London
Mission verfehlt

China war bei den Olympischen Spielen in London nur zweitbeste Nation hinter den USA

13.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:10 Uhr

London (dapd) Der Chinese Qiu Bo stieg mit leerem Blick aus dem Wasserbecken. Die Enttäuschung war so groß, dass er erst einmal nur noch die Wand im Aquatics Centre in London ansehen konnte – und auch das nur mit Tränen in den Augen. Qui Bo hatte soeben die Silbermedaille im Turmspringen gewonnen.

Doch eine Silbermedaille gewinnen Chinesen nicht. Sie verlieren Gold.

Bei den Olympischen Spielen in London belegte China mit 38 Gold-, 27 Silber- und 23 Bronzemedaillen den zweiten Platz im Medaillenspiegel. Nur die USA waren stärker. Aber der Anspruch Chinas ist die Spitzenposition. In diesen Tagen kam die schnell aufgestiegene Sportnation aber genau wegen dieses – so mitunter der Tenor in der westlichen Berichterstattung – pervertierten Anspruchsdenkens ins Gerede.

Mit Unverständnis wurde beispielsweise auf den Gewichtheber Wu Jingbiao geblickt. Dieser war nach dem Gewinn der Silbermedaille gar der Ansicht, dass er sein Land „im Stich gelassen“ habe. Für Aufsehen sorgte auch die Berichterstattung Chinas. Die „Yunnan Metropol“ etwa betitelte die Leistung der 17-jährigen Gewichtheberin Zhou Jun als „Schande“. Und mit großer Skepsis sowie offenen Dopingvorwürfen wurden die Leistungen der minderjährigen „Wunderschwimmerin“ Ye Shiwen kommentiert. Chinas Angriff auf die Spitzenposition im olympischen Sport erfolgt vielen Betrachtern zu schnell und zu rigoros.

Der Kölner Sinologe Volker Klöpsch dagegen kann mit dem „China-Bashing“ im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen nicht viel anfangen. „Wer zeigt denn da mit dem Finger auf wen? Die Amerikaner etwa mit ihren Wunderschwimmern, die den Chinesen in nichts nachstehen“, sagt er. Auch sind seiner Meinung nach die Erfolge Chinas nicht unverhältnismäßig groß, da die Chinesen mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung stellen. Ein junges Phänomen ist der Erfolg der Chinesen bei Olympia aber allemal. Bis Ende der 1980er Jahre spielten sie bei den Olympischen Spielen keine große Rolle. 1988 im südkoreanischen Seoul zum Beispiel belegte das Land mit fünf Goldmedaillen den elften Platz. 20 Jahre später bei den heimischen Spielen in Peking schnitt China mit 51 Goldmedaillen als beste Nation ab.

„Von 1949 bis 1989 spielte das Land mehr oder weniger nach eigenen Spielregeln und war dementsprechend auch international stark isoliert“, erklärt Klöpsch. Heute dagegen sei China die internationale Anerkennung sehr viel wichtiger als noch bis vor 20, 30 Jahren – und der Sport stelle eben einen Bereich dar, in dem internationale Anerkennung gewonnen werden könne. „China hat seit dem Opiumkrieg im 19. Jahrhundert viele Demütigungen erfahren. Das Land sucht mehr denn je in seiner Geschichte nach Dingen, auf die man stolz sein kann“, sagt Klöpsch. „Erfolg im Wettbewerb nimmt einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft ein. Unter Mao wurde der Wettkampf im Sport noch völlig ausgeblendet. An erster Stelle im Sport stand die Freundschaft.“

Mit der Freundschaft ist es nun vorbei. Mit aller Macht und ohne Rücksicht auf Verluste sollen Chinas Athleten den gesellschaftspolitischen Auftrag ausführen. Dabei ist die Bereitschaft, sich zu quälen, in China stark ausgeprägt, wie Klöpsch erklärt: „Das trifft auf alle gesellschaftlichen Bereichen zu. In China ist Arbeit bis hin zur Selbstaufgabe Normalität. In Deutschland dagegen hat man den Eindruck, dass manchmal der letzte Tick fehlt. Das sieht man auch bei den Olympischen Spielen.“