Unterschiedlicher
Rudi Cerne: XY-Moderator nach einem Fingerzeig

Eiskunstläufer Rudi Cerne findet über den Sportjournalismus den Weg zur berühmten Kriminalsendung

08.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:58 Uhr

 

Unterschiedlicher hätte die frühere und die jetzige Karriere von Rudi Cerne nicht verlaufen können. Früher stand er für die Show beim Eiskunstlaufen. Heute ist er das Gesicht und der Moderator der Sendung „Aktenzeichen XY“.

Herr Cerne, war denn der kleine Rudi auch schon ein schlittschuhbegeisterter Kriminal-Fan?

Rudi Cerne: Mit Krimis und Western bin ich groß geworden. Bonanza, Rauchende Colts, Straßen von San Francisco. Bei solchen Sendungen hing ich regelmäßig vor der Glotze, wenn es die Zeit erlaubte. Mein Vater hat mich nämlich schon mit sechs Jahren aufs Eis gebracht. Er war Jahrgang 1920. Was er gesagt hatte, war eine Art Gesetz. Als Eiskunstläufer war er selbst ziemlich begabt, ist dann allerdings mit 22 Jahren mit nur einem Bein aus dem Krieg wieder nach Hause gekommen. Damit war seine Karriere beendet. Ich bin das dritte von drei Kindern, und irgendwann hat er mich dann aufs Eis gestellt um das fortzuführen, was ihm verwehrt blieb. Der klassische Eislauf-Vater. Auch wenn Sie sich wundern, ich bin ihm sehr dankbar dafür, obwohl er auch sehr streng war. Vor kurzem habe ich alte Filmaufnahmen von ihm entdeckt, wie er 1938 auf dem zugefrorenen Rhein-Herne-Kanal Schlittschuh lief. Der Mann hatte Talent und wäre wahrscheinlich besser geworden als ich es jemals war.

 

Wie charakterbildend war es denn, sich als Junge für Eiskunstlaufen zu entscheiden?

Cerne: Sehr, weil das eine sehr trainingsintensive Sportart ist, mit der man sehr früh beginnen muss. Ich höre oft von Sportlern, die in der Jugend Handball gespielt und dann zum Hochsprung gewechselt haben. Im Eiskunstlaufen geht das nicht, weil es auf einem anderen Medium stattfindet, auf glatten Eis, und da müssen sich Bewegungsabläufe ganz früh einprägen, quasi wie ein Reflex automatisiert werden. Das passiert zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr. Eiskunstlaufen heißt auch, in den Sommerferien morgens um sieben Uhr auf dem Eis zu stehen und Kringel zu ziehen, früher waren das Pflichtfiguren. Mittags Kurzprogramm, abends Kürtraining, dazu Konditionstraining. Eigentlich ist das irre. Bei mir haben sich aber Erfolge recht schnell eingestellt. Mit elf Jahren war ich schon deutscher Junioren-Meister. Dann habe ich richtig Ehrgeiz bekommen und einfach weitergemacht.

 

Dann gab’s aber auch die Jungs mit den Fußballschuhen, die riefen: Guck’ mal, der mit den engen Hosen da…

Cerne: Überhaupt nicht. Die Menschen im Ruhrgebiet sind sehr aufgeschlossen. Vor allem gegenüber Sportarten, die ihnen exotisch erscheinen. Außerdem habe ich die Robin- Hood-Hosen nie angezogen, das war nicht mein Fall. Meine Hemden waren auch immer ziemlich zugeknöpft, da hatte ich meinen eigenen Kopf. Kleidung musste bei mir immer dezent sein.

 

Wie schwierig war es, in einer Sportart zu bestehen, in der Leistung nicht gemessen, sondern benotet wird?

Cerne: Das hat mir die Gewöhnung im späteren Leben sehr erleichtert. Auch im Journalismus erhält man nicht immer eine objektive Bewertung. Was dem einen Leser gefällt, muss der andere längst nicht mögen. Die Fakten müssen stimmen, der Rest ist eine Frage des Stils und des Geschmacks und das geht bekanntlich auseinander. Und wenn es dem Chef nicht gefällt, dann hast du Pech gehabt und musst damit trotzdem zurechtkommen. Von daher war das die beste Voraussetzung für meinen jetzigen Job.

 

Das hört sich nach einer hilfreichen Lehre an, aber in der Karriere war es sicher nicht immer so einfach?

Cerne: Nein, natürlich nicht. Aber am Ende war es ausgeglichen. Ich sehe mich auch nie als Opfer schlechter Bewertungen. Ich bin das ein oder andere Mal der Politik im Eiskunstlaufen zum Opfer gefallen. Aber am Schluss habe ich mich gegen alle Widerstände durchgesetzt und genau das gekriegt, was ich gewollt habe: eine Medaille bei Europameisterschaften.

 

Den Inhalt einer Floskel, die sie als Sportmoderator sicher auch schon verwendet haben, haben Sie bei Olympia 1984 in Sarajevo selbst zu spüren bekommen. Wie undankbar ist denn ein vierter Platz wirklich?

Cerne: Das war damals saublöd. Ich lag bis zum letzten Läufer noch auf Platz drei. Dann läuft Josef Sabovcik die Kür seines Lebens und schmeißt mich auf den vierten Platz. Ich stand an der Bande und habe mir gedacht: Die Siegerehrung ist eh gleich wieder vorbei, ich habe also versucht, das Gute für mich aus der Situation rauszuziehen. Und im Nachhinein: Ich habe einen tollen Vertrag bei Holiday on Ice bekommen. Und wenn ich Dritter geworden wäre, wäre ich vielleicht beim Eiskunstlauf noch länger geblieben und hätte nie meinen Weg in den Sportjournalismus gefunden.

 

Im Sportjournalismus waren Sie auch bei der Tour de France im Einsatz, aus der die öffentlich-rechtlichen Sender nun aussteigen. Bei vergleichbaren Ausdauer-Sportarten wie Langlauf, Eisschnelllauf und Biathlon sitzen ARD und ZDF bei der Heldenverehrung noch in der ersten Reihe. Wie passt das zusammen?

Cerne: ARD und ZDF haben ihre Verträge bis zur letzten Sendeminute erfüllt. Fakt ist, dass die Einschaltquoten nicht mehr die waren wie zu den besten Zeiten, beispielsweise eines „Team Telekom“. Durch die Dopingproblematik haben viele Zuschauer dem Radsport den Rücken gekehrt. Unsere Sinne sind noch mehr geschärft. Irgendwie habe ich seit einiger Zeit eine Art Schere im Kopf, nach dem Motto: Warte doch erst mal ab, was die Dopingprobe bringt, ob diese tolle Leistung auch morgen noch Bestand hat. Eine merkwürdige Entwicklung. Da hat sich der Sport auch ein Stück weit selbst geschadet.

 

Ihr ganz persönliches Kuriosum während der Tour de France war ein Anruf mit der Frage: Wollen Sie nicht „Aktenzeichen XY“ moderieren?

Cerne: Genau so war es. Mich hat Hans Janke, der damalige Fernsehspielchef beim ZDF, angerufen. Ich dachte erst, irgendwann kommt jetzt Frank Elstner mit der versteckten Kamera aus dem Busch… Aber es war relativ schnell klar, dass es den Herrschaften sehr ernst war – inzwischen bin ich zehn Jahre dabei.

 

Wie lange hat es gedauert, sich mit der Materie anzufreunden?

Cerne: Es hat erst einmal noch eine Weile gedauert, bis ich mich entschieden hatte, die Moderation zu übernehmen. Da haben auch Zufälle eine Rolle gespielt. Ich hatte damals Andrea Kiewel beim Fernsehgarten vertreten und im Rahmen dieser Sendung gab es eine Hundestaffel von der Samariter-Unfallhilfe. Ich habe die Hundeführerin gefragt, wann ihr Hund zuletzt im Einsatz war. Sie antwortete: Als die kleine Julia bei Gießen gefunden wurde. Ein Mädchen, das entführt, sexuell missbraucht und verbrannt wurde. Ein ziemlicher Kontrast in einer durchweg fröhlichen Sendung. Kurz darauf war ich in einem Polizeipräsidium, weil mein Wagen aufgebrochen worden war. Im Vorraum hingen zig Fotos von vermissten Kindern, eine bedrückende Situation. Mir erschien das wie ein Fingerzeig. Dann habe ich Eduard Zimmermann angerufen und zugesagt.

 

Welcher Fall beschäftigt Sie am nachhaltigsten?

Cerne: Der Fall eines Mädchens aus Cuxhaven, das nur acht Jahre alt wurde. Opfer eines Sexualstraftäters. Sie kam von der Schule nach Hause, hatte ihren Schlüssel vergessen und vor dem Elternhaus gewartet. Dort hat sie der Täter mitgenommen, später missbraucht und ermordet. Ein Filmfall für „Aktenzeichen“. Die kleine Darstellerin war dem Mädchen wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Fall konnte später mit Hilfe von „Aktenzeichen“ aufgeklärt werden.

 

Wenn man sich so intensiv mit den dunklen Seiten des Lebens beschäftigt, wie sehr verändert das den Blick auf die schönste Nebensache der Welt?

Cerne: Wenn man die Straftaten sieht, mit denen ich zu tun habe, relativiert sich vieles. Es gibt mir eine gewisse Gelassenheit und auch Abgeklärtheit gegenüber einem zu frenetischen Jubel, weil Sport nach wie vor eine fantastische, aber auch nur die schönste Nebensache der Welt ist.

 

In einem Fragebogen haben Sie als Leistung, auf die Sie besonders stolz sind, den dreifachen Axel angegeben. Damit würden Sie heute nicht weit kommen…

Cerne: Man muss in der Weltspitze sicher einen Vierfach-Sprung im Repertoir haben, das hatte ich nie. Aber der dreifache Axel war damals schon der Königssprung und ich war einer der ersten, der ihn gesprungen ist, allerdings nicht in einer Meisterschaft. Aber Sie haben recht, mit Dreifach-Axel allein kommt man heute nicht mehr unter die Top Ten der Welt.

 

Wenn man sich das deutsche Eiskunstlaufen anschaut, dann sieht man auf der internationalen Bühne ein Traumpaar. Aber wie sieht es beim Blick hinter die Kulissen aus?

Cerne: Den Blick hinter die Kulissen habe ich gar nicht. Ich kenne Aljona Savchenko und Robin Szolkowy recht gut von den Meisterschaften. Ein faszinierendes Paar. Da Eiskunstlaufen aber nicht mehr so häufig im Fernsehen vorkommt, bin ich auch nicht mehr so nah dran. Meine Sportart liegt, ebenso wie Tennis, leider nicht mehr so im Trend. Die Einschaltquoten führen uns das gnadenlos vor Augen. Da ist der Zuschauer der Preisrichter. Und wenn der Zuschauer keine 5,8 zieht, sondern nur eine 3,4, dann ist das die Quittung.

 

Ein Berufsweg hätte auch Richtung Eiskunstläufertrainer führen können, die Ausbildung hatten Sie schon begonnen.

Cerne: Manchmal spielen Zufälle im Leben eine große Rolle. Ich bin mit Adi Furler damals bei Olympia in Sarajevo ein bisschen um die Häuser gezogen. Er meinte dann, wir könnten mal was zusammen machen. Wir haben zusammen ein Portrait über Katarina Witt angefertigt, das im ersten Programm lief, zu einer miserablen Sendezeit. Aber wir hatten ein Produkt fertig. Adi Furler hat mir enorm geholfen, ich konnte ihm dafür Einblick hinter die Kulissen geben, und er war mein erster Lehrmeister. Da habe ich damals Feuer gefangen.