Zeit, entspreche aber seiner Einstellung. „Ich will immer mehr wissen und sehen“, sagt Bauer und vermittelt dadurch auch, warum er sich für ein „Hausarzt-Dasein“ entschieden hat.