"Ein wunderschönes Hobby"

09.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:41 Uhr
Ein Freund klarer Entscheidungen: Der Ingolstädter Werner Roß im Jahr 1981 als Bundesliga-Schiedsrichter. −Foto: Traub (3), Bösl (2), img

Fußball-Schiedsrichter - früher und heute: Der ehemalige Bundesliga-Referee Werner Roß (76) und Johannes Wagner (20), Hoffnungsträger der Gruppe Ingolstadt, im Generationengespräch.

Herr Wagner, Ihr Schiedsrichter-Kollege Werner Roß hat mal ein Spiel gepfiffen, bei dem einer der Trainer aufgrund der heiklen Ausgangslage mit einer schusssicheren Weste auf der Bank saß. Würden Sie ein solches Spiel leiten wollen?
Johannes Wagner: Oh, das hört sich schon krass an, da hätte ich vorher wohl ein paar Fragen gehabt. In der aktuellen Zeit, wenn ich ehrlich bin, würde ich so ein Spiel wohl eher nicht anpfeifen.

Herr Roß, wie gefährlich war es wirklich, 1982 als Schiedsrichter beim Bundesliga-Spiel zwischen Arminia Bielefeld und Werder Bremen auf dem Platz zu stehen?
Werner Roß: Die Situation war entstanden, nachdem sich der Bielefelder Ewald Lienen im Hinspiel infolge eines Fouls eine große Wunde am Oberschenkel zugezogen hatte. Werder-Trainer Otto Rehhagel als großer Motivator galt für einige als Buhmann. Deshalb saß er mit einer Weste auf der Bank und hatte statt Ersatzspieler Leibwächter neben sich. Aber alles halb so wild, das war eher eine Freude, so ein Spiel zu leiten (lacht). Denn - das ist auf Bezirks- oder Kreisebene nicht anders - wenn das Spiel vorher hochgepusht wurde, Verbandsaufsicht im Stadion ist, passiert letztendlich gar nichts.
Wagner: Ja, das ist meistens so, dann sind alle vorsichtiger.

Die angesprochene Situation war natürlich eine ganz besondere. Wie schwer war es denn in den 80er-Jahren, Spiele in der höchsten deutschen Liga zu pfeifen?
Roß: Die Zeit war grundsätzlich menschlicher und deshalb viel schöner. Wir haben viel mehr mit den Spieler geredet und konnten dann auch mal Fehler zugeben. Ich war mal in Bochum, dort hatte der HSV durch einen Elfmeter 1:2 verloren. Nachher saßen beide Mannschaften, die Trainer und ich gemeinsam beim Essen und haben im Fernsehen gesehen, dass es überhaupt kein Elfmeter war. Da hat der HSV-Trainer Branko Zebec zu mir gesagt: ,Ich habe es im Spiel genauso gesehen, ich hätte den auch gepfiffen.' Glauben Sie, so würde heute ein Trainer reagieren?

Herr Wagner, wie fällt Ihr Vergleich mit der heutigen Zeit aus?
Wagner: In der Bezirksliga, wenn die Spiele weiter weg stattfinden, dann gehen wir schon noch ins Vereinsheim, werden auch immer wieder mal eingeladen. Und da gibt es dann durchaus auch einen Austausch mit den Trainern und das eine oder andere kritische Gespräch, klar. Aber das ist meist ganz lustig und macht auch Spaß. In den unteren Klassen, der A-, B- oder C-Klasse, findet das aber fast gar nicht mehr statt.

Sich austauschen, miteinander reden - das taucht immer wieder auf. Macht das einen guten Schiedsrichter aus, dass er neben den Regelkenntnissen vor allem auch ein kommunikativer Typ ist?
Wagner: Schon. Ein wichtiger Punkt ist sicher auch, dass man seine Entscheidungen auch verkaufen kann. Da geht es um die Spieler auf dem Feld, mitunter aber auch um den Zuschauer, der es vielleicht nicht so genau gesehen hat. Da ist es für die Ausstrahlung schon ganz wichtig, dass man seine Entscheidungen erklärt und für Klarheit sorgt.
Roß: Ein guter Schiedsrichter muss außerdem fit sein - so wie der Johannes hier, nicht so wie manch einer in der früheren Generation. Dann braucht er natürlich ein selbstbewusstes Auftreten, das aber nicht überheblich sein darf. Wenn der Schiedsrichter zur Tür reinkommt, wissen die Vereine meist schon, was das für einer ist.
Herr Roß, wissen Sie noch, warum Sie 1964 mit der Schiedsrichterei begonnen haben?
Roß: Ich habe damals so gern beim ESV Ingolstadt bei der FT Ringsee mittrainiert, mein Vater hat es aber nicht erlaubt, dass ich einen Spielerpass bekomme. Da habe ich mich heimlich für den Schiedsrichterkurs angemeldet, weil ich halt dabei sein wollte. Selbst als ich in der Bundesliga war, hat sich mein Vater noch gefragt, wo ich am Wochenende denn jetzt schon wieder hinfahre.

Wie war die Ausbildung damals, wie gut wurden Sie vorbereitet?
Roß: Es gab natürlich einen Regelkurs und ich habe jeden Tag trainiert, bin oft zweimal um den Baggersee gelaufen. Aber wenn ich an mein erstes Spiel denke, oh je. Hepberg gegen Egweil - und ich stand zum ersten Mal in der Mitte vom Platz. Ich war so aufgeregt, und hab gepfiffen, was die Alten auf dem Feld geplärrt haben. (lacht) Aber nur drei Spiele, dann hatte ich die Aufregung im Griff und erkannt, dass das genau mein Ding ist. Von da an bin ich jedes Jahr eine Klasse aufgestiegen.

Herr Wagner, welche Erinnerungen haben Sie an Ihr erstes Spiel?
Wagner: Ich war 16 Jahre alt und habe mit einem D-Jugend-Spiel in Lichtenau begonnen. Da war ein Beobachter dabei, der hat mir vorher gesagt: ,Das machst du schon. Und was nicht gepasst hat, das erklär ich dir in der Halbzeit.' Naja, gepasst hat dann eigentlich nichts, der Pfiff nicht, die Entscheidungen nicht, gar nichts (lacht).

In der Schiedsrichtergruppe Ingolstadt gibt es seit längerem ein Patenschaftskonzept. Das war dann vermutlich sehr hilfreich.
Wagner: Ja, ich wurde fünf oder sechs Spiele von einem erfahrenen Schiedsrichter begleitet, das war schon sehr wichtig. Auch heute, in der Bezirksliga, ist das noch sehr lehrreich.
Sie haben bei der DJK Ingolstadt selbst aktiv in der Bezirksliga gespielt. Hilft Ihnen das als Schiedsrichter?
Wagner: Auf jeden Fall, weil man ein anderes Gefühl dafür hat, ob das nun ein Foul war oder Schauspielerei. Oft sieht man schon an der ersten Reaktion eines Spielers, was er denkt - und ob es nun zum Beispiel Eckball geben muss oder Abstoß.

Wie wurde denn Ihr Interesse am Schiedsrichteramt geweckt?
Wagner: Tatsächlich durch ein eigenes Spiel. Ich habe in der Bezirksliga mal einen wirklich guten Schiedsrichter erlebt und gedacht: Das probiere ich auch mal. Die Entscheidungen zu treffen, ein Stück weit der Chef auf dem Platz zu sein, das hat mir dann auch gleich Spaß gemacht.

In der jüngere Vergangenheit wurde immer wieder über den fehlenden Respekt gegenüber Schiedsrichtern gesprochen, zudem gab es Berichte von tätlichen Übergriffen. Haben Sie persönlich auch schon brenzlige Situation erlebt?
Roß: Nein, praktisch nie. Die einzige Ausnahme: Einmal, da war ich beim Derby in Mannheim, VfR gegen Waldhof. Und da hat mir ein Zuschauer seine Halbe Bier ins Gesicht geschüttet. Sofort kam die Polizei, nahm den Mann fest und wollte dann von mir in der Kabine wissen, was wir jetzt machen. ,Sie', hab ich gesagt, ,ich hab' doch so einen Durst gehabt, lasst den Mann laufen' (lacht). Das war in all der Zeit wirklich das einzige Mal, dass mich jemand angegriffen hat.

Sie konnten es also mit Humor nehmen. Herr Wagner, wie sind Ihre Erfahrungen im Kreis?
Wagner: Kein Problem, da gab es noch nichts Vergleichbares. Klar, ist der Schiri oft der Buhmann. Mir sind aber eher solche Spiele in Erinnerung, bei denen es gut gelaufen ist. Wenn dann der Schiedsrichter-Beobachter und nach dem Spiel auch der ein oder andere Zuschauer sagen: ,Hey, du hast heute gut gepfiffen.' Das tut schon gut.

In Öffentlichkeit ist der Schiedsrichter dennoch oft der Sündenbock...
Roß: . . . weil alle den Schiedsrichter in Abhängigkeit vom Spielergebnis bewerten. Im eigenen Stadion mag jeder den Heimschiedsrichter haben, auswärts den besonders korrekten. Da liegt es auf der Hand, dass immer einer unzufrieden ist. Selbst, wenn eigentlich die Spieler zu blöd waren, um das Tor zu treffen, sind dann doch die Schiedsrichter an der Niederlage schuld.
Wagner: Das fängt ja leider schon im Jugendbereich an. Wenn hier die Eltern quer über den Platz den Schiedsrichter angehen, lernen die Kinder das natürlich auch - und machen es beim nächsten Mal selber.

Dennoch ist es für Sie erstrebenswert in den Profibereich vorzustoßen. Welche Ziele haben Sie als Schiedsrichter, Herr Wagner?
Wagner: Als Spieler habe ich es bis zur Bezirksliga geschafft, als Schiedsrichter - das habe ich in den vergangenen zwei, drei Jahren gemerkt - könnte es weiter nach oben gehen. Und das möchte ich schon versuchen, keine Frage.

Herr Roß, welchen Tipp können Sie dem Nachwuchs-Talent auf diesem Weg mitgeben?
Roß: Johannes bringt alle Voraussetzungen mit und soll einfach unbeirrbar seinen Weg weitergehen. Ich traue ihm mindestens die 2. Bundesliga zu, was für mich die größte Freude wäre. Und nie vergessen: Das Schiedsrichtern ist ein wunderschönes Hobby.

Das Gespräch führte
Norbert Roth.

Norbert Roth