Endura Alpentraum 252 Kilometer - 6000 Höhenmeter

25.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:45 Uhr
Nicole Bretting im Ziel des Endura Alpentraums. −Foto: privat

Nicole Bretting hat sich zur Abwechslung zum Triahtlon mal einen reinen Rad-Wettbewerb ausgesucht und ist beim Endura Alpentraum mitgefahren. Hier schildert sie ihre Eindrücke.

Es ist schon komisch, wenn man nur Rad fahren muss. Irgendwie hat man ständig das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Aber nein, ich hatte alles eingepackt. Um ehrlich zu sein, hatte ich sogar zu viele Radklamotten dabei. Für den Fall, dass es geregnet hätte, hätte ich mich zweimal komplett umziehen können.
 
Meine Befürchtungen waren aber völlig unbegründet. Der Endura Alpentraum war dieses Jahr wirklich ein Traum mit vielen schönen Aussichten und einem traumhaften Herbstwetter.
Der Start war am Samstag (12. September) um 6:30 Uhr in Sonthofen. Es war gerade so hell, als sich das Feld mit ca. 400 Startern in Bewegung setzte. Vor uns lagen nun 252 Kilometer und ca. 6000 Höhenmeter. Die ersten Kilometer waren flach und Andi, ein Freund, und ich rollten mehr oder wenig gemütlich mit dem Feld mit. Nach ca. zehn Kilometern kam dann der erste Anstieg nach Oberjoch und in Richtung Imst. Der Anstieg war super, Andi und ich überholten einen Mitstreiter nach dem anderen.
 
Nach bergauf kommt zwangsläufig auch bergab! Andi und ich hatten im Vorfeld verabredet, wir versuchen, die Strecke gemeinsam zu fahren, wenn er bergab aber schneller ist, dann ist das so und gewartet wird nicht! So war es dann auch. Vielleicht hätte ich es sogar geschafft, in der Gruppe mitzufahren, wenn nicht mein Vorderrad ab 40 Kilometern pro Stunde furchtbar unruhig geworden wäre. Ich hatte fast Probleme, das Rad auf der Straße zu halten. Unten angekommen rief ich meinen Mann Reinhard an, der zusammen mit Sabine das Begleitfahrzeug war und nach ca. fünf flachen Kilometern hatte ich ein neues Vorderrad. Andi war zu diesem Zeitpunkt natürlich uneinholbar weit vorne und ich sammelte wieder einen Mitstreiter nach dem anderen auf.
 
Bis Imst lag noch ein Pass vor uns und mein Ziel war es, mich am Berg wieder weiter nach vorne zu arbeiten. Das gelang auch super gut. Oben angelangt warteten Reinhard und Sabine schon mit der wärmenden Windjacke für die Abfahrt. Bergab fahren ist bei mir wie Schwimmen, ich kann es zwar, aber andere sind besser. Und so zogen einige, die ich vorher eingeholt hatte, wieder an mir vorbei. Unten angekommen war ich trotzdem stolz auf mich, die Passage für mein Empfinden sicher und schnell gemeistert zu haben. Ab Ortseingang Imst bis zum Ortsausgang war die Strecke neutralisiert und die Geschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt. Neutralisiert bedeutet, dass die Zeit, die jeder Fahrer durch Imst braucht, von der Gesamtzeit abgezogen wird, und so nahm sich auch jeder Fahrer etwas mehr Zeit an der Verpflegungsstation.
 
Ich aß zur Vorsicht eine Käsesemmel und quatschte kurz mit Steffi, einer weiteren EISS-auf-Rädern-Fahrerin.
Ach ja, dass hatte ich zu Beginn gar nicht erwähnt, ich fuhr das Ganze ja nicht nur aus Spaß, sondern auch für einen guten Zweck. EISS auf Rädern ist eine Organisation, die sich für den Behinderten-Sport einsetzt und Kinder mit entsprechenden Trainingsgeräten oder Protesen versorgt.
Zurück zum Rennen und zur Verpflegungsstation: Außerdem gab ich Reinhard meine Windjacke wieder. Bis Landeck war nicht mit einem Kälteeinbruch zu rechnen. Vor mir lag eine 35 Kilometer lange flache Überbrückungsstrecke. Die Taktik war denkbar einfach, eine Gruppe finden und mitrollen und am besten nicht im Wind fahren.
 
Als Triathletin kostet es wirklich Überwindung, nicht nach vorne zu preschen, sondern sich ruhig und unauffällig zu verhalten. Dieses Mitrollen und Körner sparen bin ich ja nicht gewohnt, ebenso wenig wie die Tempovariationen, die sich in einer Gruppe zwangsläufig ergeben.
 
Der nächste Anstieg war die Pillerhöhe. Dieser war nicht so lange wie der erste Anstieg, dafür aber steiler. Auch hier war nur ich diejenige, die überholte. Die Verpflegungsstation oben lies ich aus und stürzte mich sofort in die Abfahrt, allerdings nicht ohne vorher noch das rettende Gebüsch aufzusuchen. Irgendwann muss die Flüssigkeit, die man oben reinschüttet, leider auch wieder raus. Auf der Geraden möchte man nicht, da man sonst die Gruppe verliert und auf den engen Passstraßen gibt es kaum eine Möglichkeit. Vielleicht gibt es dazu auch eine Rennfahrertaktik, die ich noch nicht gefunden habe.
 
Wie schon zuvor, wurde ich von einigen wieder eingeholt. Unten angelangt sammelte ich drei Fahrer wieder auf und zusammen fanden wir schnell Anschluss an eine größere Gruppe. Mit der lies ich mich mal wieder bis zum nächsten Berg mitziehen. Nachdem diese Gruppe viel größer war als die erste, war hier das Tempo um einiges unruhiger. Der jetzt stark von vorne kommende Wind tat sein Übriges dazu. Obwohl sich wahrscheinlich die wenigsten in der Gruppe kannten, wurde sehr diszipliniert gefahren - bis auf einen! Derjenige war plötzlich links neben mir und mir war nie klar, ob er jetzt überholen will oder einfach nur in zweiter Reihe fährt. Überholen bedeutet, er muss an allen vorbei und so fit sah er nicht aus. Zwischen mir und meinem Vordermann war aber kein Platz zum einscheren und so blieb er die nächsten Kilometer immer seitlich neben mir, einmal hätte er mich allerdings fast in den Straßengraben gedrängt. Auf meinen Aufschrei hin kam nur der Kommentar „Keine Angst, ich weiß was ich tue“, ich dachte mir „oder auch nicht“.
 
Gott sei Dank ging es bald in Richtung Reschensee bergauf und ich konnte den Fahrer hinter mir lassen. Oben war mal wieder eine Verpflegungsstation, und siehe da, dort stand neben Reinhard und Sabine auch Andi. Der war zwar schon ca. zehn Minuten vor mir dort, aber ich hätte nicht damit gerechnet, Andi vor Sulden nochmals zu sehen. Ich schob mir nur schnell ein Stück Kuchen zwischen die Zähne und weiter gings, diesmal wieder gemeinsam. Kurze Zeit später holten wir einen weiteren Fahrer ein und wurden auch von einem anderen Fahrer eingeholt. Zu viert versuchten wir dem Wind am Reschensee zu trotzen. Kurzzeitig waren mir die Herren dann etwas zu schnell und wir mussten einen Fahrer ziehen lassen. Dieser wollte zu zwei vor uns fahrenden Mitstreitern aufschließen und verschärfte das Tempo entsprechend. Um mitzuhalten, hätte ich ggf. noch ein Stück Kuchen mehr gebraucht.
 
Es ging vorbei an der versunkenen Kirche und an den unzähligen Kitesurfern, die im Gegensatz zu uns ihren Spaß hatten an dem Wind.  Am Ende des Sees ging es bergab, nicht steil, aber doch so, dass man sich erholen konnte. Unten angekommen waren wir nicht nur in der Schweiz, sondern es wurde auch etwas windstiller und vor allem schön warm. Ich sagte zu Andi: "Hier bleibe ich, vergiss das Stilfser Joch!" Ich tat es natürlich nicht! Nach fünf Kilometern Wärme, ging es mal wieder links weg (wie schon so oft an diesem Tag) und ab dem Zeitpunkt auch wieder bergauf. Komisch eigentlich, dass alle Pässe links von uns lagen.
Wie immer war auch hier wieder eine Verpflegungsstation und plötzlich war auch Toni, ein weiterer Pfaffenhofner Starter wieder da.
 
Andi und ich füllten unsere Flaschen auf, aßen einen Riegel und machten uns auf den Weg in Richtung Stilfser Joch. Die Straße zog sich endlos. Andi bekam hier noch mal ein zweites Hoch und ich musste ihn ziehen lassen. Es hat wenig Sinn, bergauf jemanden folgen zu wollen, wenn der Rythmus nicht passt. Das kann sich später fürchterlich rächen.
 
Am Umbrailpass ca. 200 Höhenmeter vor dem Stilfser Joch war die vorletzte Verpflegungsstation aufgebaut. Toni war auch dort, Andi schon durch.
Toni und ich beschlossen, das letzte Stück gemeinsam zu fahren. Zusammen geht's dann irgendwie doch leichter! Oben wartete mal wieder Reinhard gleich mit mehreren Jacken zur Auswahl oder auch alle übereinander. Ich entschied mich für die Windjacke und wünschte Toni noch einen schöne Abfahrt und wir sehen uns in Sulden. Jetzt kam ja wieder mein Schwachpunkt: Es ging bergab! Der Asphalt war hier schlecht und so war ich mir nicht sicher, ob mein Fahrrad aufgrund des Asphalts unruhig lief oder weil ich zeitweise vor Kälte so zitterte. Wahrscheinlich war's die Kombi aus beidem. Natürlich wurde ich auch hier wieder von einigen Fahrern überholt. Ein wenig neidisch bin ich schon, wenn andere mit hohem Tempo an mir vorbeiziehen und scheinbar keine Angst vor der Geschwindigkeit haben. Fester Vorsatz für 2016: bergab schneller und sicherer zu werden.
 
In Gomagoi war die letzte Verpflegungsstation aufgebaut. Eigentlich wollte ich dort auch Reinhard meine Jacke wiedergeben, aber freiwillig zog ich nichts aus. Ganz im Gegenteil: Ich war froh um die warme Suppe, die es dort gab. Die ersten Meter bergauf wollten meine Muskeln so gar nicht mitspielen und es fühlte sich alles zäh an. Noch ca. sieben Kilometer bis zum Ziel, mein Kopf sagte mir: "Das geht jetzt auch noch." Langsam wurde mir auch wieder warm und ich machte meine Jacke auf und zog die Armlinge unter der Jacke zu den Handgelenken runter.
 
Als ich die Kirche von Sulden vor mir sah und das Schild noch 1000 Meter las, war ich nur unendlich stolz auf mich. Der Stadionsprecher sagte meinen Namen und die Platzierung. Insgesamt 4. Frau und 1. bei den Masters. Ich musste grinsen und das als Triathletin. Durch die neutralisierte Passage zu Anfang, überholte mich noch eine Fahrerin und ich wurde „nur“ 5. Frau. Das ist aber alles nebensächlich. Ich habe die Distanz in einer reinen Fahrzeit von 11:21 Stunden geschafft und war etwas über 12:00 Stunden insgesamt unterwegs. Das war schneller als erhofft und nur das zählt. Der Tag hat viel Spaß gemacht und auch viel Selbstvertrauen für Hawaii gegeben. Ich glaube das schreit nach Wiederholung.
 
Infos zum Rennen hier.