Dessau
Ein abweisender Glaskasten

In Dessau öffnete das neue Bauhausmuseum seine Pforten - und enttäuscht durch seine schwer zugängliche Konzeption

09.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:29 Uhr
Wenig einladend: Das neue Bauhausmuseum. −Foto: Meyer

Dessau (DK) 100 Jahre Bauhaus ist ein stolzes Jubiläum, das landauf, landab mit Veranstaltungen und Ausstellungen gefeiert wird. Am Wochenende wurde in Dessau in diesem Jahr nach Weimar schon das zweite Bauhausmuseum eröffnet. Nur in Berlin hat man das Jubeljahr vertrödelt und hofft auf das neue Bauhausarchiv im Herbst 2024.

Wer in Dessau aus dem Bahnhof tritt und auf den Gehweg gepinselten Wegweisungen folgt, wird nicht Richtung Bauhaus, sondern ins Zentrum der Stadt geleitet, wo er an der Kavalierstraße ungläubig vor einem, nun ja, dunklen Glaskasten steht. Bauhaus? Vor dem 105 Meter langen und 25 Meter breiten Riegel mit der abweisend spiegelnden Fassade, auf dem Mies-van-der-Rohe-Platz genannten Vorplatz, steht tatsächlich eine Stele mit dem Namen des Museums, hier muss es also sein.

Die vier Jahre alten Simulationen des Bauentwurfs zeigen noch ein luzides Etwas, in dem wie in einem Schneewittchensarg ein schwarzes Volumen über einem gläsernen-durchsichtigen Erdgeschoss schwebt. Das ist ja tatsächlich so gebaut worden, aber man sieht es nicht, jedenfalls tagsüber nicht, solange drinnen kein Licht brennt. Was man sieht, ist eine rätselhafte, autistische, dunkle Kiste, die keinerlei Interpretationshilfe gibt. Pharmakonzernzentrale? Regionalverwaltung der Volksbank? Die aalglatte Fassade verrät nichts. Dutzende von hinreißenden Museumsneubauten sind in den letzten Jahren in Deutschland entstanden. Dieses hier ist ein anonymer Alien, keine neue Bauhaus-Ikone, und wird manchen Bauhaus-Touristen vor den Kopf stoßen.

Eines der Glasfelder lässt sich öffnen: Die Eingangstür. Eine architektonische Willkommensgeste sieht anders aus. Beispielsweise so wie bei Walter Gropius' Bauhaus selbst. Im Inneren überrascht ein großer, ungeteilter Saal. Er ist frei bespielbar, steht für Veranstaltungen jeglicher Art und Sonderausstellungen zur Verfügung, ein Kulturangebot auch für die Stadt Dessau. Eine Glaswand bietet freien Blick auf die Kavalierstraße, die andere öffnet sich zum Stadtpark. Öffnet ist nicht ganz richtig: Man hätte sich Schiebewände gewünscht, sodass der Stadtraum bei entsprechenden Gelegenheiten wirklich durch das Gebäude hindurchfließt.

Der stützenfreie Großraum ist möglich, weil die eigentlichen Museumsräume als 70 Meter überspannende Brücke aus schwarzem Beton ausgeführt sind, die sich auf die beiden Treppenhäuser stützt. Wer die richtige Tür gefunden hat, gelangt über eine Art schmucklose Fluchttreppe in die Ausstellung im Obergeschoss. Das Treppenhaus aus rohem Beton soll den Kontrast bilden zu den wunderbaren Exponaten, die den Besucher erwarten. So jedenfalls erläutert es Roberto Gonzales von addenda architects aus Barcelona.

Das Obergeschoss mit den Ausstellungsräumen ist nicht wie in Weimar als White Cube, sondern als Black Box ohne Tageslicht konzipiert, in der buchstäblich jeder Lichtstrahl genau kontrolliert werden kann. Es gibt viele lichtempfindliche Exponate, Papierarbeiten, Dokumente, Lichtpausen, aber auch Textilien, die nur geringen Lichtdosierungen ausgesetzt werden können. Das Berliner Designbüro chezweitz hat aus der Not eine Tugend gemacht und alle Möglichkeiten der Lichtgestaltung genutzt.

Der eilige Besucher, der sich unvorbereitet nur ein wenig umsehen will, wird so manches nicht einordnen können und möglicherweise enttäuscht sein. Die unvermeidlichen Möbel von Mies und Breuer kennt er zu Genüge. Spektakuläre Exponate mit Schauwert gibt es nur wenige, und ein inszenatorisches Feuerwerk wird nicht geboten. Man tut also gut daran, sich zur besseren Orientierung vorab die Konzeption der Ausstellung klarzumachen. Kernstück ist neben dem "Probierplatz Bauhaus" und der Geschichte der Sammlung in den beiden kleineren Sälen die Präsentation "Horizont Fabrik" mit einem orangebunten Regal, das den Saal in seiner ganzen Länge durchläuft und in dem all die Designikonen präsentiert sind, die in die Produktion gegangen waren. Denn eine wesentliche, aus der Werkbundidee entwickelte Intention des Bauhauses war, von der Teetasse bis zur Wohnsiedlung die gesamte Dingwelt auf neue Weise zu gestalten.

Woher die Ideen kamen, zeigen die "Seitenschiffe" mit Schulraumsituationen, mit Lehrprogrammen und Schülerarbeiten, den Lebenswegen der Protagonisten und ihren späteren Wirkungsfeldern. Auf "Zwischenspiele" genannten Sonderflächen werden Neuerwerbungen vorgestellt, sind Interaktionsfelder aufgebaut und werden wechselnde Sonderthemen abgehandelt, etwa die 1953 als Nachfolgeinstitution gedachte Hochschule für Gestaltung in Ulm, die übrigens 1968 auch aus politischen Gründen geschlossen wurde.

Trotz des umfassenden didaktischen Konzepts sind nicht alle Aspekte des Bauhauses ausgeleuchtet. Wenig ist über die eminent politische Dimension der Bauhausidee und das damit verbundene prekäre Schicksal der Schule zu erfahren. Mithin bleibt noch genug Stoff für weitere Ausstellungen.

Ein wenig Zeit muss man also mitbringen, und so empfiehlt es sich, für die Bauhaus-Exkursion nach Dessau künftig einen etwas längeren Tag einzuplanen.

Falk Jaeger