Klebrige Angelegenheit

20.09.2019 | Stand 02.12.2020, 13:01 Uhr
Im Profihandball Routine: Der Griff in die Harzdose vor dem Spiel. −Foto: Imago Images

Was für den Turner die Magnesia ist, ist für den Handballer das Harz. Egal ob aus der Dose oder als Spray, das Haftmittel gehört zu dieser Sportart, weil so Trickwürfe, Wurfkraft und Fangen unter Bedrängnis möglich werden. Es darf aber nicht überall verwendet werden, in Ingolstädter Hallen ist die Nutzung ausgeschlossen.

Ingolstadt (DK) Wenn Handballer einen geharzten Ball in die Finger bekommen, dann hat das weniger mit profaner Trainings- oder Spielvorbereitung zu tun, sondern viel mehr mit quasi-amourösen Gefühlen. Dieser stechende Geruch, der an Baumrinde erinnert. Dieses schmatzende Geräusch, wenn der mit Haftmittel beschmierte Ball beim Prellen sich mühsam vom Hallenboden wieder Richtung Hand loslöst. Dieses klebrige Gefühl an den Händen, mit denen man sich zwar kaum mehr das Trikot zurechtzupfen kann, gefühlt aber schlagartig das Zeug zum Welthandballer hat. Für Außenstehende mag es komisch sein, mit welch großer Freude man sich diese pappende Masse samt Schmutz des Hallenbodens an die Hände packen kann. Für Handballer ist es der Himmel auf Erden.

In Ingolstadt müssen sie auf derlei paradiesische Zustände verzichten. Denn in allen Sporthallen der Stadt herrscht absolutes Haftmittelverbot. DJK, MTV und HG Ingolstadt müssen alle ohne Kunst- oder Naturharz trainieren und spielen. Der Abteilungsleiter des MTV Ingolstadt ist frustriert. Norbert Hartmann ist sich für keine Mühen um seinen Klub zu schade und mit besten Kontakten ausgestattet. Bei diesem Thema beißt er aber auf Granit. "Es gab schon etliche Versuche und Gespräche mit dem Sportamt und es wurden auch schon Zertifikate vorgelegt." Es half alles nichts. "Wir sind da auf taube Ohren gestoßen", sagt MTV-Macher Hartmann. Hauptgrund ist die Verschmutzung. Denn das Haftmittel besteht meist aus Baumharz - und lässt sich von festem Untergrund schlecht lösen.

Martin Diepold ist Sportamtsleiter der Stadt Ingolstadt und macht gar keinen Hehl daraus, dass von der Stadtverwaltung wenig Entgegenkommen zu erwarten ist. "Wir stellen durch das Haftmittel riesige Verschmutzungen in unseren Hallen fest, die nur schwer oder gar nicht mehr entfernbar sind", sagt er, und meint damit nicht nur den Hallenboden, sondern auch Umkleidekabinen oder Türklinken. Auch den Vorschlag des MTV Ingolstadt, selbst für die Reinigung zu sorgen, musste er ablehnen. Denn die dafür nötigen schärferen Putzmittel würden den Hallenboden angreifen, außerdem könne es zu Abstimmungs- oder Verantwortungskomplikationen mit der vom Sportamt beauftragten Reinigungsfirma kommen.

Die Situation in Ingolstadt ist im Freistaat beileibe kein Einzelfall. Denn laut Spielordnung des Bayerischen Handball-Verbands (BHV) sind Haftmittel aller Art im Spielbetrieb verboten (siehe Kasten). Diese Regelung gilt seit 1993, Auslöser war, dass die Kommunen wegen der Verschmutzung Druck auf den Verband ausgeübt hatten, erklärt die Vizepräsidentin Spielbetrieb beim BHV, Ingrid Schuhbauer. "Wir haben diese Regelung eingeführt, weil der Bayerische Städtetag massive Beschwerden vorgetragen hat." Laut Schuhbauer gebe es in Deutschland kein Bundesland, in dem uneingeschränkt geharzt werden dürfe - im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern beispielsweise, wo sogar Jugendteams mit Haftmittel spielen.

Für die Handballgemeinde ist das eine unbefriedigende Situation. Denn für die allermeisten Spieler gehört der Klebstoff zur Sportart dazu. "Für manche Situationen ist es echt einfacher", sagt Melanie Habold, die mit der HG Ingolstadt in der Landesliga spielt. "Wenn du einen Dreher ohne Harz machst, führt der wahrscheinlich nicht zum Erfolg", sagt MTV-Abteilungsleiter Hartmann. "Solche Kunstwürfe werden unsere Zuschauer in Ingolstadt wahrscheinlich nie sehen." Er argumentiert damit genauso wie Deutschlands bekanntester Handballer Stefan Kretzschmar. "Ohne Harz wären die spektakulären Würfe eines Uwe Gensheimer nicht möglich", schreibt er in seinem Buch "Hölleluja". Als im Sommer 2016 der Präsident des Handball-Weltverbands Hassan Moustafa ein generelles Harzverbot ankündigte ging ein Aufschrei durch Handball-Deutschland. Und hier geht es in erster Linie um den Profihandball. Auf Amateurebene kommt noch ein zweites Problem hinzu.

Denn die Spielordnung des BHV macht beim Haftmittelverbot eine Einschränkung: Jugend- sowie Frauen und Männerteams dürfen in der Landes- und Bayernliga Harz verwenden. Diese Lockerung gilt seit 2010, weil dieses Mal die Vereine auf den BHV Druck ausgeübt hatten. Voraussetzung für die Haftmittelnutzung ist aber eine Einverständniserklärung des Halleneigners - in aller Regel sind das die Kommunen. Das führt zu der Situation, dass in den Landes- und Bayernligen manche Vereine Harz verwenden und manche nicht. "Aus meiner Sicht ist das ganz klar Wettbewerbsverzerrung", sagt Hartmann vom MTV Ingolstadt. Denn während sich viele Gegner im Training vor einem harzfreien Spiel in Ingolstadt einfach das Haftmittel weglassen, können sich die Ingolstädter Klubs im Training nicht mit klebenden Bällen einspielen. "Wir haben keine Möglichkeiten, damit zu trainieren, was natürlich ein Nachteil ist", sagt auch HG-Rückraumspielerin Habold. Beide Vereine haben sich mit der Situation mehr oder weniger abgefunden. BHV-Vizepräsidentin Schuhbauer hört das Klagen über solche Ungerechtigkeiten zwar häufig, hält es aber für zu hoch gegriffen.

Diese Gemengelage führt teilweise zu skurrilen Situationen. Weil bayernweit viele Vereine Harz verwenden wollen, es aber deutlich weniger Klubs dürfen, werden häufig Absprachen zwischen den Teams mit dem Schiedsrichter versucht. Und zwar nicht nur in Spielen der Landes- oder Bayernliga, bei denen dem Heimverein die Zustimmung des Halleneigners fehlt, sondern auch in den unteren Ligen von Bezirksklasse bis zur Bezirksoberliga. "Das ist ganz schlimm", sagt Schiedsrichter Alexander Polz, der fünf Jahre lang bis zur Bayernliga der Frauen Spiele geleitet hat. Schiebt der Schiedsrichter solchen Absprachen einen Riegel vor, müssen alle Spieler zum Händewaschen und es gibt einen Eintrag im Spielbericht. Es gibt aber auch Unparteiische, die den Haftmitteleinsatz zulassen. Und dann hört die ganze Halle dieses schmatzende Geräusch, wenn der Ball Hand oder Boden verlässt. Manchmal sehen die Zuschauer aber auch einen dieser kunstvollen Dreher, die den Handball so spektakulär machen.
 

WER DARF HARZ VERWENDEN?

Regel 4.9 der internationalen Handball-Regeln besagt: Harz ist erlaubt. Der Deutsche Handballbund (DHB) hätte das Recht, diese Regelung einzuschränken, tut das aber nicht. Der Bayerische Handball-Verband (BHV) spricht für seinen Spielbetrieb in seinen Durchführungsbestimmungen dagegen ein Verbot von Haftmittel aller Art aus - mit Ausnahme der Bayern- und Landesligen im Erwachsenen- und Jugendbereich, sofern der Hallenbetreiber der Haftmittelnutzung zustimmt. Diese Einverständniserklärung muss vor jeder Saison beim Verband vorgelegt werden und kann während der Saison nicht nachgereicht werden. Werden die Schiedsrichter auf unrechtmäßige Nutzung hingewiesen, tragen sie das Vergehen im Spielbericht ein. Von sich aus müssen sie aber nicht aktiv werden. "Die Schiedsrichter sind nicht die Polizei des Verbandes", sagt BHV-Vizepräsidentin Ingrid Schuhbauer.

Bei erstmaligem Vergehen muss ein Verein laut BHV-Rechtsordnung 125 bis 250 Euro zahlen, beim zweiten Verstoß erhöht sich der Strafrahmen auf 250 bis 500 Euro. Wird ein Verein zum dritten Mal erwischt, muss er 500 Euro bezahlen und es droht der Ausschluss vom Spielbetrieb. 

cmi