Ingolstadt
"Angst ist die falsche Einstellung"

Radprofi Patrick Haller über das Coronavirus und das Pensum, mit dem er sich während der Krise fit hält

31.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:37 Uhr
Im Wartestand: Radprofi Patrick Haller darf trotz Ausgangsbeschränkungen draußen trainieren. Wann er aber wieder an Wettkämpfen, wie hier bei der Militär-WM, teilnehmen kann, ist unklar. −Foto: Imago Images

Ingolstadt - Die Sportwelt steht still.

 

Der Ingolstädter Radprofi Patrick Haller (Team Leopard Pro Cycling) dreht seine Trainingsrunden allein in der Region anstatt quer durch Europa bei Radrennen am Start zu stehen. Eine ungewohnte Situation. Wie er damit umgeht, welche Auswirkungen das auf sein großes Ziel, einen Vertrag bei einem WorldTour-Team zu bekommen, hat, erzählte er in diesem Interview.

Herr Haller, wie geht es Ihnen derzeit?
Patrick Haller: Soweit ist alles bestens bei mir. Ich war nach meinem letzten Rennen bei Le Samyn, am 3. März, noch leicht erkältet. Aber da wir danach sowieso diese Zwangspause durch das Coronavirus einlegen mussten, konnte ich mich gut erholen und dann wieder strukturiert mit dem Training beginnen.

Und moralisch?
Haller: Es ist eine schwierige Situation, keine Frage. Aber diese Zeit ist ja für jeden Profi gleich. Deshalb muss man damit umgehen können.

Sie stehen aber an einem wichtigen Punkt in ihrer Radsport-Karriere und bräuchten dringend gute Ergebnisse für einen WorldTour-Vertrag. Nun stoppte Sie das Coronavirus.
Haller: Natürlich macht man sich darüber auch Gedanken. Aber ändern kann ich an der Situation nichts. Deshalb bringt es nichts, pessimistisch zu sein, sondern ich schaue nach vorne. Ich hatte mir zwar für das Frühjahr viel vorgenommen und wollte starke Rennen zeigen und gute Ergebnisse einfahren, damit ich mich als Stagiaire (Trainee in einem WorldTour-Team, d. Red. ) empfehlen oder vielleicht sogar gleich einen WorldTour-Vertrag erhalten kann. Das kann ich nun leider streichen. Nun hoffe ich natürlich, dass es im Sommer weitergeht und ich mit guten Ergebnissen bis zum Herbst auf mich aufmerksam machen kann.

Machen Sie sich trotzdem Gedanken, wie es bei Ihnen in der Zukunft weitergehen kann, falls es mit dem WorldTour-Vertrag nicht klappen sollte?
Haller: Solche Gedanken macht man sich immer. Ich habe mich beispielsweise kürzlich bei einer Fernschule für eine Weiterbildung als Ernährungsberater angemeldet. Dieses Thema hat mich schon immer sehr interessiert und bringt mich ja auch im Sport weiter. Dafür habe ich nun viel Zeit zu lernen und das bietet sich in dieser aktuellen Situation gut an. Trotzdem ist mein Ziel weiterhin WorldTour-Profi zu werden. Dafür bin ich motiviert und weiter bereit anzugreifen.
Wie bereitet man sich auf Rennen vor, wenn man gar nicht weiß, wann die ersten Rennen nach der Krise wieder stattfinden?
Haller: Das ist die große Schwierigkeit, das Training so anzupassen, obwohl keiner genau weiß, wo und wann es weitergeht. Deshalb setze ich mir aktuell kleinere Ziele. So schaue ich, in welchem Bereich ich mich weiter verbessern kann. Und arbeite daran. Außerdem setze ich mit Krafttraining ein paar andere Reize, wie ich es beispielsweise bereits im Winter getan habe.

Sie haben das Training also etwas umgestellt?
Haller: Ja. Ich war beispielsweise letzthin wieder Laufen oder habe Treppentraining gemacht. Wie im Winter auch, absolviere ich aktuell viel Core-Training. Normal wäre ich jetzt immer bei Rennen unterwegs. Deshalb kann man solche Trainingseinheiten gut zu Hause umsetzen.

Ist das Radtraining dann auch auf das Winterprogramm zurückgefahren?
Haller: Nein, das nicht. Ich versuche schon, regelmäßig auch Reize zu setzen, wie beispielsweise eine Rennsimulation oder verschiedene Leistungstests, um zu sehen, welche Entwicklung ich seit Januar oder Februar genommen habe, um dann aufgrund dieser Analyse das Training nochmals anzupassen. Ziel ist es, nun ein gutes Level zu halten und wenn absehbar ist, dass die Rennen wieder starten, nochmals mit einem richtigen Formaufbau zu beginnen. Mit dem zusätzlichen Kraft- und Core-Training schaffe ich eine Grundfitness und kleine Ziele, welche wichtig sind für den Kopf, weil ich dann die Verbesserungen auch positiv wahrnehmen kann.

Das Radtraining findet also weiterhin wie gewohnt draußen statt, oder?
Haller: Da bin ich als Radprofi in einer glücklichen Lage, weil ich meinen Sport noch komplett ausführen kann und nicht auf Hallen und Schwimmbäder angewiesen bin. Die einzige Einschränkung, die ich habe, ist, dass ich kein Fitnessstudio mehr besuchen kann. Aber die Kräftigungsübungen kann ich auch zu Hause ausführen.
Sollte der Rennbetrieb wieder aufgenommen werden, wären Sie dann schlagartig wieder in Form?
Haller: Ich bin ja in diesem Jahr schon ein paar Rennen gefahren. Dies hilft mir sicherlich weiter und ist ein Vorteil, denn für andere hat die Saison noch gar nicht begonnen als die Zwangspause einsetzte. Aber es ist schwierig zu sagen, wie schnell man wieder im Renntrimm ist. Vor Juli rechne ich sowieso mit keinen Rennstarts. Diese Zeit muss man jetzt überbrücken. Ob ich dann tatsächlich gleich bei den ersten Rennen in Top-Form bin, ist allerdings schwer planbar.

Falls die Ausgangsbeschränkungen noch verschärft würden, könnten Sie aber trotzdem noch weiterhin trainieren, oder?
Haller: Auf der Rolle könnte ich natürlich fahren. Aber ich hoffe, dass es so bleibt wie jetzt. Persönlich sehe ich darin auch kein Problem, solange man alleine trainiert oder spazieren geht ohne Kontakt zu anderen Menschen. Bewegung im Freien ist ja schließlich auch förderlich für die Gesundheit. Falls man alle Menschen zu Hause in ihren vier Wänden einsperren würde, wäre dies für das Immunsystem auch nicht das Beste.

Wie gehen Sie mit der Corona-Krise generell um?
Haller: Natürlich hoffe ich - vermutlich wie jeder andere auch -, dass sich die Krise nicht allzu sehr in die Länge zieht. Als Profisportler muss ich aber weiterhin fokussiert bleiben und vorausschauend agieren. Obwohl natürlich in einer solchen Phase der Sport nicht im Vordergrund steht, sondern die Gesundheit aller Menschen.

Haben Sie keine Angst davor sich anzustecken?
Haller: Angst ist die falsche Einstellung. Respekt habe ich aber vor dem Virus - vor allem wenn man die Bilder der Erkrankten im Fernsehen gesehen hat. Deshalb ist es ja wichtig, sich an die Regeln zu halten und ein paar Wochen das öffentliche Leben etwas einzuschränken.

Wie schützen Sie sich als Profisportler?
Haller: Was ich gehört und mitbekommen habe, ist es schwierig sich vor dem Virus gut zu schützen. Generell weiß ich aber, dass ich ein gutes Immunsystem habe. Der Sport hilft mir allgemein fit zu sein, also eine gute Konstitution zu haben. Aber ich gehe beispielsweise nicht mit Mundschutz oder Schutzhandschuhen vor die Haustüre. Mein Desinfektionsmittel hatte ich schon immer im Auto und habe mir nach den Einkäufen die Hände desinfiziert. Das war schon vor dem Coronavirus Alltag bei mir, weil man als Sportler auf seine Gesundheit achten sollte, denn mein Körper ist mein Kapital. Diesen muss man immer schützen - egal ob vor dem Coronavirus oder vor einer "normalen" Grippe.

Viele Profis in sämtlichen Sportarten haben Angst vor einem wirtschaftlichen Kollaps im Sport. Wie geht ihr Radteam damit um?
Haller: Wir sind relativ gut aufgestellt, deshalb mache ich mir da momentan noch keine Sorgen. Über die Bundeswehr bin ich persönlich bis zum Sommer als Sportsoldat noch abgesichert. Es gibt also Menschen, die es deutlich härter trifft als mich.

Aber Existenzsorgen gibt es im Radsport schon, oder?
Haller: Einige Teams werden Probleme bekommen, wenn sich diese Situation länger hinzieht. Auch die großen Teams wird es hart treffen, sollte beispielsweise die Tour de France abgesagt werden.

DK


Das Interview führte
Timo Schoch.