"Ich bin zum Erfolg verdammt"

Ingolstädter Sebastian Mahr ist Triathlon-Profi geworden

30.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:07 Uhr
Beim Ironman Barcelona im Oktober ist der Ingolstädter Triathlet Sebastian Mahr bis auf Platz vier gelaufen. Bis 2020 möchte der 30-Jährige in die Weltspitze. −Foto: FinisherPix

Der Ingolstädter Sebastian Mahr hat alles auf eine Karte gesetzt und ist Triathlon-Profi geworden. Am Ende seiner ersten Saison spricht der 30-Jährige über seinen vierten Platz beim Ironman Barcelona, selbsterzeugten Druck und seinen Kontostand.

Ein grauer Vormittag in der Ingolstädter Innenstadt. Sebastian Mahr (30) hat sich das Szenecafé District V als Treffpunkt ausgesucht. Mahr ist einige Minuten zu früh, er kommt zu Fuß. Weiße Schuhe, blaue Jeans und ein Kapuzenpulli. Eine Schirmmütze mit der Aufschrift "Schanzer Liebe" bedeckt die grau-mellierten Haare. Er bestellt schwarzen Kaffee.

Herr Mahr, Platz vier in 8:17 Stunden beim Ironman Barcelona war Ihr bisher größter Erfolg. Im Ziel haben Sie jedoch nicht glücklich gewirkt. Woran lag das?

Sebastian Mahr: Im ersten Moment war ich sehr enttäuscht, weil ich wusste: Es wäre deutlich mehr gegangen, wenn ich mich im Rennen anders verhalten hätte. Vor allem beim Wechsel vom Schwimmen auf das Rad. Ich war nach dem Schwimmen (48:28 Minuten, Platz 11, d. Redaktion) neben der Spur und habe in der Wechselzone nach dem Lauf- statt dem Radbeutel gegriffen und musste zurück. Dadurch habe ich die erste Radgruppe verpasst. Hätte ich dort mitfahren können, dann wäre ich um den Sieg mitgelaufen. Meine Leistungen im Trainingslager in Girona waren auf dem Rad deutlich besser als im Wettkampf. Ich war nicht voll ausgelastet - am Tag nach dem Wettkampf bin ich 14 Stunden mit dem Auto nach Hause gefahren, ohne einen einzigen Krampf.

Können Sie dem Rennen dennoch etwas abgewinnen?

Mahr: Wenn ich mich an die Fakten halte, war es ein Erfolg. Ich habe mich wieder verbessert, in der vierten Langdistanz bin ich wieder schneller gewesen. Ich bin in Barcelona einen Marathon gelaufen, der durchaus ein Ausrufezeichen war (2:45 Std., drittschnellste Zeit, d. Redaktion).

Beim Laufen wirken Sie oft wie in Trance, als würden Sie Ihre Umgebung nicht wahrnehmen. Ist das wirklich so?

Mahr: Ich habe in diesem Jahr mit einem Sportpsychologen zusammengearbeitet und mit ihm an meinem Wettkampfgefühl gearbeitet. Ich nehme es schon wahr, wenn mich jemand anfeuert. Aber für mich ist es wichtig, dass ich an gewissen Stellen die richtigen Infos bekomme von meinem Team, das bei den Wettkämpfen dabei ist. Zwischenzeiten oder Abstände zum Beispiel. Mich in einen Tunnel zu begeben, ist für mich falsch. Ich konzentriere mich in jedem Moment darauf, was ich gerade leisten kann - welche Geschwindigkeit ich laufen kann zum Beispiel. Dass ich mich nicht verrückt machen lasse, das war ein Augenöffner.

Wie wichtig ist der Kopf beim Triathlon?

Mahr: Derjenige, der es am meisten aushält, zu leiden und dabei am meisten bei sich selbst bleiben kann, hat Erfolg. Fit sind alle, die an den Start gehen.

Können Sie besonders gut leiden?

Mahr: Wenn es sein muss, kann ich über extreme Grenzen gehen. Daran habe ich auch mit meinem Psychologen gearbeitet. Jeder hat einen Punkt, an dem er sagt: Jetzt geht es nicht mehr. Die Frage ist, ob man diesem Punkt nachgibt.

Sie haben Psychologie studiert. Hilft Ihnen das im Training und im Wettkampf?

Mahr: Das Studium an sich hilft mir nicht wirklich. Aber das grundsätzliche Interesse am Themenfeld umso mehr. Konkret ist die psychologische Arbeit aber erst geworden, seitdem ich mich dieses Jahr an einen Psychologen gewandt habe.

Neben der Psyche spielt die Ernährung eine große Rolle im Triathlon. Sie sind Vegetarier. Hat es Auswirkungen auf die Leistung, kein Fleisch zu essen?

Mahr: Einige der weltbesten Triathleten sind Vegetarier oder sogar Veganer. Man muss den Punkt kennen, an dem zu viel Verzicht gefährlich wird, wie etwa bei kohlenhydratarmer Ernährung. Ich beschäftigte mich sehr viel mit meiner Ernährung, bisher klappt es gut. Man muss auf seinen Körper hören, nicht irgendwelchen Dogmen folgen.

Der Wettkampf in Barcelona liegt bereits knapp zwei Monate zurück. Was haben Sie seitdem gemacht?

Mahr: Ich war einige Zeit im Urlaub und habe fünf Wochen lang gar nichts gemacht. Ich habe jetzt wieder mit leichten Aktivitäten angefangen: Ein bisschen Laufen, Radfahren auf der Rolle, Squashen. Viel Unspezifisches. Ich bin jetzt gerade in der Übergangsphase zur neuen Saison.

Ihr Trainingslager vor dem Ironman in Barcelona haben Sie im nahegelegenen Girona absolviert. Dort trainiert auch der zweifache Ironman-Weltmeister Jan Frodeno. Sie haben wohl gehofft, ihm in Spanien über den Weg zu laufen.

Mahr: (lacht) Girona ist eine sportverrückte Stadt. Ich wollte schon immer mal dorthin. Wenn man triathlonaffin ist, muss man das gesehen haben. Das ist fast surreal - da sind sehr viele Profi-Radler und Triathleten unterwegs. Der Kontakt zu Frodeno hätte über meinen Trainer Roland Knoll (ehemals Frodenos Trainer, d. Red.) zustande kommen können - aber Jan hat seine Vorbereitung nicht in Spanien gemacht und war dann ohnehin verletzt.

Jan Frodeno als Superstar der Szene ist dank seiner Preisgelder und zahlreicher Sponsorenverträge ein Topverdiener. Können Sie vom Triathlon leben?

Mahr: Natürlich habe ich auch Sponsoren, die mich unterstützen. Wenn ich es aber runterrechne, reicht das Geld nicht aus, um die Saison annähernd zu finanzieren. Ich habe meine Ersparnisse aus den letzten Jahren in der abgelaufenen Saison aufgebraucht. Nebenher habe ich unter anderem als Schwimm- und Lauftrainer gearbeitet und Hobby-Athleten betreut, um mir etwas dazuzuverdienen. Auch von der Familie habe ich immer wieder Unterstützung bekommen, zum Beispiel für Trainingslager. Ohne die Familie würde es nicht gehen, ganz klar.

Sie sagen, Ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Heißt das, Ihr Sport muss sich im kommenden Jahr selbst tragen?

Mahr: Absolut. Ich bin jetzt an dem Punkt, wo ich sage: Ich muss jetzt wirklich Profisport betreiben. Das bedeutet, so viel Geld einsammeln, dass die Saison abgesichert ist. Alles andere macht langfristig keinen Sinn.

Von wie viel Geld sprechen wir?

Mahr: (überlegt) Wir reden von Berufssport. Das heißt, ich muss davon leben. Da gehört auch die Miete dazu. Mit 10000 Euro im Jahr komme ich zum Beispiel nicht weit.

Erzeugt der Blick auf den Kontostand Druck?

Mahr: Es geht wirklich nicht nur ums Geld. Aber ich muss schauen, wie es langfristig weitergehen kann. Von daher mache ich mir schon Druck. Ich bin zum Erfolg verdammt. Wenn er ausbleibt, finde ich keine Sponsoren und es wird schwierig, weiterzumachen. Dieser Druck kommt aber von mir selbst. Ich möchte in die Weltspitze, dafür muss ich mich auf eine Sache konzentrieren können.

Was meinen Sie damit?

Mahr: Einerseits geht es hier natürlich um den Sport, bis zu 35 Stunden Training pro Woche in den Hochphasen. Andererseits geht es aber auch um das Paket drumherum. Das heißt: Schlaf, Regeneration mit Massagen oder Dehnung, oder auch die Frage: wie viel Zeit habe ich, mich um meine Ernährung zu kümmern? Wenn man das hochrechnet, bin ich bei 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es gibt in dem Sinn keine Pausen.

Leidet das Privatleben unter diesem Vollzeit-Job?

Mahr: Ich hab das große Glück, dass mein enger Kreis das alles mitträgt. Und zwar so, dass ich mich emotional sehr aufgehoben fühle. Wenn es nicht so wäre, dann würde es nicht funktionieren. Wenn meine Freundin oder meine Familie sagen würde ?lass den Schmarrn', dann käme ich ins Zweifeln.

Um nochmals auf Frodeno zu kommen. In einem Interview hat er gesagt: "Sport ist das schönste Hobby der Welt - aber auch nicht mehr." Stimmen Sie ihm zu?

Mahr: Mittlerweile ja. 2017, als ich den Start auf Hawaii wegen einer Verletzung absagen musste, habe ich das Ganze zu verbissen gesehen und vergessen, dass es neben dem Sport auch viele andere lebenswerte Dinge gibt. Sport wird für mich immer wichtig bleiben, aber ich habe gelernt, dass es nicht nur auf den Sport ankommt.

Worauf noch?

Mahr: Zeit für meine Freundin, meine Familie und meine Freunde. Das vergisst man ein bisschen, wenn man in diesem Strudel gefangen ist. Ich vergesse oft, dass es viele gibt, die nicht im Kosmos Triathlon sind. Und: Gesundheit. Mit Sicherheit ist es nicht gesund, was wir Triathleten da machen.

Warum denn das?

Mahr: Ein Marathon ist nichts, was man jedes Wochenende machen sollte. Wenn dann noch das Radfahren und Schwimmen dazu kommen ist die Trainingsbelastung für den Körper einfach enorm. Ich kenne keine Sportart, in der die Leute 30 bis 35 Stunden in der Woche trainieren, so wie wir. Und das über Jahre hinweg.

Dennoch möchten Sie dem Profitriathlon treu bleiben. Was sind Ihre Pläne für 2019 - und darüber hinaus?

Mahr: Gerade ist die spannende Phase, zu eruieren, wie es weitergeht. Meine Wettkampfplanung hängt von meinem Budget ab, ich bin dabei, Sponsoren ins Boot zu holen. Ich kann nicht nach Südafrika oder Argentinien fliegen, wenn es der Kontostand nicht hergibt. Aber einen Fixpunkt habe ich: Bis 2020 möchte ich als Profi auf Hawaii sein. Das ist mein Traum. Ich werde also an einem Rennen teilnehmen, bei dem die Chancen hoch sind, mich zu qualifizieren. Das heißt: Die Ironman-EM Ende Juni in Frankfurt. Dort gibt es wahrscheinlich 3-4 Hawaii-Plätze für Männer. Alternative ist ein Herbst-Ironman für die Qualifikation 2020.

Und wenn das nicht klappt?

Mahr: Ich will im kommenden Jahr einen weiteren Schritt machen, bis 2020 in die Weltspitze. Ich muss aber auch realistisch bleiben: Wenn ich merke, dass es völlig in die Hose geht, dann will ich nicht krampfhaft versuchen, als Triathlonprofi zu überleben. Dann hake ich das Kapitel auch ab. Ich will nicht mit Mitte 30 sagen müssen: Ich weiß nicht, ob ich mir ein Kind leisten kann. Wenn ich von dem Sport nicht leben kann, dann muss ich das akzeptieren. Aber: Ich will es auf jeden Fall versuchen.

Das Gespräch führte Julian Bird.
 ZUR PERSON
Sebastian Mahr, Jahrgang 1988, hat Psychologie studiert und als Schwimmtrainer gearbeitet. In diesem Jahr ist er erstmals als Triathlon-Profi an den Start gegangen. Sein Schwerpunkt ist die Langdistanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer laufen). Trainiert wird Mahr von Roland Knoll, der in der Vergangenheit bereits Olympiasieger Jan Frodeno betreute.

Beim Ironman Barcelona in diesem Jahr erreichte Mahr den vierten Platz in 8:17 Stunden. Zu seinen weiteren Erfolgen in der abgelaufenen Saison zählen Platz fünf bei den Deutschen Meisterschaften über die Mitteldistanz in Ingolstadt und Platz 12 beim Challenge in Roth. Beim Halbmarathon Ingolstadt kam er als Dritter in 1:14 Std. ins Ziel.

2016 qualifizierte sich Mahr beim Ironman Barcelona bereits als Altersklassenathlet für die Weltmeisterschaft auf Hawaii. Wegen einer langwierigen Verletzung musste er den Start dort jedoch absagen. In den kommenden Jahren möchte der ehemalige Leistungsschwimmer in die Weltspitze des Triathlons. Sein großes Ziel: Als Profi zur Ironman-Weltmeisterschaft, die jedes Jahr im Herbst auf Hawaii stattfindet. 

jb