Schrobenhausen
Diesmal Wittelsbacher Land, bald USA?

16.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:25 Uhr
Energisch bei der Sache: Tina Rupprecht (l.) hatte ihre Kontrahentin Niorkis Carreno stets unter Kontrolle. Selbst ein Cut neben dem linken Auge konnte sie in Kühbach nicht stoppen. −Foto: S. Kerpf

Schrobenhausen (SZ) Es ist vollbracht, Tina Rupprecht bleibt WBC-Boxweltmeisterin im Minimumgewicht. Rund 1100 Zuschauer waren am Samstagabend live in Kühbach dabei, als die 26-jährige Augsburgerin ihren Titel erfolgreich gegen die Venezuelanerin Niorkis Carreno verteidigte.

Der Cut neben ihrem linken Auge? Das darauf klebende Pflaster? "Völlig egal", sagt Tina Rupprecht. Ein breites Grinsen folgt - so, wie es bei ihr relativ häufig der Fall ist. Aber diesmal wirkt das Lächeln sogar noch gelöster als sonst - denn die Blondine weiß nur zu gut, dass ihr an diesem 15. Dezember 2018 wahrlich Außergewöhnliches gelungen ist.



Was bitte schön war das für eine Demonstration ihrer Stärke! Ihre Herausforderin aus Südamerika: wahrlich keine Laufkundschaft, sondern mit einer Riesenportion Power, mit einer beeindruckenden Schlagkraft ausgestattet. Und was machte "Tiny Tina" mit ihr? Sie ließ der bedauernswerten Niorkis Carreno schlichtweg keine Siegchance, sondern bestimmte quasi von der ersten Sekunde an das Geschehen - bis zum Schlussgong, bis alle Anspannung der vergangenen Wochen und Monate mit einem Schlag von ihr abfielen. Der fairen Gegnerin aus Venezuela blieb da nichts mehr anderes übrig, als brav zu gratulieren - und sich nach dem Umziehen sogar ins Krankenhaus zu verabschieben. Ja, auch Carreno hatte im Laufe des Kampfes einen Cut erlitten - nämlich neben dem rechten Auge - nur bei ihr war's nicht mit einer schnellen Erstversorgung getan, für sie ging's stattdessen zum Nähen ins Hospital.

Rupprecht genoss da schon längst das Bad in der Menge. Keine ewig lange Dopingprobe hinderte sie diesmal daran, auch ansonsten lief für die 26-Jährige alles wie am Schnürchen. Ja, das war schlichtweg ihr Abend - umgeben von Familienmitgliedern, Freunden und unzähligen Fans, die ihr im Wittelsbacher Land gaaanz fest die Daumen gedrückt hatten. "Ihrer" Tina, die trotz ihrer riesigen Erfolge immer noch eine von ihnen ist - nicht einmal im Ansatz abgehoben, sondern weiterhin wohltuend volksnah und authentisch.

Vor einigen Wochen hatte die Augsburgerin ja einen Vertrag bei Petko's Boxpromotion unterzeichnet, einem ganz Großen der Szene - quasi als nächsten Schritt die Karriereleiter nach oben. Und das in Dachau ansässige Unternehmen ist auch mächtig stolz, sie im Stall zu haben, wie Geschäftsführerin Nadine Rasche gerne bestätigt: "Tina hat absolut das Zeug dazu, zu einer Ikone des Frauenboxens in Deutschland zu werden."

So wie eine Regina Halmich in den 90er Jahren sowie anfangs des neuen Jahrtausends? Dieser Vergleich mit der einstigen Fliegengewichtsweltmeisterin aus Karlsruhe gefällt der Managerin nicht ganz so gut: "Tina ist Tina - und Regina ist Regina. Außerdem befinden wir uns mittlerweile in einer anderen Zeit."

Der Abend in Kühbach war jetzt der erste, den Petko's Boxpromotion mit Rupprecht als Hauptkämpferin ausrichtete - das Ganze unter dem Motto "The Champ is back home" in ihrer schwäbischen Heimat. "In sportlicher Hinsicht lief es absolut toll", so Rasches erstes Fazit. Aber vollständig glücklich wirkt sie dann doch nicht - weil die Zuschauer nicht wie gewünscht in die TSV-Stockschützenhalle pilgerten. Rund 1100 waren's am Ende, knapp 1400 hätten es sein können. "Dass wir nicht komplett voll waren, das ist schon ein bisschen schade", so die Geschäftsführerin ehrlich - ohne dabei zu vergessen, den Helfern vor Ort trotzdem ein Riesenlob auszusprechen: "Wir fanden hier tolle Bedingungen vor, wurden von allen Seiten hundertprozentig unterstützt."

Selbst aus Schrobenhausen war im Vorfeld der Veranstaltung wichtige Hilfe gekommen - in Form von rund 900 Stühlen, die am Freitag kurzfristig nach Kühbach transportiert worden waren. Für rund fünfeinhalb Stunden Boxsport der Spitzenklasse am 15. Dezember 2018, für ein für den Raum Schrobenhausen/Aichach außergewöhnliches Ereignis. Natürlich, der WM-Fight von "Tiny Tina" überstrahlte letztlich alles - aber auch die acht vorherigen Herrenkämpfe hatten es in sich. Athleten aus Deutschland, Bosnien, Georgien, Kanada, Rumänien, Argentinien sowie Russland stiegen hierbei zwischen 18.20 Uhr und kurz vor 23 Uhr in den Ring, - live übertragen im Internet sowie im TV. Leon Harth aus dem westfälischen Detmold kürte sich im Laufe des Abends sogar zum neuen Träger des "WBC-Asia-Championship"-Gürtels im Halbschwergewicht - dank eines einstimmigen Punktsieges gegen Ibragim Tsurov aus der Oblast Moskau. Die spektakulärsten Schläge des Abends packte derweilen der Kanadier Ryan Ford in der gleichen Gewichtsklasse aus - nicht unbedingt zur Freude seines Kontrahenten Kovica Kokot, denn der handelte sich dadurch zunächst eine blutige Nase ein und ging anschließend auch noch krachend K. o.

Rupprecht bekam von all dem nichts mit, zu diesem Zeitpunkt saß sie noch ungestört in ihrer Umkleidekabine, bereitete sich konzentriert auf ihren Auftritt vor. Ihr Lebensgefährte Tobias Weiland, versprühte derweilen im Zuschauerbereich große Zuversicht. "Nervös? Nein, das bin ich absolut nicht. Tina wird das definitiv wieder rocken", sagte der 27-Jährige. Weil er das so sagen musste? Kopfschütteln beim aktuellen Fußball-Spielertrainer des SV Bergheim in der B-Klasse Augsburg Mitte: "Nein, weil ich hundertprozentig davon überzeugt bin. Sie ist einfach die Beste."

"Tiny Tina ist die Beste " - so selbstverständlich auch die Meinung von Gisela und Manfred Ludwig. Sie sind Rupprechts Großeltern und zugleich wahre Edelfans der 26-Jährigen. Egal, ob Kampf, offizielles Wiegen oder PR-Termin - es gibt normalerweise nichts, was sie sich von ihrem Enkel entgehen lassen. Dabei leidet doch gerade die Oma stets heftig mit - wie auch diesmal. "Ihr geht's gerade net so gut", vermeldete Manfred Ludwig kurz vor Kampfbeginn leicht besorgt. Trotzdem, Daumen hoch von Gattin Gisela: "Natürlich packt's die Tina wieder." Da konnte doch gar nichts mehr schiefgehen.

Und es ging ja auch nichts schief. Rupprecht schon beim Einmarsch unter den Klängen von "Sail" der US-Rockband Awolnation: höchst konzentriert. Die deutsche Hymne im Ring sang sie dann leidenschaftlich mit - und der Rest war eben eine Demonstration ihrer boxerischen Stärke. Die abschließenden Wertungen der drei Punktrichter: 96:92, 97:91, 96:92.

"Ich musste die Tina am Anfang sogar bremsen", verrät ihr Entdecker sowie Cheftrainer Alexander Haan. Die alte und neue Weltmeisterin lacht derweilen: "Ich bin halt megafit, hätte am Ende locker noch zwei Runden gehen können." Ihr Traum für die Zukunft: "Irgendwann mal ein Kampf in den USA oder Mexiko, auf einer richtig großen Bühne, das wäre mega." Stellt sich jetzt nur die Frage, wie sie dann ihre "blaue Wand" - ihre stets blau gekleideten Edelfans - dorthin bringen möchte.

Roland Kaufmann