Turnen
Maxi Gnauck: "Ich musste mich jeden Tag wiegen"

Turn-Olympiasiegerin Maxi Gnauck über ihr Leben als Weltklasseathletin und ihre Nachfolgerinnen

09.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:58 Uhr

 

Turnen ist ihr Leben: Im Trikot der DDR wurde Maxi Gnauck 1980 Olympiasiegerin in Moskau. Auch heute noch ist die 47-Jährige mit dem Turnen eng verbunden. Gnauck trainiert den Schweizer Nachwuchs. In ihrer eigenen Karriere blickt sie vor allem auf 1984 mit Wehmut zurück. Durch den Boykott der Ostblock-Staaten an den Olympischen Spielen in Los Angeles wurde Gnauck die Chance genommen, ihre Goldmedaille zu verteidigen.

Frau Gnauck, Sie waren neben Karin Janz die erfolgreichste deutsche Turnerin, heute sind Sie als Nachwuchstrainerin in der Schweiz aktiv. Turnen Sie mit ihren 47 Jahren den Kindern auch noch was vor?

Maxi Gnauck: Eher weniger. Handstand und Rad zeige ich den Kleinen schon mal. Aber in meinem Alter macht man die anderen Sachen nicht mehr, ohne sich aufgewärmt zu haben.

 

Sie sind jetzt Trainerin in Liestal. Gab es in Deutschland für eine der erfolgreichsten Turnerinnen des Landes keinen Job?

Gnauck: Ich hatte schon ein Angebot in Deutschland, habe aber die Schweiz vorgezogen.

 

Und was gab den Ausschlag?

Gnauck: Weil ich in der Schweiz mit Roland Brückner zusammenarbeiten kann. Wir kennen uns von früher, als wir zusammen geturnt haben. (Anmerkung der Redaktion: Brückner holte 1980 ebenfalls Olympiagold für die DDR am Boden).

 

Sie waren zuvor in Deutschland in Norderstedt Trainerin, bis Ihre Stelle dort gestrichen wurde, weil das Turnzentrum dicht gemacht wurde. Ist das ein grundsätzliches Problem in Deutschland?

Gnauck: Viele Vereine, die Leistungssport machen wollen, haben oft nicht die Vereinsstruktur, um eine Trainerstelle finanzieren zu können. Die Vereine setzen oft mehr auf den Breitensport, um überhaupt existieren zu können.

 

Ihnen wurde aber 2005 auch der Job als Bundestrainerin angeboten.

Gnauck: Wir hatten ein Gespräch darüber geführt.

 

Und warum hat es nicht geklappt? War der Grund, dass Sie in der Schweiz einen unbefristeten Vertrag angeboten bekamen, im Gegensatz zu Deutschland?

Gnauck: Ja, das auch.

 

In Ihrer Heimatstadt Berlin ist sogar eine Turntalent-Schule nach Ihnen benannt? Würden Sie nicht auch gerne nach Deutschland zurückkehren?

Gnauck: Wenn ich Rentnerin bin (lacht). Ich bin gern in Deutschland, um meine Mutter, Geschwister und Freunde zu besuchen.

 

2011 wurde Elisabeth Seitz in Berlin Vize-Europameisterin im Mehrkampf. Sie waren 1985 Vize-Europameisterin im Mehrkampf. Dazwischen lagen 26 Jahre ohne internationale Medaillen im Mehrkampf. Wie konnte das sein?

Gnauck: Das hängt natürlich auch mit der Wende zusammen. Die Förderung war plötzlich nicht mehr da, Trainer wurden gekündigt, die Zentren, die es in der ehemaligen DDR gegeben hatte, brachen zusammen.

 

Die Wiedervereinigung hat den deutschen Turnsport nicht wirklich vorangebracht.

Gnauck: Man hat erst einmal alles gestrichen, weil es nicht sein durfte, dass irgendetwas, in dem Fall das Sportsystem, gut war und auch funktioniert hat in der DDR.

 

Was war anders oder besser in der DDR, die ja im Turnen erfolgreicher war als der Westen?

Gnauck: Es gab mehr System und Strukturen. Das war ein Prestigeobjekt für den Staat. Es wurde wissenschaftlich gearbeitet. Von der Schule über das Internat bis hin zur Physiotherapie und zur ärztlichen Betreuung hat alles gestimmt.

 

Wie lange kann Elisabeth Seitz auf ihrem Niveau noch turnen?

Gnauck: Das hängt immer davon ab, ob sie gesund und belastungsverträglich bleibt. Vier, fünf Jahre geht das schon noch, aber das muss sie selbst entscheiden. Ich habe mit 21 Jahren aufgehört, auch weil ich Rückenprobleme hatte. Heutzutage kann man länger turnen als es zu meiner Zeit üblich war. Das sieht man an der Oksana Chusowitina, die mit 35 Jahren noch erfolgreich um Medaillen kämpft. Aber sie ist auch eine Ausnahmeerscheinung.

 

Jahrelang stand Turnen in Deutschland nicht so sehr im Fokus, die Erfolge fehlten. Mit Seitz und Chusovitina bei den Frauen sowie Philipp Boy, Fabian Hambüchen und Marcel Nguyen haben wir plötzlich mehrere Kandidaten für internationale Medaillen. Wie kommt das?

Gnauck: Ich denke, dass man versucht hat, gerade bei den Männern wieder gute Möglichkeiten zu schaffen, dass sich Talente entwickeln können. Bei den Mädchen sind es eher einzelne Turnerinnen. Bei denen muss man schauen, wie sich das weiterentwickelt.

 

Was muss passieren, um diese Erfolge in Deutschland auf Dauer zu haben?

Gnauck: Wenn man systematisch arbeiten will, braucht man das Geld. Sonst wird es nur Einzelkämpfer geben, die Erfolg haben. Das hängt dann immer sehr vom Trainer vor Ort ab.

Wer auf hohem Niveau turnen will, braucht unheimlich viel Fleiß, Disziplin und Ausdauer. Ist das in den Zeiten von Internet und Videospielen bei den Kindern überhaupt noch angesagt?

Gnauck: Turnen ist schon sehr spezifisch. Wenn man es erfolgreich betreiben will, muss man Stunden in der Halle sein. Entweder man hat sich dafür begeistert und kommt mit der Anstrengung, die verlangt wird, zurecht und kann sich über Erfolge motivieren. Oder man hat den Charakter nicht. Die Ablenkungsmöglichkeiten sind heute größer. Aber es gibt noch genügend Mädchen und Jungen, die die Anstrengung auf sich nehmen.

 

Was muss man vor allem mitbringen?

Gnauck: Ein Grundtalent muss schon vorhanden sein. Dann vor allem Willen und Kampfgeist. Und Ausdauer.

 

Das Mädchenturnen war ja eine Zeit lang in Verruf geraten. Teilweise gab es den Vorwurf der Magersucht. Wie war das früher bei Ihnen?

Gnauck: Es gab auch eine Zeit, da wurde einfach versucht, das Turnen schlecht zu machen. Aber es ist auch klar: Wenn man als Turnerin ein bestimmtes Niveau erreicht hat und dann in die Pubertät kommt, muss man beim Essen aufpassen. Wenn man zu viel zunimmt, macht man sich alles kaputt, was man sich zuvor erarbeitet hat.

 

Wie haben Sie es in Ihrer aktiven Zeit erlebt?

Gnauck: Ich musste mich jeden Tag wiegen und das war schon belastend. Ich schicke die Kinder heute nicht mehr auf die Waage. Wenn man sieht, dass ein Mädchen zu stark zunimmt, führt man ein Gespräch. Entweder funktioniert es, oder eben nicht.

 

Sie waren 1980 in Moskau bei den Spielen, die der Westen boykottierte, Olympiasiegerin am Stufenbarren. Vier Jahre später wurden Sie durch den Boykott des Ostens um die Olympischen Spiele in Los Angeles gebracht.

Gnauck: Es war schon bitter, dass mir die Chance auf die zweiten Spiele genommen wurde. Und in meiner Sportart konnte ich keine weiteren vier Jahre bis zu den nächsten Olympischen Spielen weitermachen.

 

Waren Sie sauer auf die Politik, dass es so entschieden wurde?

Gnauck: Ich war schon enttäuscht und auch der Meinung, dass wir hätten fahren können. Die Rumänen sind ja auch gefahren. Und ich war gut in Form.

 

Hatten Sie je das Gefühl, dass das Olympiagold von Moskau keine vollwertige Medaille war, weil nicht alle Nationen vertreten waren?

Gnauck: Nein. Ich war ja Weltmeisterin und wurde auch im Jahr darauf wieder Weltmeisterin.

 

Ihre größten Erfolge hatten Sie am Stufenbarren. War das Ihr Lieblingsgerät oder das Lieblingsgerät Ihres Trainers?

Gnauck: Beides. Mein Trainer Jürgen Heritz war zuvor schon mit Karin Janz und Annelore Zinke an diesem Gerät erfolgreich. Der Stufenbarren war sein Steckenpferd. Aber mir lag dieses Gerät einfach.

 

Wie viele internationale Medaillen haben Sie insgesamt gewonnen?

Gnauck: Irgendwo stand einmal 27.

 

Die Zahl haben wir auch gelesen.

Gnauck: Dann wird es ja stimmen.