"Ich wollte die ganze Welt umarmen"

Natascha Badmann hat sechsmal die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii gewonnen.

23.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:54 Uhr

Dabei war die Schweizerin einst übergewichtig und unsportlich, ehe eine Begegnung ihr Leben nachhaltig veränderte. An diesem Sonntag startet die 52-Jährige beim Triathlon in Ingolstadt.

Frau Badmann, Sie waren früher übergewichtig, heute sind Sie Spitzentriathletin. Wie kam dieser Wandel?


Natascha Badmann: Ich war unzufrieden, unausgeglichen und übergewichtig. Dann habe ich Diäten gemacht - die ganze Woche nur Joghurt und Äpfel gegessen, und am Ende der Woche eine Tafel Schokolade. Das war eine völlig unvernünftige Diät, und die Unzufriedenheit war immer noch da. Dann traf ich meinen heutigen Partner, und der sagte zu mir: "Fräulein, wenn Sie abnehmen wollen, dann sollten Sie mal beginnen zu essen." Diesen Tipp geb ich jeden Mann, das soll er zu jeder Frau sagen - ich war sofort in ihn verliebt (lacht). Aber er hat auch gesagt: "Es ist auch wichtig, dass du dich ein bisschen bewegst."


Wie sah Ihr Training am Anfang aus?


Badmann: Ich habe mit zwei Kilometer Joggen angefangen und war danach so stolz, dass ich mich bewegt habe. Das ist gar nix zu dem, was ich später gemacht habe. Darum sage ich: Das kann jeder. Heute ist es mein Ziel, das weiterzugeben. Ich möchte die Leute motivieren und ihnen zeigen, wie schön es sein kann. Es muss nicht gleich ein Marathon sein. Ich hab wirklich nur dreimal die Woche trainiert.



War das am Anfang eine Überwindung für Sie?


Badmann: Ja, ich hatte immer Ausreden (lacht). Ich hatte mir vorgenommen, dreimal die Woche Sport zu machen. Am Montag hatte ich eine Ausrede, und am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag auch. Am Freitag musste ich dann sagen: So, jetzt wird trainiert!



Wie lief dann der Weg zur Spitzentriathletin?


Badmann: Der Ausschlag war, dass mein Partner gemerkt hat, dass es mir gefällt. Er hat mich gefragt: "Möchtest du im Triathlon weitermachen? Dann mache ich dir einen Fünf-Jahres-Plan. Wir machen einen vorsichtigen Aufbau, und du wirst Freude daran haben und gesund bleiben." Das war natürlich in seinem Interesse, denn er wollte nicht in fünf Jahren einen Krüppel als Frau. Ich habe ganz langsam angefangen, dann die Intensitäten ein bisschen erhöht. Dann habe ich das erste Mal bei der Schweizer Meisterschaft mitgemacht, die Schweizer Meisterschaft gewonnen, eine Europameisterschaft mitgemacht, eine Europameisterschaft gewonnen.


1996 kamen Sie zum ersten Mal nach Hawaii.


Badmann: Ich habe das erste Mal den Duathlon in Zofingen gemacht und dort die Hawaii-Siegerin geschlagen. Dann hat Hawaii gesagt: "Dieses Schweizer Küken müssen wir auf Hawaii haben." So kam ich zu meiner ersten Hawaii-Teilnahme. Ich wusste nichts über Hawaii, ich musste im Atlas nachschauen.


Sie haben sechsmal auf Hawaii gewonnen. Haben Sie ein Talent für den Triathlonsport, oder haben Sie sich alles erarbeitet?


Badmann: Die Sportwissenschaftler haben zu meinem Coach gesagt: "Was willste denn mit der?" Also ich hatte kein Talent. Das ist erarbeitet, das ist Wille. Ich war eine der ersten Sportlerinnen, die das Mentale entdeckt hatte. Ich war all die Jahre auch körperlich nicht die stärkste Athletin, mein Kopf war das Starke.


Und wie trainiert man das Mentale?


Badmann: Ich habe täglich physisch trainiert, aber ich habe täglich auch eine Stunde Mentaltraining gemacht, indem ich versucht habe, meinen Geist zu programmieren - wie ein Programmierer das mit einem Computer macht. Ein Kernpunkt ist die Vorstellung. Ich habe sehr viel über Visualisierung gemacht. Ich habe mir vorgestellt, wie ich meine Leistung bringe, wie ich mich freue. Dann kamen die Worte hinzu, die ich mir programmiert hatte. Ein Energiewort, wenn ich müde bin, ein Ruhewort, wenn ich nervös bin. Als ich dann auf Hawaii war und bei Kilometer 3 Blasen an den Füßen hatte, da wusste ich, es gehen noch 39.


Sie waren nicht nur im Bereich des Mentalen, sondern auch in Sachen Material eine Pionierin. Inwiefern haben Sie den Triathlonsport geprägt?


Badmann: Als ich nach Hawaii kam, trug ich einen Aerohelm. Die deutschen Herren, die damals top waren auf Hawaii, sagten: "Mädchen, du kannst den Aerohelm nicht anziehen, das wird so heiß da draußen in der Wüste, da wirst du gekocht." Ich hab den Aerohelm probiert - und heute tragen alle einen. Ich kam mit einem Fahrrad, da haben alle gesagt: "Das Fahrrad kannst du nicht fahren, da bläst es dich von der Straße." Ich bin all die Jahre das Fahrrad gefahren. Das hat auch Mut gebraucht, solche Sachen zu probieren, obwohl man gesagt hat, das geht nicht.



Neben dem Mentalen, Training und der Ausrüstung ist die vierte Säule Ihres Erfolgskonzepts die Ernährung. Worauf legen Sie da besonderen Wert?


Badmann: Ich war wahrscheinlich 1995 die erste vegane Sportlerin. Ich habe aber gemerkt, es reicht nicht. Ich brauchte noch mehr Proteine und habe dann wieder Fisch gegessen. Wir haben mit Fettsäuren gearbeitet, mit Kurkuma. Heute reden alle von Kurkuma, das habe ich vor 20 Jahren schon genommen. Wenn man immer ein bisschen vorausschaut, dann sieht man auch, was Gutes kommen kann.



Sie haben unzählige Rennen gewonnen. Welcher Ihrer Siege war Ihr schönster?


Badmann: Der emotionalste war mein erster Sieg auf Hawaii. Ich kann das Gefühl noch so gut abrufen, das ist, wie wenn es gerade eben gewesen wäre. Ich war so erfüllt von Glück, dass ich das Gefühl hatte, ich will das Glück mit allen teilen, und es ist genügend Glück und Freude vorhanden für die ganze Welt. Ich wollte die ganze Welt umarmen.



Kommt dieses Glücksgefühl, weil man seine eigenen Grenzen überschreitet?


Badmann: Ja, aber es hängt auch damit zusammen, dass ich mir nicht vorgenommen hatte, gewisse Ränge zu erreichen. Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben, die Herausforderungen anzunehmen, locker zu bleiben und nicht zu sehr fokussiert zu sein auf äußere Umstände oder auf Zeiten. Sonst wird man zu verbissen. Wenn man dort hingeht, um zu gewinnen, muss man ja gewinnen, denn alles andere ist schon verlieren. Ein anderer braucht das, der muss sich diese Vorgaben machen, weil er sonst seine Ziele nicht erreichen kann. Für mich war das Ziel immer die Freude.

 


2007 wurden Sie auf Hawaii Opfer eines schweren Unfalls, als ein Motorradfahrer Ihnen den Weg abschnitt und Sie vom Rad stürzten. Wie sehr sind Sie davon heute noch beeinträchtigt?


Badmann: Ich habe das Comeback geschafft. Ich habe nicht mehr gewonnen, aber ich durfte auf Hawaii noch einmal Sechste werden. Dafür musste ich aber fünf Jahre Arbeit investieren. Klar ist es heute nicht mehr so wie vor dem Unfall, meine Schulter macht Probleme. Aber ich bin sehr froh und dankbar, dass ich noch Sport treiben kann.



Sie sind mittlerweile vom Profisport zurückgetreten. Wie viel trainieren Sie heute noch?


Badmann: Ich trainiere immer noch, aber nicht mehr so viel. Wenn es meinen Schultern nicht so gut geht, lasse ich das Schwimmen eben bleiben. Ich bin ein bisschen ein Schön-Wetter-Athlet geworden. Früher war ich die einzige, die draußen Rad gefahren ist, wenn es geregnet hat. Das habe ich auch fünf Stunden durchgezogen, wenn fünf Stunden auf dem Plan standen. Heute lasse ich das auch mal gut sein.



Warum haben Sie sich entschieden, zum ersten Mal beim Ingolstädter Triathlon teilzunehmen?


Badmann: All die Jahre davor war ich immer sehr eingebunden mit meiner Qualifikation für die Hawaii-Rennen, da haben solche Rennen nicht mehr reingepasst.



Triathlon wird immer beliebter, in Ingolstadt starten am Sonntag so viele Sportler wie nie zuvor. Sie sind seit mehr als 20 Jahren dabei. Wie hat sich der Sport in den vergangenen 20 Jahren gewandelt?


Badmann: Der Sport hat sich gewaltig entwickelt. Es ist alles schneller geworden, das Material und die Ernährung sind besser geworden. Ich habe mir am Anfang meine eigenen Getränke gemixt, heute gibt es alles fertig zu kaufen. Man trainiert heute auch besser. Viele Athleten haben einen Coach. Es hat sich professionalisiert.

Das Interview führten Christian Missy und Julia Pickl.

ZUR PERSON


Natascha Badmann wurde mit 17 Jahren Mutter und war unsportlich. Der damalige Schweizer Triathlon-Trainer Toni Hasler machte aus der heute 52-Jährigen eine Athletin, die sechsmal auf Hawaii gewann.