Ingolstadt
"Amateursport ist nicht so mein Ding"

06.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:05 Uhr
Handball-Enthusiast: Abteilungsleiter Norbert Hartmann ist auch bei den Spielen nah dran an der Mannschaft und durchlebt auf der Bank alle Emotionen. −Foto: Rimmelspacher

Norbert Hartmann hat große Ziele. Der Abteilungsleiter der MTV-Handballer will mit dem Landesligisten bis 2020 in die 3. Liga aufsteigen. Dafür setzt der 47-Jährige auf Spieler aus dem Ausland - weil die Qualität der einheimischen nicht ausreicht.

Ingolstadt (DK) Die Handballer des MTV Ingolstadt haben aktuell acht Punkte Rückstand auf den Tabellenführer, aber nur zwei auf den Aufstiegsrelegationsplatz. Platz fünf in der Landesliga-Nord. Dort wird guter Handball gespielt, aber auf Amateurniveau. Norbert Hartmann, der Abteilungsleiter, will da so schnell wie möglich weg.

Norbert Hartmann, 47, ist eine wuchtige Erscheinung mit einem Lächeln, das manchmal mehr sagt als seine Worte. Seinen Verein, den MTV Ingolstadt, kennt er aus allen Perspektiven. Mit zwölf Jahren fing der Ingolstädter mit Handball an, durchlief alle Jugendmannschaften, spielte im Erwachsenenbereich, war erfolgreicher Jugendtrainer und hörte erst auf, als es wegen des Berufs als selbstständiger Elektrotechniker zeitlich nicht mehr ging. Zehn Jahre war er weg. Als sich der MTV 2013 mehr Erfolg wünschte, erinnerte sich Präsident Gerhard Bonschab an Hartmann.

Der sagte zwar zu, übernahm aber nicht einfach ein Ehrenamt im Breitensport. Hartmann erarbeitete ein Konzept und stellte ein Vorstandsteam zusammen, das kurz darauf in alle Ämter gewählt wurde - er selbst zunächst zum stellvertretenden Abteilungsleiter. Seit rund vier Monaten ist er auch auf dem Papier die Nummer eins und das Gesicht der MTV-Handballer.

Der Chef der Handballer ist auch Chef eines Elektrounternehmens mit 15 Angestellten. Bei den Lilaweißen haben sie sich einen Macher ins Boot geholt, der Großes vorhat. Skeptiker finden, dass groß nicht immer gleich gut sein muss. Wegbegleiter finden, dass dieser Schritt überlebensnotwendig war.

Denn Hartmann verhinderte ein Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit. Joachim Henschker empfindet den harten Schnitt auch heute noch als richtig. Auch er wurde 2013 in sein Schriftführeramt gewählt und kennt Hartmann schon sehr lange. Der Norbert, sagt Henschker, leiste die Hauptarbeit in der Abteilung und treibe alles voran. "Wenn er etwas macht, dann macht er es zu 100 Prozent. Wie er das neben seinem Beruf schafft, ist mir ein Rätsel." An Herzblut mangelt es definitiv nicht. Wenn etwas nicht passt, haue der Abteilungsleiter schon auch mal auf den Tisch. "Norbert ist sehr impulsiv."

Ein Treffen in einem Café in der Ingolstädter Altstadt. Der starke Mann des MTV ist deutlich vor der vereinbarten Uhrzeit da und wirkt so gar nicht impulsiv. Seine sehr große Hand verrührt mit einem sehr kleinen Löffel den Zucker im Espresso. Hartmann spricht nicht gerne über sich selbst. Keiner für die große Bühne aber Teil eines Teams sei er, zu dem neben Henschker auch der Arzt Michael Neudecker, Stadtrat Thomas Deiser und Peter Heim gehören. "Mein Ding ist es, im Hintergrund zu arbeiten." Über den MTV redet er gerne. Als der neue Vorstand vor fünf Jahren anfing, habe Stillstand geherrscht. Und Stillstand ist nicht so das Ding von Norbert Hartmann, dem es gelang rund 40 Sponsoren zu gewinnen. Gemeinsam fassten sie ein Ziel und gaben ihm einen Namen: In sieben Jahren von der siebten Liga in die dritte - die Vision 2020. Die damalige Abteilungsleiterin Esther Nemec wurde bei diesen Planungen erst spät eingebunden und verließ den Verein. "Die alte Abteilungsleitung wollte den Fokus auf die Jugend legen", sagt Henschker. Die neue Führungstruppe strebt klar Richtung Leistungshandball.

Also rückte die Männermannschaft in den Mittelpunkt des Interesses. "Für die Öffentlichkeit ist das das Wichtigste", sagt Hartmann. Beim MTV Ingolstadt wollten sie wieder ein höherklassiges Aushängeschild. Hartmann knüpfte ein Scoutingnetzwerk und lotste einen Hochkaräter nach dem anderen zum MTV. Lästige Arbeit ist das für ihn nicht. "Mir hat es immer Spaß gemacht, mit Spielern zu verhandeln." Er profitiert von Erfahrungen und Kontakten, die er noch als aktiver Spieler in den 1990er Jahren sammelte. Damals war Hartmann auch bei den Verhandlungen mit Vlado Stenzel dabei, dem Trainer, der Deutschland 1978 zum WM-Titel und den MTV 1999 in die Landesliga führte. Und dieses Netzwerk trug schnell Früchte: Seit 2014 kommen zum MTV neue Spieler häufig aus Tschechien, Rumänien, Ungarn, Bosnien oder der Slowakei. Aus den Kontakten nach Osteuropa ist inzwischen ein effizientes Zubringersystem geworden. In der Landesliga hat kein Gegner so wenige deutsche Spieler im Kader wie die Ingolstädter.

Zur Wahrheit gehört auch, dass auf diesem Niveau kaum ein Verein einzig auf seine Nachwuchsarbeit vertraut. Der MTV betreibt das Spiel nur besonders konsequent. Besteht auf einer bestimmten Position Bedarf, funkt Hartmann seine Kontakte an. Es geht dann oft sehr schnell: Video vom Scout, Einladung zum Probetraining, Angebot eines Zwei-Jahres-Vertrags. "Den Spielern wird aber klipp und klar gesagt, dass nicht mit Tausenden von Euros zu rechnen ist, sondern wir bei der Arbeitsstelle und der Wohnungssuche behilflich sind." Hartmann - auch hier greift ein Netzwerk - vermittelt die Spieler an die Unternehmen, er selbst beschäftigt vier in seiner Firma. Manch ein Handballer erhalte zwar eine kleine Aufwandsentschädigung, vor allem aber lockt ein gut bezahlter Arbeitsplatz und die Aussicht auf ein besseres Leben die Osteuropäer nach Ingolstadt. Mit diesem Modell ist der MTV aus der Bezirksliga in die Landesliga aufgestiegen und spielt dort um den Aufstieg mit. Ein Erfolg, aber heiligt der Zweck die Mittel?

Besuch einer Trainingseinheit des MTV. Hartmann begrüßt die Spieler per Sportler-Handschlag. Der Abteilungsleiter ist nah dran am Team. Er fährt den Bus zu den Auswärtsspielen, bereitet die Videoanalyse vor und ist häufig beim Training. In die Arbeit des Trainers, betont er, mische er sich nicht ein. Außer neulich, als weder Einstellung noch Leistung stimmten, "da musste ich in der Kabine schon was sagen." Manche Spieler, die sich etwas anhören durften, haben Nationalmannschaft oder in der ersten Liga ihres Heimatlandes gespielt. Zwei davon in den Reserveteams von Pick Szeged und Veszprém, Vereine aus der Beletage des Welthandballs.

Eigentlich war auch das ein Ziel der Vision 2020: Spieler aus der Region sollten den Stamm der ersten Mannschaft bilden. Doch die Qualität reichte nicht für die Landesliga. Der eigene Nachwuchs landete in der Reservemannschaft. Man könnte meinen, der Jugend-Handball wird hier eher stiefmütterlich behandelt. Doch die Schanzer sind erkennbar bemüht, einen Unterbau zu schaffen. Zum Beispiel über Kooperationen mit Schulen. "Wir haben in fast allen Mannschaften qualifizierte Betreuer mit Trainerschein", sagt Henschker außerdem.

Auf dem Weg zum Erfolg hat ein Sportverein im Grunde zwei Möglichkeiten. Er kann versuchen, ein breites Fundament im Jugendbereich aufzubauen und hoffen, eines Tages im Erwachsenenbereich die Früchte langer Arbeit zu ernten. Oder er versucht, zügig eine spielstarke Männermannschaft aufzubauen, die schnellen sportlichen Erfolg und Aufmerksamkeit verspricht.

Der erste Ansatz ist der romantischere. "Ich will einfach, dass der Verein in die 3. Liga aufsteigt", sagt Hartmann. "Der typische Amateursport ist nicht so mein Ding." Hartmann und der MTV Ingolstadt haben sich für den unromantischen Weg entschieden.