In
Olympische Beobachtungen: Eisenzäune statt Parks

17.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:04 Uhr

In einem der neu gebauten Häuser im Stadtteil Khosta preist ein Schild die Vorzüge der Immobilie an: „In Strandnähe.“ In Luftlinie mag das stimmen, aber der stolze künftige Besitzer dürfte sich wundern, welche Umwege er zu bewältigen hat, bis er sich in die Wellen stürzen kann. An manches haben sich die Bewohner von Sotschi inzwischen gewöhnt, unter anderem an die Hochhäuser.

Als das erste dieser Art vor rund 20 Jahren hochgezogen wurde, tauften sie es hoffnungsfroh „Titanic“ und freuten sich diebisch, als die Wohnungen dort nur sehr schleppend vermarktet wurden. In Zeiten der Sowjetunion waren solche „Wolkenkratzer“ verboten, auch in Strandnähe durften keine Gebäude hochgezogen werden. Das hat sich grundlegend geändert, aber die Sotschi-Bewohner sagten sich, dass sie die Läufe der Zeit nicht ändern können. Zumal viele Hochhäuser inzwischen architektonisch gelungen sind. Was sie wirklich aufregt, ist die Tatsache, dass immer mehr Gebiete von privater Hand abgesperrt werden.
 
Um wieder auf die UdSSR zurückzukommen: Der Zutritt zu den Parks einiger Sanatorien – die für die Mitglieder des Politbüros oder für sehr hohe Militärs – war versperrt. Alle anderen standen ausdrücklich der Bevölkerung zur Verfügung. Da gibt es an der Peripherie einen wunderschönen großen Park, sehr gepflegt, mit Wegen, Bänken, und unendlich viel Grün. Ich kenne ihn gut und freute mich auf ihn. Als ich mich auf den Weg dorthin machte, versperrten Eisenzäune, Wächterhäuschen und Schranken den Zutritt. Wo früher pralles Leben war, herrscht jetzt gähnende Leere. Das, was die Kommunisten zur Erholung von Gästen und Einheimischen eingerichtet hatten, nehmen ihnen heutige Besitzer weg.
 
Auch der oder die neuen Eigentümer dieses Sanatoriums haben den ehemals öffentlichen Park hermetisch abgeriegelt. Freilich gibt es in der Stadt sehr viele Grünzonen, aber da müssen die Leute, die nicht direkt im Zentrum wohnen, erst einmal hinkommen. Und immer mehr wird abgeriegelt und abgeschottet. Ein Rückschritt und eine Rücksichtslosigkeit gegenüber der Bevölkerung ohnegleichen. Oft höre ich Sätze, die mit dem Wort „Damals“ beginnen. Wenn ich nachfrage, was mit „Damals“ gemeint ist, habe ich mehr als einmal die Antwort „Unsere schöne sowjetische Zeit“ zu hören bekommen.

 

Unser Redakteur Josef Bartenschlager kennt Sotschi seit den 90er Jahren.