Brunnen
Harter Arbeitsalltag am Bifang

Buddeln, graben, stechen - und viel Schweiß: Ein Besuch bei den Spargelstechern auf einem Acker bei Brunnen

05.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:18 Uhr
Ein weites Feld: 200 Meter ist ein Bifang lang, insgesamt 25 Reihen müssen die sechs Spargelernter durcharbeiten - zweimal an einem Tag. −Foto: Hausmann/ Doppler

Brunnen (DK) Die Spargelsaison ist in einigen Wochen wieder vorbei.

Noch landet Schrobenhausener Spargel aber auf den Tellern - mit Sauce hollandaise, Schinken oder wie es dem Gaumen eben beliebt. Doch bis er seinen Weg in die Küche findet, ist viel Kraftaufwand nötig. Wie sieht eigentlich die Arbeit auf dem Feld aus? Deshalb Ärmel hochgekrempelt und losgestochen - ein Besuch auf dem Spargelacker der Brüder Stefan und Mathias Doppler in Brunnen.

Wie eine Harke bohren Zeige- und Mittelfinger in die Erde, staubig bröckelt und rieselt sie auf die Schuhe. Die Trockenheit der vergangenen Tage macht sich bemerkbar. Weiter spüren - ist da etwas an der Spitze des Zeigefingers? Ein paar Zentimeter tiefer tasten. Jetzt stößt die Fingerspitze gegen ein Widerstand - aber es ist nur ein Stein. Weiter, tiefer bohren, die Finger verschwinden im Boden. Wie Sand graben sich die kleinen Körner durch den Handschuh unter die Fingernägel. Da! Heureka! Da lugt sie hervor, unschuldig, die weiße Spitze des Spargels. Jetzt kommt das Messer zum Einsatz, schabend löst es die Erde weiter ab. Die Hand winkelt das Messer ab, es sieht aus wie ein langes eisernes Schwert. Tief in den Spargel stechen, hebeln, ruckeln, ziehen. Er steckt immer noch zu fest. Nochmal stechen - aber vorsichtig - dann löst er sich aus der Erde.

Der erste eigen gestochene Spargel liegt auf den Handschuhen. Wir sind am Anfang vom Bifang, das Ende ist nicht zu sehen. Rund 200 Meter, die noch vor uns liegen. Gleich acht solcher Reihen muss ein Arbeiter hier an einem Tag schaffen. Ein Blick nach links und rechts, zu den Kollegen: Zu sechst schuften die Spargelstecher, Spargel um Spargel, Staude um Staude. Tief gebeugt hebeln sie routiniert Spargel aus dem Boden. "Immer auf die Häuschen achten", sagt Stefan Doppler. Häuschen, das sind feine Risse in der Erde, die sich schon ein wenig aufwölben. Sie sind kaum sichtbar, besonders für ein ungeschultes Auge. Doppler deutet auf den Bifang. Der Landwirt sticht selbst zu, seinen ersten Spargel hat er mit sieben aus dem Erdreich geholt. Zehn Spargel später - und mindestens doppelt so oft ins Leere gestochen - füllt sich die blaue Kiste auf dem Wägelchen mit den geraden weißen Stangen und holpert hinter dem Spargelstecher her. Der Rücken brennt, der Wind treibt die sandige Erde in die Augen. Es sind gerade mal knapp über 20 Grad, trotzdem fühlt sich die Sonne an, als würde sie durch die Kleidung brennen. Zwei Reihen weiter zieht ein Arbeiter sein T-Shirt aus. Kristof heißt er, erzählt er, seit elf Jahren kommt er immer für zwei Monate zur Spargelernte an den Hof der Brüder Doppler. "In Polen trage ich Pakete aus", sagt der 36-Jährige. Er redet langsam und bedacht. Deutsch hat er hier über die Jahre gelernt. Am Hof wohnt er in einen Wohnwagen, seinem eigenen kleinen Reich. Die anderen schlafen während der Spargelsaison in einem Zimmer. "Wir kochen dann jeden Abend zusammen", sagt er und lächelt leicht. Kommunizieren kann er mit seinen Kollegen aber nur über den Google-Übersetzer am Handy, zu unterschiedlich sind die verschiedenen Sprachen der Spargelernter.

Mittlerweile helfen nämlich fast nur noch Menschen aus Osteuropa auf dem Feld aus. Sie kommen wie Kristof aus Polen oder Rumänien. "Arbeiter aus Deutschland zu finden ist sehr schwierig geworden", erzählt Stefan Doppler. "Eine Zeit lang sollten Arbeitssuchende bei uns Spargel stechen, das hat aber nicht funktioniert. Nach ein paar Tagen kamen sie nicht mehr. " Die Arbeit? Zu anstrengend. Zu heiß. Und: Zu wenig Lohn.

Mit einem Schnipsen am Feuerzeug zündet sich Kristof eine Zigarette an schaut über die Felder. Die Spitze verglüht langsam, tief inhaliert er den Rauch. Es ist eine kleine Verschnaufpause von wenigen Augenblicken, bevor er wieder weitermacht. Die letzte Zigarette hat Kristof vor zehn Minuten geraucht. Keine Zeit mehr, der Bifang wartet. Gebeugt hängen wir über der Erde. Buddeln im Akkord, stechen synchron in die Erde - eine Fließbandarbeit in der Natur, die bisher keine Landwirtschaftsmaschine ersetzen kann. Das Messer sticht in den Spargel, es knackst leicht - es steckt in der Wurzel, dem sogenannten Rhizom. Fatal, denn die Staude darf man nicht verletzen. Neu angesetzt und mit Schwung die Stange ausgehebelt. Doch: Sie ist zu kurz. 22 Zentimeter, diese Länge wollen die Kunden auf dem Markt haben. Der nächste Stich muss besser werden. Mittlerweile arbeiten die Hände von selbst, der Geist wird nur noch zum Beobachter: Die Spargelkelle klaubt die zuvor herausgelöste Erde auf und lässt den Rest der Staude wieder unter der Erde verschwinden.

Bald fühlt sich der Rücken an, als würde er brechen. "Lieber in der Grätsche weitergehen, so ist der Weg zum Boden kürzer", rät Stefan Doppler. Er wirkt entspannt, genau wie seine Mitarbeiter. Immerhin sind wir seit zwei Stunden auf dem Feld, doch das ist ein Klacks für die professionellen Spargelstecher.

Die Augen sind zusammengekniffen, auf der Suche nach dem Häuschen. Ist das eine Spur, die der Regen hinterlassen hat, der Abdruck einer Hasenpfote oder trügt einfach nur die Sicht? Ein paar Meter weiter zieht Kristof genüsslich an der nächsten Zigarette. Wir tragen die Kisten auf die offene Ladefläche des Transporters. Bis zu 35 solcher Kisten füllen die Arbeiter täglich - dafür müssen die Spargelernter aber auch zweimal aufs Feld herausfahren, teilweise schon um 6.30 Uhr. Sonst verfärbt sich der Spargel, was wiederum den Preis senkt. Immerhin sieben Zentimeter kann eine Stange nämlich innerhalb von 24 Stunden wachsen.

Mit ruhigen Händen sortiert eine Feldarbeiterin die Stangen in den Kisten. Sie ist die einzige Frau im Team. Ihre schwarzen Haare schauen glänzend unter ihrer Kappe hervor. 31 Jahre ist sie alt, deutet sie mit den Fingern. Es ist ihre erste Saison hier - so viel kann man noch ohne Rumänischkenntnisse verstehen. Findet sie die Arbeit nicht anstrengend? Sie lacht herzlich. "Nein, nicht wirklich"- tippt sie in den Handy-Übersetzer. Ihre zwei Kinder sind in ihrer Heimat, während sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Spargel erntet. Warum ist sie hier? Sie nickt nachdenklich und zeigt die Übersetzung auf dem kleinen Smartphone-Bildschirm: "Wegen Geld. "

Gleich geht es im Transporter zurück an den Hof. Jeden Tag heißt es: rauf auf das Feld, buddeln, graben, stechen - bis zum 24. Juni, dem offiziellen Ende der Spargelsaison. Der Motor rattert los, ein Blick zurück auf den Acker: Kristof hat sich gerade die nächste Zigarette angezündet.

Anna Hausmann