Ingolstadt
"Komplett zufrieden kann man nie sein"

Der sportliche Leiter des Teams Heizomat, Ralf Grabsch, über die Saison des Ingolstädters Patrick Haller

11.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:29 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Ingolstädter Patrick Haller (Team Heizomat rad-net.de) hatte in der abgelaufenen Radsportsaison einige Höhepunkte.

 So belegte er den zweiten Platz in der Gesamtwertung bei der internationalen Oderrundfahrt, setzte bei der polnischen Rundfahrt "Szlakiem Walk Majora Hubala" (UCI 2.1) mit dem zweiten Platz in der Bergwertung seine Akzente und bestritt als bester U23-Fahrer eine gute Deutschland-Tour. Auch bei den Bundesligarennen war Haller häufig vorne zu sehen und stand beim Finale der Serie auf dem Podium. Allerdings enttäuschte der 21-Jährige bei der WM in Innsbruck und bei der zum Ziel gesetzten Titelverteidigung der Deutschen Meisterschaft im U23-Zeitfahren. Sein sportlicher Leiter, Ralf Grabsch (kl. Foto), bewertet im Gespräch mit unserer Zeitung Hallers abgelaufene Saison, erklärt wo dieser sich noch steigern kann und sagt, warum der große Traum von einem Vertrag bei einem WorldTour-Team realistisch ist.

Herr Grabsch, wie wichtig war Patrick Hallers zweiter Platz beim letzten Bundesligarennen für ihn im Hinblick auf die kommende Saison?
Ralf Grabsch: Es war wichtig einen positiven Schlusspunkt zu setzen. Denn Patricks Saison war etwas durchwachsen und lief nicht immer rund für ihn. Er war nicht so stabil wie vielleicht erhofft und hatte ein paar Schwankungen.

War dieses Ergebnis auch wichtig, um die WM-Enttäuschung besser zu verarbeiten?
Grabsch: Dieser zweite Platz war in moralischer Hinsicht enorm wichtig für ihn. Es zeigt auch, dass er die WM (Haller wurde in Innsbruck nach Rückstand aus dem Rennen genommen, d. Red. ) abgehakt hat und nach vorne blickt.

Wissen Sie schon, woran es lag, dass es bei der WM nicht lief?
Grabsch: Das ist schwer nachvollziehbar. Patrick hat super Leistungen im Vorfeld erzielt. Er ist eine tolle Deutschland-Tour gefahren. Auch bei den Bundesligarennen hat er überzeugt, was der sechste Rang in der Gesamtwertung dokumentiert. Damit ist er zweitbester U23-Fahrer. Aber als junger Sportler gibt es manchmal Tage, die nicht rundlaufen. Solche Schwankungen sind normal. Gut möglich, dass ein solcher Tag dann genau auf das WM-Straßenrennen gefallen ist.
Die Enttäuschung fiel umso größer aus, weil sich Patrick selbst hohe Ziele gesetzt hat.
Grabsch: Es war eine doppelte Enttäuschung. Auch ich hatte mehr von ihm erhofft, nicht nur er selbst von sich. Patrick hatte hohe Erwartungen an sich selbst. Denn die Strecke, vor allem der Anstieg der Olympiarunde (der viermal gefahren werden musste, d. Red. ), kam ihm komplett entgegen. Dazu stimmten die Leistungswerte im Vorfeld. Alles passte. Aber als junger Sportler muss er so eine Enttäuschung auch verarbeiten können.

Erwartet er zu viel von sich selbst?
Grabsch: Patrick hat hohe Ansprüche an sich. Aber das finde ich gut. Er will ja den letzten Schritt gehen und einen Vertrag bei einem WorldTour-Team erhalten. Deshalb muss er sich hohe Ziele setzen. Aber Patrick muss aufpassen, dass er sich nicht zu viel Druck macht und schlussendlich verkrampft. Allerdings habe ich das Gefühl bei ihm nicht. Denn er geht immer mit einer Prise Gelassenheit in die Rennen hinein.

War das auch der Fall bei der geplanten Titelverteidigung bei der Deutschen Meisterschaft im U23-Zeitfahren? Diese verlief neben der WM ebenfalls ernüchternd.
Grabsch: Das war bislang die einzige Ausnahme. Bei der U23-Zeitfahrmeisterschaft hat er sich tatsächlich zu viel Druck gemacht. Da wollte er unbedingt den Titel verteidigen und hat komplett verkrampft. Das war nicht Patrick an diesem Tag. Das hatte sich schon beim Warmfahren gezeigt. Doch trotz allem lag er bis zu seinem Sturz immer unter den ersten Sechs. Ohne diese Unachtsamkeit wäre es sogar noch ein halbwegs ordentliches Ergebnis geworden (Haller belegte nach seinem Sturz Platz 32, d. Red. ).

Unterm Strich fehlt aber ein Sieg in dieser Saison.
Grabsch: Stimmt. Für einen richtigen Straßensieg ist es nun an der Zeit. Aber da bin ich zuversichtlich. Er hat sich bislang jedes Jahr weiterentwickelt. Er stagniert nicht in seinen Leistungen. Taktisch ist er cleverer geworden. Er wurde körperlich stärker. Auch was die Mannschaftsführung angeht, hat er sich entwickelt. Er verschleudert seine Kräfte nicht mehr in sinnlosen Rennsituationen. Patrick fährt überlegter und weiß nun, wo er die Initiative ergreifen muss, um in Erscheinung zu treten. Er hat sich also in allen Belangen gesteigert. Deshalb habe ich keine Bedenken, dass er kommendes Jahr den absoluten Schritt macht, um sich für große Profiteams anzubieten.

Also ziehen Sie eine zufriedene Saisonbilanz?
Grabsch: Auf nationaler Ebene ist er gut gefahren. Da war Patrick immer im Bilde und hat Akzente gesetzt. Komplett zufrieden kann man aber nie sein. Wir wollen uns ja nicht im Wohlfühlmodus ausruhen. Patrick hat weiter Luft nach oben.

In unserem Interview im vergangenen Jahr gaben Sie Patrick Haller die Note "drei", weil Sie eine Steigerung von ihm sehen wollten. Idealerweise, so sagten Sie damals, würden Sie ihm am Ende dieser Saison eine "zwei" geben.
Grabsch: Dazu stehe ich. Jetzt würde ich ihm tatsächlich die Note "zwei" geben. Er ist nun in der Lage eine Mannschaft zu führen und anzuleiten, was ein wichtiger Aspekt für einen jungen Sportler ist. Er nimmt also vieles in die eigenen Hände und übernimmt Verantwortung. Das spielt alles in der Bewertung dieser Saison eine Rolle.

In welchem Bereich muss er noch an sich arbeiten?
Grabsch: Er muss noch ein bisschen mehr Power auf das Pedal bringen. Das ist wichtig für das Zeitfahren. Die Trittfrequenz stimmt. Alles sieht schon sehr stilistisch aus. Aber es fehlt ihm noch etwas an der Kraft. Sonst bringt er alles mit. Diese Kraft-Ausdauer wollen wir nun über den Winter verstärkt trainieren. Wenn er da noch ein paar Prozente zulegt, ist er optimal aufgestellt.

Steht schon die grobe Saisonplanung für 2019?
Grabsch: Patrick wird auf alle Fälle die Frühjahrsklassiker fahren. Natürlich sind die Bundesligarennen wichtig. Dann ist das Ziel ein Start bei der Deutschen Meisterschaft im Straßenrennen und im Zeitfahren. Und die Weltmeisterschaft in Yorkshire, Großbritannien, sollte ihm perfekt liegen. Die Strecke ist mittelschwer. Genau sein Ding. Da könnte er ein Highlight setzen.

Sie sagten in unserem Interview vor rund einem Jahr, dass Sie davon überzeugt sind, dass Patrick Haller den Sprung in ein WorldTour-Team schafft. Gilt das immer noch?
Grabsch: Natürlich. Patrick bringt alle Voraussetzungen mit.

Das Interview führte
Timo Schoch.