München
Der Körper und das moderne Selbstporträt

Das Lenbachhaus in München zeigt im Kunstbau unter dem Titel "Body Check" Werke von Maria Lassnig und Martin Kippenberger

18.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:27 Uhr
Joachim Goetz
Ein Blick in die Ausstellung: Martin Kippenbergers Bild "Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald" von 1991. Oben von Maria Lassnig ein Gemälde ohne Titel von 1995-2009. −Foto: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln, Maria Lassnig Stiftung/Foundation

München (DK) Freunde waren sie nicht - und besonders interessiert haben sie sich füreinander offensichtlich auch nicht: Maria Lassnig und Martin Kippenberger, denen das Münchner Lenbachhaus unter dem Titel "Body Check" derzeit eine gemeinsame Ausstellung im Kunstbau unter dem Königsplatz widmet.

Obwohl sie voneinander wussten und Ende der 70er-Jahre in Berlin sogar in den gleichen Künstlerkreisen unterwegs waren, haben sie sich - nach heutigem Wissen - auch nie persönlich getroffen. Aber sie gerieten zur gleichen Zeit in den speziellen Fokus der Kunst-Öffentlichkeit. Was nicht so sehr verwundert. Schließlich haben beide - die von Veit Loers kuratierte Ausstellung stellt es eindrucksvoll zur Schau - den Körper, ihren eigenen, in den Mittelpunkt des Schaffens gestellt. Und sie widmeten sich damit der Misere des menschlichen Daseins.

Beide arbeiteten außerdem gegen den Mainstream der geometrischen Abstraktion, der Monochromie, der Konzeptkunst - und blieben hauptsächlich bei der Malerei, bei der Figuration, bei den modernen Selbstporträts. Freilich jeder auf seine Weise.

Maria Lassnig (1919-2014), fünfunddreißig Jahre älter als Kippenberger (1954-1997) und mehr als doppelt so alt geworden, schaffte jahrzehntelang humorvoll groteske und selbstironische Bilder, die auch feministisch zu deuten sind. Ihre unermüdliche Beobachtung des eigenen Körpers führt sie in ihren Zeichnungen fort.

Martin Kippenbergers Malerei und seine Installationen besitzen immer eine gesellschaftskritische Basis. Hintergründiger, ja abgründiger Humor werden mit den Jahren zum Ausdrucksmittel einer schmerzvollen, ja tragischen Welterfahrung, in der Rettung Utopie bleibt. Gutes Beispiel: Seine raumgreifende Installation "Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald" von 1991. Aufgegriffen wird das Motiv Wald, das seit der deutschen Romantik in allen Sparten der Kunst als Sehnsuchtsort, Idyll und Resonanzraum gleichermaßen gilt.

Alle eingesetzten Elemente haben Körperbezug - gekrümmte Laternen, gebeugte Baumstämme und überdimensionale Pillen so groß wie Sitzkissen, die dazwischen auf dem Boden liegen. Tabletten, die der an Leberkrebs gestorbene Künstler täglich schlucken musste.

Der Schüttelreim des Titels - im 19. Jahrhundert verwendete man so etwas gerne für vergnügliche Zweizeiler - beweist nicht nur Kippenbergers anarchischen Sarkasmus, sondern auch sein Faible für Sprachwitz. Einst wollte er sogar Literat werden. Auch Lassnig liebte Wortspiele wie Titel ihrer Werke - etwa "Nasenflucht in die Vasenschlucht" oder "Napoelon und Brigitte Bardot" - belegen. Auch sie überspitzte ihre Selbstbildnisse, präsentiert sich meist nackt, mitunter mit schmerzverzerrtem Gesicht. Und häufig in giftigen Farben. Später zerlegte sie den Körper sogar in kleinere Teile. Das Hirn quillt etwa aus dem Kopf.

Auch die Unterschiede werden klar. Während Kippenberger den Blick auf die Welt draußen und die auf den Menschen rückwirkenden absurden Abstrusitäten lenkt, veranschaulicht Lassnig mehr die Ergebnisse ihrer Selbstanalyse, ihrer inneren Stimme. Ihre Bilder illustrieren psychische Erfahrungen, Gefühlsbotschaften, die auch als Emanzipation in einer männlich dominierten Kunstwelt verstanden werden dürfen.

Selbst die beiden Porträts von Elfie Semotan offenbaren deutliche Unterschiede. Lassnig liegt mit nach vorn ausgestreckten Armen in Abwehrhaltung auf dem Boden ihres Ateliers. Kippenberger präsentiert sich - in der von ihm bekannten Macho-Attitüde - inmitten einer Taubenschar auf der Piazzetta di San Marco in Venedig: eine Taube auf dem Kopf, eine auf der Hand, links der Dogenpalast, hinter ihm die Monolithsäulen vor der Lagune. Wirklich sehenswert.

Bis 15. September, Di 10-20 Uhr, Mi-So und feiertags 10-18 Uhr. Katalog, Verlag snoeck, 30 Euro.
 

Joachim Goetz