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Dieter Baumann: "Die Zahnpasta hat mein Leben verändert"

Olympiasieger Dieter Baumann über die Affäre, die ihn – neben seiner Goldmedaille – bekannt gemacht hat

11.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:57 Uhr

 

Er war der weiße Kenianer. Diesen Spitznamen bekam der Leichtathlet Dieter Baumann (46) während der Olympischen Spiele 1992 verpasst. Denn in Barcelona überspurtete Baumann im 5000-Meter-Finale die gesamte afrikanische Konkurrenz und gewann überraschend Gold. Im letzten Teil unserer Reihe „Verdammt lange her“ erzählt der Olympiasieger auch über seine jetzigen Aufgaben und nimmt Stellung zu der Zahnpasta-Affäre, die sein Leben genauso wie die Goldmedaille von Barcelona verändert hat.

Herr Baumann, Sie gelten nicht nur als der beste Comedian unter den Läufern, sondern auch als der beste Läufer unter den Comedians. Wie um alles in der Welt sind Sie zum Kabarett gekommen?

Dieter Baumann: Vieles kann man gar nicht planen, vieles ergibt sich einfach. Ich habe nach meiner sportlichen Karriere sehr viele Vorträge gehalten. Und immer, wenn ich etwas Wissenschaftliches erklärt habe, etwa über Training, Motivation oder Psychologie, sind die Leute eingeschlafen, wenn ich meine Folien aufgelegt habe. Und immer, wenn ich eine Geschichte erzählt habe – sie musste nicht einmal witzig sein – dann waren alle hellwach. Dann habe ich mir irgendwann gedacht, ich verzichte auf alles, was mit Wissenschaft zu tun hat und erzähle nur noch Geschichten. Dann habe ich die Regisseurin Carola Schweglin hinzugezogen und gemeinsam haben wir das Stück gemacht mit dem Titel „Körner, Currywurst, Kenia“, und das läuft immer noch.

 

Hinter dem Namen „Körner, Currywurst und Kenia“ vermuten wir, dass es sich dabei um Ernährungs- und Trainingstipps für Hobbyläufer handelt. Was ist eigentlich gegen eine Currywurst einzuwenden?

Baumann: Überhaupt nichts. Ich bin ein begeisterter Currywurst-Esser. Das war ich auch schon während meiner aktiven Zeit. Das Programm führt auch ein Stück durch meine Läuferkarriere, es geht dann weiter bis zu den Freizeitläufern, davon sitzen ja viele im Publikum. Man hat ja für uns Top-Athleten schon einige Schubladen, da gehört die Currywurst dazu, die wir nie essen durften.

 

Und was hat es mit Kenia auf sich? Sie selbst wurden nach ihrem Olympiasieg über 5000 Meter in Barcelona als „weißer Kenianer“ bezeichnet.

Baumann: Kenia hat mich in der zweiten Phase meiner Karriere wahnsinnig geprägt. 1994 bin ich zum ersten Mal nach Kenia gefahren. Danach war ich jedes Jahr zwei Monate dort. Es ist dort eine ganz andere Herangehensweise ans Laufen und ans Trainieren. Das mit den Afrikanern gemeinsam zu machen, ist an und für sich schon eine Herausforderung. Das hat mir wahnsinnig viel gebracht. Auch im Hinblick auf die Menschen, die dort leben und warum sie laufen. Kenia ist der rote Faden in meinem Programm.

 

Der Höhepunkt ihrer Karriere war der Olympiasieg 1992 in Barcelona über 5000 Meter. Wie hat dieser Sieg Ihr Leben verändert?

Baumann: Wahrscheinlich sehr viel. Klar sind solche Ereignisse immer Wegmarkierungen, die einen in eine andere Richtung lenkten. Da kann man machen, was man will. Man kann sich bemühen, bodenständig zu bleiben, was mir im Grunde gelungen ist. Aber es nimmt auf alles Einfluss.
 

In Ihrem Kabarett-Programm sprechen Sie selbstironisch über Ihre Vergangenheit als Zahnpaschta-Män. Heißt das, dass Sie mit der Doping-Affäre von 1999 im Reinen sind?

Baumann: Wenn man ein Kabarettprogramm macht und auf der Bühne steht, dann wäre es doch wie ein verschossener Elfmeter, wenn ich diesen Witz nicht selbst spielen würde. Und klar mache ich auf der Bühne diesen Schritt nach vorne unter dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Seien wir doch mal ehrlich, die Leser wollen es ja gar nicht mehr lesen. Es ist im Grunde nur ein redaktionsinternes Thema der Zeitungen. Deshalb habe ich gesagt, ich werde die Zahnpasta so lange in meinem Kabarettprogramm drin lassen, bis die Journalisten sagen, wir können es jetzt nicht mehr hören. Es ist kein leidiges Thema für mich.

 

Aber diese Zahnpasta-Affäre ist ein Teil Ihres Lebens.

Baumann: Wenn der Olympiasieg mein Leben verändert hat, dann hat die Zahnpasta mein Leben auch verändert. Dem kann ich mich nicht entziehen, selbst wenn ich wollte. Man muss sich auf Leute verlassen, auf seinen Freundeskreis. Gerade in einer schwierigen Situation. Ich selbst bin mit der Geschichte schon lange im Reinen. Ich will meine Energie nicht mit der Vergangenheit vergeuden. Ich will sie anders einsetzen – für das, was kommt, wenn Sie so wollen, für mein Lebensglück. Ich kann mich kaum erinnern, dass es mir besser gegangen ist als jetzt im Moment.

 

Immerhin hat Sie der DLV im Gegensatz zum internationalen Verband IAAF im Juli 2000 vom Vorwurf des Dopings freigesprochen, und der Dopingkritiker Werner Franke hat die Zahnpasta-Affäre als einen Anschlag auf Sie nach Stasi-Muster bezeichnet. Entschädigt Sie das dafür, was Ihnen damals widerfahren ist?

Baumann: Ich habe nach mehr als zehn Jahren so viel Abstand dazu gewonnen. Natürlich ist es toll, wenn so renommierte Personen wie Franke dazu Stellung nehmen. Er hat damals Gutachten zu meinem Fall erstellt. Es freut mich auch, wenn andere Personen dazu Stellung beziehen, aber ich erwarte es nicht. Heute habe ich genügend Abstand, sodass ich auch mit den Menschen völlig unverkrampft umgehen kann, die damals gegen mich Stellung bezogen haben.

 

Kommen wir zur deutschen Leichtathletik: Gerade im Bereich Mittel- und Langstrecke herrscht auf internationaler Ebene ziemliche Flaute. Über 5000 Meter sind Sie nach wie vor deutscher Rekordhalter mit 12:54,70 Minuten von 1997. Was sind die Gründe für die Misere?

Baumann: Es ist ein gesellschaftliches Phänomen auf der einen Seite. Die jungen Menschen haben heute sehr viele Möglichkeiten. Das finde ich toll. Das machte es allerdings bei der Elite-Herausbildung auch im Leistungssport schwierig. Da muss man die Hürden wahnsinnig hochhängen und alles auf einen Punkt konzentrieren. Dazu kommt, dass wir Eltern unseren Kindern viel mehr abnehmen als dies vor einigen Jahren der Fall war. Oft entlassen wir unsere Kinder mit zu wenig Selbstständigkeit ins Leben. Sehr häufig sieht man auch junge Menschen, die machen mal dies und mal jenes, aber haben nie etwas richtig durchgezogen, bleiben nicht lange genug an der Sportkarriere dran.

 

Der Stellenwert der Leichtathletik ist rapide gesunken. Was kann die Leichtathletik dafür tun, ihr Image aufzupolieren?

Baumann: Die Frage ist ganz einfach zu beantworten. Wir brauchen Athleten mit Weltklasse-Niveau. Ich kann das schönste Produkt und das schönste Marketing-Konzept haben. Aber wenn am Ende keine Leistung da ist, kann ich auch nichts verkaufen. Ich muss mir ein Konzept überlegen und fragen, wie ich junge Menschen zur Weltklasse führe. Dann wäre die Leichtathletik aus dem Schneider.

 

Erfolge in der deutschen Leichtathletik sind zuletzt vornehmlich in Wurf- und technischen Disziplinen erzielt worden. Wann gibt es wieder deutsche EM- und WM-Medaillen im Mittel- und Langstreckenbereich?

Baumann: Im Moment schwächelt der Lauf. Und zwar grundsätzlich vom 100-Meter-Lauf bis hin zum Marathon. Natürlich haben wir viel zu wenig Nachrücker. Und es gibt auch kein erkennbares Nachwuchsförderkonzept von Verbandsseite, um diesem Problem zu begegnen. Es ist nach wie vor eher ein Zufall, wenn wir ein Talent entdecken. Aber vielleicht ist es das Charakteristikum dieser Sportart. Denn es war schon immer Zufall. Es hatte noch niemals systematische Hintergründe, ob jemand Weltklasse-Niveau erreicht oder nicht. Es waren und sind Zufälle. Aus dem Grunde sollte man sich mehr dem Zufall widmen, das brächte mehr Erfolg.

 

Was sind Ihre weiteren Pläne? Sie haben ein neues Kabarettprogramm in Vorbereitung?

Baumann: Es ist kein Kabarett. Ich sehe mich auch nicht als Kabarettisten oder Comedian. Mein neues Stück heißt „Brot und Spiele“ nach dem gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz von 1959. Es sind 10 000 Meter, erzählt, gespielt und gelesen. Es ist ein Ein-Mann-Stück, in dem ich in drei verschiedene Rollen schlüpfe. Das Stück ist die Geschichte eines Läufers. Es ist mehr eine Tragödie und wir haben am 25. Januar im Theaterhaus in Stuttgart Premiere.