Pfaffenhofen
Virtuelle Vorreiter aus Uttenhofen

Der BFV hat die Bedeutung von eSports erkannt und eine Fifa-Liga etabliert - Dort ist der BCU der erste Klub des Kreises Donau/Isar

23.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:45 Uhr
Mehr als nur Daddeln: Tobias Wirz spielt Fifa 20 in der eFootball-League des BFV für den BC Uttenhofen und auf seinem Youtube-Kanal (oben) und ist somit Teil des stark wachsenden Geschäftszweigs eSports. Spiele wie League of Legends füllen ganze Fußballstadien (unten links). In seinem echten Fußballerleben läuft Wirz für den BCU meistens in der Defensive auf. −Foto: Wenck/dpa, Stolle, privat

Pfaffenhofen - In der 27. Spielminute fällt - fast schon folgerichtig - das 1:0 für Augsburg.

 

Alfred Finnbogason schießt, 1860-Keeper Marco Hiller kann nur abwehren und Florian Niederlechner staubt zur Führung ab. Nach einer ausgeglichenen Anfangsphase hatte sich das angedeutet. Die Schwaben erspielten sich schnell ein Chancenplus. Kurz vor dem Gegentor hatte es der Gegner von Luis Wirz irgendwie schon befürchtet: "Oje, das gibt wahrscheinlich eine Packung. " Wirz hatte da noch über das Headset beruhigt: "Ich bin gerade aufgestanden, ich weiß nicht, ob das eine Packung wird. " Wenige Augenblicke später gelingt dem 20-jährigen Student dann aber doch der Führungstreffer in dieser Fifa-Partie.

An einem Sieg von Wirzilinho23, wie sich der Pfaffenhofener bei Fifa nennt, zweifelt eigentlich schon beim Einschalten der Playstation für das vereinbarte Online-Spiel weder er selbst noch sein Gegner. Denn Wirz ist vom Fach. Auf dem Rasen spielt der Student für den BC Uttenhofen in der Kreisklasse, an der Konsole in der Bayernliga. Der Bayerische Fußball-Verband (BFV) hat für das Fußballsimulationsspiel Fifa 20 einen Liga-Betrieb, Turniermodelle und einen Pokalwettbewerb ins Leben gerufen. Alle Formate erfreuen sich steigender Beliebtheit. Wandert da gerade der Deutschen liebstes Spiel vom grünen Rasen auf die schwarze Mattscheibe?

Was die Strukturen betrifft, holt die digitale Variante auf jeden Fall auf. Nicht nur das Angebot des Konsolensports wächst stark, das System wird auch zunehmend ausdifferenziert. In diesem Jahr startete der BFV die erste Saison in der offiziellen eFootball-League. Die beiden Bayernliga-Staffeln sind nicht nur namentlich an das Struktursystem des BFV angelehnt, sie funktionieren auch so. Jeweils 18 Vereine in der Nord- und Südstaffel spielen an 17 Spieltagen im Modus Jeder-gegen-Jeden um Punkte - angesetzt natürlich an einem festen Termin, nämlich jeden Sonntagabend um 19 Uhr.

Als Wirz eine Ankündigung für diese Fifa-Liga im Internet sah, fragte er "mehr oder weniger aus Spaß" einige seiner Mitspieler, ob sie Lust hätten mitzumachen. Vier Teamkollegen meldeten sich, eine Mannschaft in der eFootball-League besteht aus mindestens drei und maximal fünf Spielern. Also trafen sich die BCU-Fußballer sonntags abends zum Zocken. "Wir sind es locker angegangen und haben dabei ein paar Bierchen getrunken", sagt Wirz. Das war vor Corona, jetzt treffen sich die Uttenhofener auf Videochat-Plattformen, um miteinander über die Spiele zu reden. An jedem Spieltag spielt der BC Uttenhofen zwei Fifa-Partien gegen die eSports-Mannschaft eines anderen bayerischen Fußballvereins, die beiden Ergebnisse werden zu einem finalen Resultat addiert. Die Fifa-20-Partien werden auf der Playstation 4 ausgetragen, die beiden Staffelsieger erhalten Sachpreise und spielen einen Gesamtsieger aus, der 1000 Euro Preisgeld erhält.

 

Dieses Modell kommt bei den bayerischen Vereinen gut an. "Für die eFootball-League gibt es auch jetzt noch viele Anfragen von Vereinen, in die laufende Saison einzusteigen bzw. großes Interesse, beim künftigen Liga-Betrieb dabei zu sein", erklärt der BFV auf Anfrage. "Generell ist spürbar, dass Vereine sich verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen. " Auf der eSports-Plattform des BFV ist die Möglichkeit, Vereinsturniere auszutragen, mit mehr als 20 Veranstaltungen derzeit ausgebucht, die im Zuge der Corona-Krise gegründeten #StayAtHome-Cups verzeichnen über 600 Teilnehmer. Profiklubs wie der 1. FC Nürnberg oder der FC Augsburg richten ebenfalls Turniere aus.

Das Geschäft mit eSports ist ein Wachstumsmarkt. 205 Millionen Zuschauer verfolgten im Jahr 2018 das WM-Finale des Multiplayer-Spiels League of Legends, 2019 verdoppelten sich die Zahlen auf manchen Kanälen. Public-Viewing-Veranstaltungen in Südkorea haben schon Fußballstadien gefüllt. Dass eSports nicht mehr reines Daddeln zum Zeitvertreib ist, wissen auch Skeptiker schon länger. Dass Fußballverbände und -vereine mitmischen, ist relativ neu.

Vorbehalte gibt es zwar noch immer - Borussia Dortmund lehnt eine eSports-Abteilung ab, Uli Hoeneß gilt als großer Gegner - doch letztendlich ist es eine Generationenfrage. BCU-Fußballer Wirz bezweifelt, dass in seinem Verein überhaupt alle wissen, dass einige Spieler der Ersten Mannschaft die Fahnen des Klubs online hochhalten. "Die älteren Spieler in der Mannschaft interessiert das überhaupt nicht", sagt Wirz. Auch den BFV begleitete vor dem Verbandstag 2018 Skepsis. Trotzdem wurde eFootball laut Verbandsangaben mit der "überragenden Mehrheit der Delegiertenstimmen in die Satzung aufgenommen". Man müsse sich permanent Gedanken machen, wie man insbesondere den Nachwuchs für den Fußball und die Vereine begeistern kann, schreibt der BFV. Nur als Verband könne so ein Angebot gestemmt und allen Vereinen zugänglich gemacht werden. Ganz nebenbei lasse sich durch die Vermarktung der Online-Veranstaltungen auch Geld verdienen, das wiederum dem Fußball zu Gute komme soll.

Anders ausgedrückt: Die Jugend spielt eh Fifa, dann sollen sie idealerweise auf den BFV-Kanälen zocken. Auch Wirz und seine Freunde spielen viel und natürlich auch andere Spielmodi. "Mit unserer ProClub-Mannschaft sind wir abends unterwegs und rasieren die Online-Welt", sagt Wirz lakonisch über einen Modus, in dem jeder Fifa-Spieler anders als sonst nur einen virtuellen Fußballer steuert. In der Bayernliga läuft es für Uttenhofen ganz okay. "Am Angang haben die Ergebnisse nicht so gepasst", sagt Wirz. Nach zehn Spieltagen steht Uttenhofen mit der ausgeglichenen Bilanz von vier Siegen, vier Niederlagen und zwei Unentschieden auf Rang zwölf. Auch wenn die BCU-Spieler es locker angehen, "gewinnen will man immer", sagt Wirz.

 

Das sieht man auch in der Fifa-Partie gegen den 20-Jährigen zu Recherchezwecken. Gespielt wird - wie in der eFootball-Bayernliga auch - im 85er-Modus. Das bedeutet: Alle Fußballer haben die Gesamtwertung 85, je nach Position hat jeder Spieler auch die gleichen Werte bei Antritt, Schusskraft oder den anderen Parametern. Und weil in der eSports-Liga nur bayerische Vereine ausgewählt werden dürfen, lautet die Begegnung: FC Augsburg gegen 1860 München. "Ich nehme immer Augsburg, weil sie in der Innenverteidigung zwei große Spieler haben", sagt Wirz, der im echten Fußballerleben Defensivallrounder ist. "Außerdem mag ich den Sturm mit Finnbogason und Sergio Córdova. "

Mit dem Avatar des Venezuelaners erzielt Wirz seinen dritten und vierten Treffer. Wenn man es nicht besser wüsste, man würde sagen der Förnbacher spielt Fifa mindestens auf Bayernliga-Niveau. Beim Stand von 4:0 kassiert Wirz aber ein Gegentor. "Der Augsburger Keeper ist schlecht", ist die lapidare Analyse des 20-Jährigen. Als Wirz einen Pass des 1860-Keepers abfängt und frei vor dem Tor steht, schiebt er den Ball wieder zurück. "Solche Tore schieße ich nicht. " Das Spiel endet 5:1.

In der eFootball-Saison warten härtere Gegner, das Format gefällt dem BCU-Fußballer. "Ich finde das cool, wie der BFV das aufzieht", sagt er. "Ich würde mir wünschen, dass mehr Vereine aus der Region ein Team anmelden, damit es virtuelle Derbys gibt. " Uttenhofen ist der einzige Vertreter aus dem Kreis Donau/Isar. Neben Fifa spielt Wirz auch Warzone oder den Football-Simulator Madden - und geht davon aus, dass die Bedeutung des virtuellen Sports in den kommenden Jahren steigen wird.

Das sieht auch der Verband so. Bei dem Ziel, den Fußballsport in den Vereinen zukunftssicher zu gestalten, sei eSports laut BFV eine recht neue Facette - aber eine mit Potenzial. "Der BFV will dabei für seine Vereine der Unterstützer und Impulsgeber sein", schreibt der Verband, der von einer steigenden Entwicklung des eSports ausgeht. Während die meisten Sportarten befürchten, wegen der Corona-Krise finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen, wird eSports von der gegenwärtigen Situation wohl eher profitieren. Es sei derzeit spürbar, "dass Vereinsvertreter die Informationen zum Thema verstärkt wahrnehmen und abfragen", schreibt der BFV.

Die virtuelle Variante wird also früher oder später ein ganz normaler Teil des Fußballs werden. Das zeigen auch Formate, bei denen Fußballprofis mit und gegen eSports-Profis an der Konsole spielen. Kippt der Schwerpunkt vielleicht sogar vom analogen zum virtuellen Spiel? Der BFV verwendet in seiner Stellungnahme exakt ein Ausrufezeichen. Und zwar nach dem Satz: "Der Kernbereich des BFV und seiner Vereine ist und bleibt der Fußball auf dem Platz! " Noch deutlicher wird - allerdings ohne es überhaupt zu wollen - eSportler und Fußballer Wirz. Er zockt nicht nur gerne, er schaut sogar anderen in Live-Streams dabei zu - inzwischen hat Wirzilinho23 sogar einen Youtube-Kanal, auf dem er mit dem FC St. Pauli im Karrieremodus spielt. Der 20-Jährige ist definitiv im Thema. Aber wenn er über seinen Verein in der eFootball-League redet, spricht er auch von Gaudi und entspanntem Abhängen unter Freunden. Spricht er über seinen Verein in der Kreisklasse, dann klingt das anders. Dann geht es um Aufstiege in die Kreisliga und um Zusammenhalt sowie das spielerische Potenzial seiner Mannschaft. Das Zocken an der Konsole sei "eine gute Abwechslung", sagt er. Für den Fußball auf dem Rasen verwendet er solche Vokabeln aus dem Themenbereich des Müßiggangs nicht.

DK

Christian Missy