Nach 14 Jahren am Ziel der Träume

18.11.2007 | Stand 03.12.2020, 6:20 Uhr
Siegerehrung kurz vor Mitternacht im Konfettiregen: Ivan Ioudine/Olga Sbitneva (links) und André di Giovanni/Meike Lameli (rechts) nehmen die neuen Rock-’n’-Roll-Weltmeister Maurizio und Jade Mandorino in ihre Mitte. - Fotos: Bösl −Foto: (www.kbumm.de)

Ingolstadt (DK) Eine kleine Überraschung erlebten die Zuschauer bei der Rock-’n’-Roll-WM am Samstag in der Saturn-Arena: Die Russen Ivan Ioudine/Olga Sbitneva konnten ihren Titel nicht verteidigen. Die Schweizer Maurizio und Jade Mandorino tanzten mit dem größten Herz und gewannen verdient.

So ist das eben manchmal: Da tanzt man überdurchschnittlich, zeigt die Kür mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad, ist amtierender Weltmeister und daher auch Top-Favorit, die Konkurrenz zieht mitunter sogar die Augenbrauen hoch vor Respekt – und man wird doch nur Zweiter. Für ein Paar, das als Europa- und Weltmeister anreist, einfach zu wenig.

Des einen Leid ist des anderen Freud. Die zwei Mandorinos, im Vorjahr in ihrer Heimat immerhin Vizeweltmeister, zeigten das, was viele an diesem Abend vermissen ließen: ein großes Herz auf der Tanzfläche. Ihre Auftritte und ihr strahlendes Lächeln begeisterten, ihre Freude über gelungene Akrobatik-Figuren war spürbar, ja, sie wollten an diesem Abend der ganzen Welt zeigen, dass sie die Allerbesten sind.

Seinen Wunsch erfüllt

"Als ich mit 13 Jahren meinen ersten Rock-’n’-Roll-Wettbewerb getanzt hatte, stand für mich fest: Ich will Weltmeister werden. Nun bin einfach nur glücklich", gestand der 27-jährige Weltmeister. Damals, vor 14 Jahren, vertraute er seinen Wunsch einer Freundin an. Diese war am Samstag auch in der Halle. Seine Schwester und Tanzpartnerin Jade war natürlich ebenfalls ergriffen: "Ich kann das alles noch gar nicht realisieren. Ich brauche noch ein paar Tage, um zu begreifen, was uns hier gelungen ist."

Eine fast noch größere Überraschung gelang einem der vier deutschen Paare: André di Giovanni und Meike Lameli (Haßloch) schafften den Sprung aufs Treppchen – und das nach nur vier Monaten Training und davor über einem Jahr Pause! "Wir haben unser Ziel erreicht, für das kommende Jahr unsere Visitenkarte abzugeben", resümierte ein sichtlich zufriedener Jürgen May. Der Trainer, der schon Beate und Andreas Wolf (Ingolstadt) zu zwei WM-Titeln geführt hatte, konnte und wollte keinen der Final-Auftritte seiner Tänzer kritisieren: "Wenn Du nach Pflicht und Fußtechnik noch vor den amtierenden Weltmeistern auf Platz zwei liegst, kann die Devise fürs Finale nur ,Angriff’ lauten."

Dafür ließ aber di Giovanni ein Wort der Kritik fallen: "Es ist kalt in der Halle, zu kalt. Da fällt es einem schwer, sich warm zu halten." Lameli bestätigte dies anschaulich: Sie trug unter ihrem Sportdress zeitweise Wollstrümpfe: "So eine Kälte macht die Waden platt, ich wollte ja keinen Krampf bekommen." Aber das war nach der Siegerehrung vergessen: "Ich bin müde, aber total happy. Mit Platz drei hatten wir nie gerechnet. Natürlich wussten wir, dass wir weit vorne landen können, wenn alles perfekt klappt. Aber davon geht man eigentlich nicht aus."

Wie bei den neuen Weltmeistern tanzten auch di Giovanni/Lameli mit Esprit, mit dem richtigen Gefühl aus dem Bauch heraus. Den Wertungsrichtern gefiel dies mehr als die unterkühlte Mimik und der klinisch saubere Tanzstil der beiden Russen, die ihre Emotionen scheinbar in ihren Köpfen eingesperrt hatten. Da halfen auch die drei Doppelsalti nicht entscheidend weiter. Sie ermöglichten nur noch ein Aufrutschen auf Platz zwei – vorbei an den Deutschen. "Wir lagen bei 60 zu vergebenden Punkten nur zwei hinter Ioudine/Sbitneva, das ist gar nicht so schlecht", so May, der nicht unerwähnt lassen wollte, dass di Giovanni/Lameli zurzeit nur einen Doppelten beherrschen. "Ja, wir müssen den einen oder anderen Doppelsalto nachlegen", weiß Lameli. Dennoch überwog die Zufriedenheit: "Wir hatten Glück in der Pflicht, weil Akrobatikfiguren ausgelost wurden, die uns gepasst haben. Da konnten wir den Grundstein zum Erfolg legen. Dass wir in der Fußtechnik zur Weltspitze zählen, war eh klar." Andreas Wolf bestätigte die Synchronität in Armen und Beinen begeistert: "So muss Fußtechnik aussehen."

Die neuen Weltmeister hatten zwei prominente Fans im Publikum: Werner Euringer und Verena Baumann. Die beiden Ingolstädter vom Rock ’n’ Roll Casino, die wegen der langwierigen Verletzung von Baumann nach einem Sturz bei der DM Mitte des Jahres in Koblenz nicht starten konnten, waren begeistert: "Du merkst einfach, wie viel Spaß die zwei am Tanzen haben", analysierte Baumann. "Die sind immer gut drauf und haben stets einen Witz auf den Lippen. Wir gönnen ihnen den Titel."

Dass Baumann/Euringer in Wettbewerben schon mehrfach just die Schweizer besiegt hatten, wollte Andreas Wolf zumindest ansprechen. Euringer hielt davon gar nichts: "Ich will das nicht hören." Noch auf der Bühne, kurz nach der Siegerehrung und zwischen all den Teilnehmern versprach Wolf seinen beiden Schützlingen: "Wenn Verena wieder tanzen kann, dann zeigen wir es allen."

Angezogene Handbremse

Als profunder Kenner der Szene hatte Euringer auch ausgemacht, warum die Titelverteidiger geschlagen nach Hause fahren mussten: "Fußtechnik und Pflicht waren nicht so souverän wie gewohnt. Es wirkte, als würden sie mit angezogener Handbremse tanzen." Weil der Druck gar zu groß war? "Nein, bei einer WM, dazu noch im Finale, ist der Druck immer enorm." Beim Eineinhalbfachen zeigten die Russen eine kleine Unsicherheit, ihnen fehlte etwas Spritzigkeit. "Bei der WM 2006 in der Schweiz haben sie mir viel besser gefallen", meinte auch Andreas Wolf.

Die Stimmung in der nicht ausverkauften Saturn-Arena war gut (Maurizio Mandorino: "Das Publikum war toll"), auch wenn der Funke nicht so recht überspringen wollte. Da halfen der WM-Song "Rock The Club", vorgetragen von Jessica Schaffer, und die Auftritte von Dos Amigos mit einer Western-Barrenparodie und 2male4U, der deutsche Showformationstanzmeister, auch nicht weiter. Eindeutig der beste Showakt: Robeat. Der 18-jährige Deutsche Vizemeister im Beatboxen faszinierte am meisten.

Die Junioren ermittelten am Samstag ihre Formations-Weltmeister, aber über den Status eine netten Randerscheinung kamen sie an dem Abend nicht hinaus. Der Titel ging in die Slowakei, Platz zwei an die deutsche Truppe Rockin’ Wormel Worms (bei der die Mädchen in Zukunft gerne etwas längere Röcke tragen dürften). Dritte wurden die Italiener – betreut von einer Legende: Diego Chiodoni. Der Italiener war sechs Mal Rock-’n’-Roll- Weltmeister und ist – so Wolf über sein einstiges Idol – der "Godfather of Rock ’n’ Roll". Wolf: "1988 wurde Diego das letzte Mal Weltmeister. Der hat damals ein unglaubliches Programm mit zwei Doppelten und einem Eineinhalbfachen geworfen, mit dem er heute noch in der Weltspitze mithalten könnte." Chiodoni gefiel es in Ingolstadt: "Die Halle ist okay, die Meisterschaft spannend und das Niveau sehr gut."