Ingolstadt
"Es soll cool sein - für Frauen und Männer"

26.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:35 Uhr
Der Blick geht nach oben: Andrea Lanzl vom ERC Ingolstadt will mit der deutschen Auswahl bei der WM in Finnland unter die besten acht Mannschaften kommen. −Foto: Imago

Ingolstadt - Verbandspräsident Franz Reindl nannte es einen "Meilenstein im Eishockey, aber auch im deutschen Sport."

Im Februar dieses Jahres hatte die Ingolstädterin Andrea Lanzl ihr 322. Länderspiel für den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) bestritten und damit Udo Kießling als bisherigen Rekordhalter abgelöst. Es gab eine Ehrung unmittelbar nach dem Spiel gegen Finnland, auch auf der virtuell abgehaltenen DEB-Mitgliederversammlung wurde sie vor kurzem noch einmal gewürdigt. Doch sehr viel mehr Reaktionen erfuhr die Stürmerin des ERC Ingolstadt nicht. "Es war ernüchternd", sagt die 32-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung.

Bereits im Alter von 14 Jahren hat die gebürtige Starnbergerin ihr Debüt im Nationaltrikot gefeiert, nahm seitdem an zehn Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen teil. "Ich bin schon mehr als die Hälfte meines Lebens Nationalspielerin", sagt die Sportsoldatin mit einem Grinsen. Eine erstaunliche Karriere, auf die sie durchaus stolz sein darf. Doch das kehrt sie nicht raus. Erst auf Nachfragen sagt sie, dass sie zwar "nichts Großes erwartet" habe, sich aber ein wenig mehr Wertschätzung zumindest erhofft hatte. Die Leute beim ERC oder ihre Teamkolleginnen hätten gratuliert, darüber hinaus sei aber mit Ausnahme einiger Zeitungsartikel wenig Resonanz zu spüren gewesen. "In Teilen war das schon ein wenig enttäuschend", sagt die Rekordhalterin.

Eine Ausnahme gab es aber, sogar eine sehr angenehme, wie sie verrät. Schließlich trägt sie das Interesse an Kleidungsdesign schon länger in sich. "Mein Traum ist es, irgendwann mal eigene Klamotten zu entwerfen", erzählt Lanzl. Noch ist das Zukunftsmusik, aber schon jetzt näht sie gerne die Kleidung von der Stange selber um - oder macht sich Gedanken über das Design. Und da kam das Angebot von "scallywag", einem Anbieter von eishockey-typischer Lifestyle-Kleidung, natürlich genau richtig. "Ich wurde gefragt, ob ich ein paar T-Shirts gestalten wolle", erzählt die Bundesliga-Stürmerin, die natürlich nicht lange überlegen musste. Vorschläge wurden ausgetauscht, Farben abgestimmt, bis dann letztendlich drei komplett selbstentworfene Shirts von ihr entstanden sind. "Es sollte keine reine Frauenmode werden, also nichts in rosa oder krass pink. Mir war es wichtig, dass es für Frauen und Männer cool zu tragen ist", erzählt sie. Hinzu kommen Shirts mit ihren Initialen und der Trikotnummer 15, die sie seit Jahren beim DEB und im Verein trägt. Zehn verschiedene Modelle gibt es inzwischen in ihrer ersten offiziellen Kollektion.

"Ja, bin ich", sagt Lanzl mit einem überzeugten Lachen auf die Frage, ob sie ein bisschen stolz auf das Ergebnis sei. Die Antwort bezieht sich aber nicht nur auf die Shirts, sondern auch auf den Umstand, dass sie mit dieser Kollektion nun zu einem recht exklusiven Kreis gehört. Bisher wurde diese Ehre lediglich sechs männlichen Eishockey-Profis zuteil, darunter NHL-Star Leon Draisaitl und ERC-Meister-Panther Derek Dinger. Lanzl ist die einzige Frau. "Kann schon sein, dass mein Rekord da eine Rolle gespielt hat", sagt sie. Anerkennung, die ihr sichtlich guttut.

Es kommt tatsächlich selten vor, dass Eishockey-Spielerinnen mit solchen Angeboten verwöhnt werden. Ungleich häufiger tritt zu Tage, dass in dieser Sportart selbst Nationalspielerinnen Entbehrungen hinnehmen müssen und mit Ausnahme der Sportsoldatinnen nicht vom Eishockey leben können. "Ich weiß, dass ich bis zum Ende meiner Karriere niemals Geld damit verdienen werde", sagt selbst Rekordspielerin Lanzl. Für sie ist - ebenso wie für ihre Ingolstädter Teamkameradinnen Nicola Eisenschmid, Tanja Eisenschmid, Marie Delarbre, und Bernadette Karpf - die Bundeswehr die einzige Möglichkeit, den Sport als Profi auszuüben.

Vom Verein gibt es nichts, im Gegenteil: Beim ERC zahlen auch die Bundesliga-Frauen den normalen Vereinsbeitrag (rund 100 Euro), zuzüglich der Sonderzahlung von rund 400 Euro pro Saison für die Ausrüstung. "Damit geht es uns in Ingolstadt aber noch recht gut", sagt Lanzl, "in anderen Bundesliga-Klubs müssen die Spielerinnen mitunter noch einen Fahrtkostenzuschuss beisteuern".

Im Frauen-Eishockey wird überall aufs Geld geschaut, muss genau gerechnet werden, weil die Sponsoren rar sind. Die fehlende TV-Präsenz ist für Lanzl ein wesentlicher Grund dafür, warum die finanzielle Unterstützung so übersichtlich ist. "Wir werden ja nicht gesehen", sagt sie, und man merkt ihr die Enttäuschung darüber an. Der Saisonetat der ERC-Frauen beträgt etwas mehr als 70000 Euro, da bleibt nun mal wenig Platz für Sonderwünsche. "Und wenn wir zum Beispiel mal nach Berlin fliegen, weil das am günstigsten ist, sind es unsere tollen Fans, die die Ausrüstung in Kleinbussen hinterherfahren", erzählt die Topscorerin der Vorsaison.

Aber Eishockey-Spielerinnen hadern nicht. Sie kennen das und leben damit, weil es in ihrer Sportart nun mal so ist. So beginnt das Training beim ERC aufgrund der begehrten Eiszeiten meist erst kurz vor 21 Uhr. Die Spielerinnen, von denen bis auf die fünf Sportsoldatinnen alle arbeiten oder studieren, kommen deshalb an vier Tagen in der Woche erst um Mitternacht ins Bett. "Aber wir haben wenigstens viermal Training, das ist nicht überall so", sagt Lanzl. Auch auf die Frage, ob sie als Profisportlerin denn überhaupt mal den Eindruck habe, irgendwo privilegiert zu sein, gibt die 32-Jährige die Idealistin: "Wir können unser Hobby ausleben, das ist doch toll. Und zumindest die, die bei der Bundeswehr sind, brauchen nicht zu arbeiten. "

Rund zwei Jahre mag sich Lanzl das noch antun. So ist zumindest ihre aktuelle Planung. Nach der Weltmeisterschaft im April 2021 in Kanada sollen dann - die Qualifikation vorausgesetzt - die Olympischen Spiele 2022 in Peking das letzte große Turnier für sie sein. "Das wäre ein sinnvoller Abschluss", sagt sie. Und dann? Lanzl, die mit ihrem Sozialpädagogik-Studium vor dem Abschluss steht, erzählt von zwei Traumberufen, die sie sich vorstellen kann: Entweder mag sie in einem Sportinternat arbeiten, oder sie greift das Design-Thema wieder auf und entwirft tatsächlich irgendwann mal ihre eigenen Kleidung. Aktuell, sagt sie, sei sie da ganz offen. Es muss ja auch nicht immer Eishockey sein.

DK

 

Norbert Roth