Jurastudium - Fußballerkarriere 1:0

21.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:05 Uhr
Kilian Seitle jetzt und damals: Mittlerweile peilt der 23-Jährige eine Rechtsanwaltskarriere in Sachen Baurecht an, vor gar nicht so langer Zeit hatte er noch für den SSV Jahn Regensburg gekickt und dort von einer Karriere als Profifußballer geträumt. −Foto: privat

Traumberuf Fußballprofi: Auch Kilian Seitle hatte es sich einst, als kleiner Bub, gewünscht, ihn irgendwann ausüben zu dürfen.Und ja, auch das sportliche Talent hierfür besaß er - nicht umsonstverbrachte der Hohenwarter fast seine gesamte Juniorenzeit beim FC Ingolstadt 04 beziehungsweise dem SSV Jahn Regensburg.Aber zum ganz großen Durchbruch klappte es dann doch nicht so schnell, wie es sich Seitle persönlich erhofft hatte. Also handelte er rigoros, verzichtete auf weitere Verträge"im großen Fußball" - und setzt mittlerweile voll auf seinen "Traumberuf Nummer zwei":Der 23-Jährige möchte jetzt "ein richtig guter Rechtsanwalt"in Sachen Baurecht werden.

 

Rechtes oder linkes Glied der Vierer-Abwehrkette, Innenverteidiger, "Sechser" im Mittelfeld: Alle diese Positionen liebte Kilian Seitle. Als er eben noch kickte. "Ich war ein sehr flexibler Typ", nickt er. Und zudem einer, der auf dem Fußballplatz richtig hinlangen konnte. "Tja, da ging mein Aggressivitätslevel tatsächlich immer wieder steil nach oben", bestätigt der Hohenwarter mit einem breiten Grinsen im Gesicht: "Und das ist irgendwie schon komisch, schließlich war ich außerhalb des Rasens stets ein netter sowie freundlicher Mensch. Und ich bin es hoffentlich noch immer."

Seitle als Kicker - das ist jemand, den jede Mannschaft brauchen kann. Einer, der knallhart Zeichen setzt. Der bedingungslosen Siegeswillen besitzt. Der mit seiner unwiderstehlichen Art alle anderen mitreißt. Wenn der mittlerweile 23-Jährige etwas will, dann versucht er alles, es auch zu bekommen. Sich mit halben Sachen abzugeben - nicht sein Ding. Er möchte gut sein. Er möchte sehr gut sein. Nur dann ist er zufrieden.

Bereits im Kindesalter war Seitle gut. Mit fünf Jahren hatte er das Kicken beim TSV Hohenwart begonnen, bereits mit elf Jahren wechselte er zum FC Ingolstadt 04. Der Paartaler hatte es sich nämlich bei einer damaligen Hallenkreismeisterschaft erlaubt, gleich mehrere Tore gegen die Mannschaft der Schanzer zu erzielen - und schon waren diese auf diesen kleinen Frechdachs aus dem Altlandkreis Schrobenhausen aufmerksam geworden. "Der Aufwand, viermal pro Woche zu den Trainingseinheiten nach Ingolstadt gebracht zu werden, war natürlich hoch. Aber meine Eltern sagten trotzdem sofort, dass ich's einfach mal ein halbes Jahr ausprobieren soll", erinnert sich der inzwischen 23-Jährige.

Aus dem halben Jahr wurde anschließend fast seine komplette Juniorenzeit, denn bis zum jüngeren U19-Jahrgang kickte er fortan stets für den Nachwuchs des aktuellen Drittligisten. "Eine schöne Zeit" sei's gewesen: "Ich habe extrem viel dort gelernt." Mit den U17-Junioren des FC 04 gewann Seitle gar die Bayernligameisterschaft, führte sie dadurch in die Bundesliga nach oben. "Und doch merkte ich 2013, dass meine Zeit in Ingolstadt vorbei ist", berichtet Seitle. Mit seinem damaligen Coach, dem späteren Zweitligatrainer Tomislav Stipic, sei er damals aneinandergeraten - "und irgendwie hatte ich hierdurch die Befürchtung, dass für mich beim FC 04 daraufhin ein paar wuchtige Türen geschlossen bleiben könnten."

Also weg. Nur wohin? "Ein guter Kumpel von mir hatte schon immer vom SSV Jahn Regensburg geschwärmt, folglich machte ich dort ein Probetraining - und mir hat's auch von Anfang an gefallen", erinnert sich der Hohenwarter. Das folgerichtige Ja in Richtung der Oberpfälzer habe er dann in keiner Millisekunde bereut. "Das war sogar eine richtig schlaue Entscheidung von mir gewesen", so Seitle: "Denn alle Leute beim Jahn bilden eine lässige Truppe, mit denen die Zusammenar-beit extrem viel Spaß macht."

Ja, das Talent fühlte sich in Regensburg sofort pudelwohl, entwickelte sich dort kontinuierlich weiter, stellte mehr denn je einen richtig guten Kicker dar. Aber bei aller Liebe zu seinem Sport: Der Hohenwarter wusste sehr wohl, dass es noch ein anderes Leben außerhalb dieser "Traumwelt Profifußball" gibt. Dass er eventuell den ganz großen Sprung doch nicht schaffen würde. Dementsprechend war's für ihn selbstverständlich, am Pfaffenhofener Schyren-Gymnasium das Abitur zu machen. "Ich war zwar kein vorbildlicher Schüler, aber immerhin einer, der immer wusste, wann es brenzlig wird - und der sich in diesen Momenten dann besonders konzentrieren konnte", erzählt der 23-Jährige jetzt lachend. Dass er in der letzten Klasse zwischen Hohenwart, Pfaffenhofen und Regensburg pendeln musste - Seitle nahm's ohne Murren auf sich. Übrigens ebenso wie seine Eltern, die den Filius in jener Zeit ja noch fahren mussten. "Dass sie alle meine ,Spinnereien' so mitgemacht haben, dafür werde ich ihnen in der Tat ewig dankbar sein", so Kilian.

Als A-Junior hatte er also schon sein Abi in der Tasche. Aber was nun? Das nächste Jahr vollste Konzentration auf den Fußball - komplett ohne andere Herausforderung? "Für mich war ziemlich schnell klar, dass das nicht das Wahre ist", erinnert sich Seitle: "Daher begann ich einfach mal ein Jurastudium in Regensburg - eigentlich ohne es zu Beginn wirklich ernst damit zu meinen."

 

Bloß das änderte sich. Kontinuierlich, von Woche zu Woche - auch weil sein Mentor Klaus Englert und dessen Kanzlei in Schrobenhausen viel Zeit sowie Mühe in das Jungtalent aus Hohenwart investierten. "Von dieser Seite wurde mir sehr schnell auf beeindruckende Weise gezeigt, dass auch in dieser beruflichen Richtung extrem viel für mich möglich ist", berichtet der inzwischen 23-Jährige: "Und nach gar nicht so langer Zeit wusste ich, dass ich auf dieser Seite sogar besser aufgehoben bin als beim Fußball."

In der Saison 2017/18 gab Seitle trotzdem nochmals so richtig Gas beim SSV Jahn. Auf dem Sprung in den Regensburger Zweitligakader stand er ja tatsächlich in jener Phase - aber hin zur Stammkraft im Profibereich schien's doch weiterhin ein weiter Weg zu sein. Ein zu weiter für den Hohenwarter - so dass er während der Spielzeit das Gespräch mit dem "Macher" der Oberpfälzer, dem Geschäftsführer Christian Keller suchte. Dass der Funktionär hierbei dem ehrgeizigen Seitle nicht versprechen konnte, dass sein Durchbruch im Zweitligateam unmittelbar bevorstehen würde - wohl logisch. Auch das Talent aus dem Altlandkreis Schrobenhausen sah dies ein - und doch war ihm das zu wenig. Sein klarer Entschluss danach: Er werde seinen im Sommer 2018 auslaufenden Vertrag beim SSV Jahn nicht verlängern, sondern stattdessen vollständig auf die Karte "Jurastudium" setzen.

Nein, diese Entscheidung stieß wahrlich nicht überall auf Gegenliebe. "Opa, Dad, Geschäftsführer Keller - sie alle konnten überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich mich so schnell und so rigoros festgelegt habe", erinnert sich Seitle: "Aber ich war mir absolut sicher, das Richtige zu tun. Und bis jetzt hat tatsächlich alles super hingehauen, ich befinde mich definitiv auf dem richtigen Weg für mich."

Wie schon anfangs erwähnt: Mit halben Sachen gibt er sich nicht zufrieden. So war's für ihn folgerichtig, dass nach seiner Zeit beim SSV Jahn Regensburg auch kein Fußball irgendwo weiter unten infrage kommt - mit der Konsequenz, dass der inzwischen 23-Jährige seit dem Sommer 2018 komplett vereins-los ist, seitdem kein Pflichtmatch mehr bestritten hat. Ob es bei dieser Enthaltsamkeit für immer bleiben wird? Achselzucken bei ihm: "Grundsätzlich würde es mich schon noch jucken. Aber wenn ich jetzt in der Bayern- oder Regionalliga wieder beginnen würde, würde der Aufwand neben meinem Jurareferendariat zu groß werden."

Zugegeben, er könnte ja auch bei einem unterklassigen Verein anfangen. "Aber ich bin seit meinem zwölften Lebensjahr immer viermal pro Woche im Training gewesen, hatte in Ingolstadt sowie in Regensburg eine hervorragende Ausbildung genossen. Da habe ich jetzt definitiv keine Lust darauf, mich über Mitspieler zu ärgern, die zum Beispiel eine simple Viererkette nicht verstehen", erklärt der Hohenwarter: "Das soll jetzt bitte schön nicht arrogant wirken - aber da mache ich in Sachen Sport doch lieber etwas komplett anderes." Kickboxen etwa würde ihn reizen. "Bloß ausprobiert habe ich das noch nicht", berichtet er lächelnd.

Auch deswegen nicht, weil Seitle zurzeit voll und ganz in seinem "Traumberuf Nummer zwei" aufgeht. Ja, er möchte "ein guter Baurechtler" werden - beziehungsweise "ein guter Anwalt, der seinen Mandanten wirklich etwas bringt". Im nächsten Winter wird der 23-Jährige bereits sein zweites Examen absolvieren - und er ist so motiviert wie eh und je. "In der Kanzlei vom Professor Englert befinden sich durch die Bank lautet Superjuristen. Ihnen nachzueifern, das ist mein großes Ziel", sagt der Hohenwarter mit leuchtenden Augen. Und gerade seinen Chef lobt er immer wieder über den grünen Klee. Kein Wunder, schließlich hat dieser ihn vor kurzem auch dazu auserkoren, an einem Buch von ihm mitzuarbeiten. "Das ist selbstverständlich eine große Ehre für mich", so Seitle dankbar.

Er wirkt glücklich. Sowie hundertprozentig überzeugt von dem, was er aktuell tut. Gedanken, vielleicht doch eine große Fußballerkarriere vorschnell aufgegeben zu haben, hat der junge Mann aus dem Altlandkreis Schrobenhausen nicht: "Ich habe damals sehr intensiv überlegt, ob ich mit voller Kraft in Richtung Rechtsanwalt gehen möchte oder nicht. Aber wenn bei mir eine Entscheidung irgendwann steht, dann passt diese auch. Dann blicke ich nicht mehr zurück." Seitle ist also völlig mit sich im Reinen. "Ich durfte eine geile Zeit als Fußballer erleben, für die ich immer dankbar sein werde. Und jetzt freue ich mich auf eine geile Zeit als Rechtsanwalt."

SZ

Roland Kaufmann