London
Zwischen Jubel und Jammer

Deutsches Team verfehlt Zielvereinbarung zwischen Sport und Politik deutlich – Doch es gibt Lichtblicke

12.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:10 Uhr

London (DK) Ist das Glas nun halb leer oder halbwegs gut gefüllt? Verdient das Abschneiden der deutschen Athleten in London die Note 2, wie Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), behauptet? Mit den Medaillenstatistiken aller Sommerspiele seit der Wiedervereinigung kann man den Chef de Mission des deutschen Teams leicht widerlegen, aber es spricht auch einiges für ein gutes Abschlusszeugnis.

Das mit 391 Athleten kleinste deutsche Olympiateam seit Barcelona 1992 beendete mit elf Gold-, 19 Silber- und 14 Bronzemedaillen erstmals seit 20 Jahren den Abwärtstrend. 44 Plaketten sind immerhin drei mehr als 2008 in Peking (41), obwohl damals ein Plus von sechs goldenen zu Buche stand. Angesichts der seit Freitag öffentlichen Zielvereinbarungen zwischen Politik, dem DOSB und den Fachverbänden verdient dieses Ergebnis jedoch allenfalls die Note „4–“. Das kuriose Zahlenwerk weist als Aufgabenstellung 86 Medaillen aus, davon 28 goldene. 86 Podiumsplätze – das wäre mehr, als das erste wiedervereinigte Olympiateam in Barcelona geholt hatte. Und von den damaligen 82 Umhängseln ging es über Atlanta (65), Sydney (56), Athen (49) bis Peking (41) stetig bergab. Fehlt den Funktionären das Fachwissen? Waren in den Verbänden Träumer am Werk, die mit ihren Medaillenerwartungen mehr Fördermittel aquirieren wollten?

DOSB-Präsident Thomas Bach und sein „General“ Vesper gerieten am Sonnabend bei der Bilanz-Pressekonferenz in Erklärungsnot. Bach räumte Fehler in der Kommunikation ein. Vesper betonte, mit Planwirtschaft habe das Ganze nichts tun, die Zielvereinbarungen hätten der Einschätzung von Potenzialen dienen sollen. Wie auch immer, das seltsame Zahlenwerk kann den Eindruck erwecken, die Mannschaft bestünde überwiegend aus Versagern. Das ist ein Irrtum, zumindest eine unzulässige Pauschalierung. Klar, bei den Schwimmern, die seit 80 Jahren erstmals im Becken ohne Medaille blieben, besteht dringender Handlungsbedarf. Dagegen gehören die Leichtathleten, die nach einmal Bronze in Peking nun achtmal aufs Podest stiegen, zu den großen Gewinnern. Das ist kein Zufall. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hatte schon nach Athen 2004 Querdenker wie den Soziologen Eike Emrich und den Trainer Jürgen Mallow verpflichtet. Emrich lieferte den geistigen Überbau, Mallow das sportliche Know-how, mit bescheidenen Mitteln Spitzenathleten auszubilden.

Auf der Habenseite der deutschen Bilanz tummelten sich auch Turner, Reiter, Radsportler, Ruderer, Kanuten, Tischtennisspieler und Judoka. Im Soll befanden sich die Sparten Badminton, Segeln und Schießen. Ringer, Boxer und Tennisspieler tauchten unter, die Fuß-, Hand, und Basketballer beiderlei Geschlechts hatten sich erst gar nicht qualifizieren können. Die Gründe dafür sind völlig unterschiedlich. Hand- oder Fußballer sind Profis, ihnen hätte auch ein noch so einträgliches Fördersystem nicht den Weg nach London geebnet.

Was zu grundsätzlichen Problemen des deutschen Sports führt. Willi Holdorf zählte in London zwei auf. „Unser Schulsystem mit der Umstellung auf G8 ist nicht hilfreich. Der Sportunterricht kommt viel zu kurz, und die Zeit für intensives Training fehlt“, sagte der Zehnkampf-Olympiasieger von Tokio 1964, dem der ehemalige Stabhochsprung-Star Sergej Bubka erzählte, in der Ukraine würden Trainer 8000 Euro brutto im Monat verdienen. „Wir müssen aufpassen“, folgerte Holdorf, „dass uns nicht die besten Trainer weggelockt werden.“ Was bei einem durchschnittlichen Brutto-Gehalt eines Segelcoaches von 2700 Euro, so der ehemalige Kieler Tornado-Olympionike Johannes Polgar, nun bei Audi im Sportmarketing tätig, kein Wunder wäre.

Schwimm-Bundestrainer Dirk Lange durfte nach seinem Rauswurf in London mit seinem südafrikanischen Schützling Cameron van der Burgh Gold und Weltrekord über 100 Meter Brust feiern. Auf die Kompetenz ausländischer Trainer setzten auch die Briten. Deren Goldrausch ist typisch für olympische Gastgeber. Diese investieren kräftig in ihre Athleten, um sich die Heimspiele nicht von Mitläufern vermiesen zu lassen. Die somit geschaffenen Strukturen sind jedoch nicht immer nachhaltig, wie das Beispiel der Australier zeigt: Die stellten vor zwölf Jahren in Sydney mit 58 Medaillen das viertbeste Team auf. Nun sind sie mit 35 Plaketten auf Rang zehn abgerutscht.

Rein statistisch gesehen kommt das Problem der Deutschen übrigens aus Fernost. Während Schwarz-Rot-Gold seine Plakettenanzahl von 1992 bis 2008 exakt halbierte, verdoppelten die Chinesen ihre Ausbeute von 50 (1992) auf 100 (2008). Trotz dieser Medaillenwanderung hält sich Deutschland in der Nationenwertung konstant auf den Plätzen fünf oder sechs. Zu viel für ein halbleeres Glas.