Ingolstadt
Zwischen Partysieger und Meisterschaften

01.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:33 Uhr

Foto: DK

Man kennt das ja bestens von der warmen Jahreszeit. Egal, ob man am Meer, im Park oder am See liegt, irgendwo stehen sich mehrere Menschen in größerem Abstand gegenüber und werfen sich eine Kunststoffscheibe zu. Gerne stolpern die Frisbee-Spieler dann zwischen in der Sonne liegenden Menschen umher, bis das Wurfgerät schließlich in einer Baumkrone oder andersartiger Botanik landet und ungelenk wieder zurückerobert werden muss.

Mit ungelenkem Urlaubszeitvertreib hat das, was die Ultimate Frisbee Gruppe des TSV Ingolstadt-Nord macht, nicht im Entferntesten etwas zu tun. Rund 15 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters beginnen auf dem Kunstrasenplatz der Ingolstädter Bezirkssportanlage Nord-Ost das Training mit Passübungen. Dabei werden sowohl der Vorhand- als auch der Rückhandpass immer und immer wieder geübt. "Wir machen Zehnerserien der verschiedenen Pässe in unterschiedlichen Positionen", erklärt Abteilungsleiter David Beier. "Wenn ein Pass nicht funktioniert, beginnen wir wieder am Anfang der entsprechenden Serie."

Mit Beier kam Ultimate Frisbee überhaupt erst nach Ingolstadt. Im Studium in Ilmenau lernte er 1998 das Spiel kennen und lieben. Als es ihn 2004 beruflich nach Ingolstadt zog, begann er im Park mit Studenten, die das Spiel ebenfalls kannten, zu spielen. "Die Community ist sehr offen und eine große Familie", sagt Beier. "Es kann jeder einfach mitspielen, wenn er mag." Aus der lockeren Runde aus dem Klenzepark wurde 2012 eine eigene Abteilung. "Wir hatten mehrere Ingolstädter Vereine angeschrieben, aber manche waren nicht so begeistert davon, dass wir ihren Rasen benutzen", berichtet Beier schmunzelnd. "Der TSV Ingolstadt-Nord war da aber von Anfang an sehr offen für eine neue Sportart."

Zurück auf den Kunstrasenplatz an der Wirffelstraße. Trainer Daniel Nolte zeigt auf einer Taktiktafel die Laufwege für die kommende Übung an. Pass, schneller Antritt, abbremsen, Lauftäuschung, Sprint und einen 30 Meter langen Pass fangen. Wer selbst einmal eine Frisbeescheibe in der Hand hatte, staunt, wie präzise die Spieler über große Distanzen die Scheibe punktgenau in den vollen Lauf des Mitspielers werfen können. "Wir trainieren hier die Laufwege, die typischerweise im Spiel vorkommen", sagt Spieler Thomas Kiesling. "Es ist allgemein ein sehr laufintensiver Sport."

Trotz des ernsthaften Trainings mit erfahrenen Spielern versuchen die Ingolstädter, einen Spagat zu schaffen. "Wir versuchen, alle mitzunehmen", erklärt Beier. "Wir haben immer wieder Anfänger dabei, die erst die Grundtechniken wie den richtigen Wurf üben müssen. Gleichzeitig haben wir Spieler, die Ultimate Frisbee auf einem hohen Niveau betreiben." Ideal für diese Konstellation sind die von vielen Vereinen organisierten Spaß-Turniere. Diese Veranstaltungen werden von den Teams genutzt, um sich auf deutsche Meisterschaften vorzubereiten. Dennoch zeigt sich hier der Eventcharakter, der Ultimate Frisbee ebenfalls ausmacht. "Bei diesen Turnieren werden meistens vier Titel ausgespielt", sagt Spielerin Ursula Weinhuber. "Es gibt einen Turniersieger, einen Partysieger, einen Beer-Race-Sieger und einen Spirit-Sieger."

Dieser "Spirit of the Game" stellt auch das dar, was die Sportart von anderen deutlich unterscheidet. Dieser Geist des Spiels bedeutet weit mehr als das von anderen Sportarten pflichtbewusst betonte Fair-Play. Ultimate Frisbee wird körperlos und häufig ohne Schiedsrichter gespielt. Bei Spielsituationen mit strittiger Regelauslegung diskutieren die Spieler die Regelentscheidung aus. "In der Ultimate-Frisbee-Community mag jeder jeden", sagt Weinhuber. "Häufig spielen die Spieler in verschiedenen Teams mit."

Beer-Race-Rallye und eine Atmosphäre wie bei Woodstock nur mit Frisbee statt Jimi Hendrix - man bekommt schnell eine falsche Vorstellung von der Sportart. Beier als Abteilungsleiter der Ingolstädter und Nolte als vom Deutschen Frisbeesport-Verband ausgebildeter Trainer haben dazu beigetragen, dass es nicht bei den Gauditurnieren bleibt. Während der Wintersaison spielt Ingolstadt-Nord in einer Liga mit hauptsächlich Münchner Vereinen, bisheriges Highlight war die Teilnahme an der Deutschen Indoor-Meisterschaft. Dabei traten die Ingolstädter zwar auf der untersten Ebene in der 3. Liga an, dennoch markierte es den Höhepunkt der bisherigen Abteilungsgeschichte. Auf genau solche Wettkämpfe trainiert die Gruppe intensiv hin. "Bei den Deutschen Meisterschaften wollen es die Mannschaften schon wissen", sagt Beier. "Da geht es um Aufstiege und Abstiege."

Das Abschlussspiel des Mannschaftstrainings verdeutlicht dann auch: Das ist keine Halligalli-Sportart. 30 Minuten lang spielen zwei Mannschaften sechs-gegen-sechs auf die Länge eines Fußballfeldes. "Beim Ultimate Frisbee läuft man in einem offiziellen Spiel bis zu 13 Kilometer", sagt Nolte. Die Sportart beansprucht Kondition, Schnelligkeit, Koordination und die sportartspezifische Wurf- und Fangtechnik. Auch die taktischen Elemente sind entscheidend. Welche Angriffslaufwege wählt man? Verteidigt man in einer Zonen- oder einer Manndeckung? Und wie reagiert man als angreifende Mannschaft darauf? "Wir wollen hier alle Spieler weiterentwickeln", sagt Beier. Dafür stellt Ingolstadt-Nord zweimal die Woche ein strukturiertes Training.

Auf lange Sicht ist das Ziel auch bei Deutschen Outdoor-Meisterschaften teilzunehmen. Die Gruppe ist etabliert, es kommen immer neue Spieler zur Mannschaft - der erste Schritt ist der Abteilung gelungen. "Zu den Deutschen Meisterschaften ist es aber ein langer Weg", meint Beier. "Wir müssen viel Erfahrung sammeln, haben auch eine gewisse Fluktuation in der Gruppe und wenn man mehrere Turniere spielt, wird es sehr zeitintensiv." Vor allem über mehr weiblichen Zulauf würde man sich bei den Ingolstädtern freuen, um auf Turnieren häufiger Mixed-Teams stellen zu können. Denn auch das ist etwas Besonderes am Ultimate Frisbee. Es machen alle mit. Frauen spielen gemeinsam mit Männern, man kann den Sport auch im gesetzteren Alter betreiben.