Moskau
Die Hoffnung stirbt zuletzt

Noch nie erreichte ein Team aus Afrika das WM-Halbfinale - Schafft es der Senegal?

21.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:32 Uhr
Haben einen ganzen Kontinent hinter sich: Stürmer Moussa Konaté und seine Senegalesen. −Foto: Leong/AFP

Moskau/Ingolstadt (DK) Seit 84 Jahren nehmen afrikanische Nationalteams an Fußball-Weltmeisterschaften teil - auf die erste Halbfinalteilnahme warten sie noch immer. Auch beim Turnier in Russland ist für vier von fünf Mannschaften wahrscheinlich früh Schluss, weil es vor allem im Angriff hapert. Nur der Senegal macht Hoffnung.

Zumindest ihre Arbeitskleidung ist reif für den Titel. Das WM-Trikot Nigerias, das mit seinem gezackten Muster an das Jersey der "Super Eagles" von 1994 erinnert, war zwei Minuten nach Verkaufsstart vergriffen. Drei Millionen Exemplare des Trikots, das vielen als das schönste aller WM-Teilnehmer gilt, waren vorbestellt worden. Die Männer, die es in Russland tragen, können da nicht mithalten: Ihr Auftaktspiel gegen Kroatien verloren die Nigerianer klar mit 0:2, und angesichts der weiteren Gruppengegner Island und Argentinien am Dienstag scheint das Erreichen der K.-o.-Runde fast schon unmöglich. "Offensiv lebt die Mannschaft vom blitzschnellen Umschaltspiel, aber bei defensiven Standards sind sie anfällig", sagt Ex-Torwart und ZDF-Experte Lutz Pfannenstiel, der eng mit Nigerias Trainer Gernot Rohr befreundet ist.

Die Westafrikaner sind damit keineswegs allein: Von den vier übrigen WM-Teilnehmern vom Schwarzen Kontinent besitzt einzig der Senegal, der Polen zum Auftakt 2:1 schlug, eine realistische Chance auf das Achtelfinale. Ägypten und Marokko sind nach je zwei punktlosen Partien sogar schon ausgeschieden. Insgesamt hagelte es für die Afrikaner sechs Niederlagen in den ersten sieben WM-Spielen. Wenn auch häufig bittere: Ägypten kassierte das 0:1 gegen Uruguay in der 89. Minute, Marokko unterlag dem Iran durch ein Eigentor in der fünften Minute der Nachspielzeit, und Englands Harry Kane verpasste den Tunesiern den späten K.o.

Drückte in der WM-Geschichte des afrikanischen Fußballs häufig in der Defensive und auf der Torhüterposition der Schuh, ist es in Russland genau umgekehrt: Ägypten, Marokko, Nigeria und Tunesien brachten zusammen erst zwei Treffer zustande - beide durch Elfmeter. Gut vorstellbar, dass etwa die engagierten und technisch versierten Marokkaner mit einem Torjäger von Format nicht chancenlos gewesen wären. "Diejenigen, die im Strafraum wissen, was zu tun ist, machen den Unterschied aus", sagt ihr Trainer Hervé Renard. Ägypten hat mit Mohamed Salah eigentlich so jemanden in seinen Reihen - doch der litt unter den Nachwehen seiner Schulterverletzung aus dem Champions-League-Finale. "Ein nur zur Hälfte fitter Salah kann keinen Unterschied machen", meint Pfannenstiel, der zudem das Scouting bei 1899 Hoffenheim verantwortet.

"Der afrikanische Kontinent ist voller Qualität. Mannschaften wie Senegal oder Nigeria werden irgendwann in der Lage sein, Weltmeister zu werden", sagt Senegals Trainer Aliou Cissé trotzig. Doch wann ist es so weit? Bislang hat es für ein Team aus Afrika noch nicht mal für das Halbfinale gereicht, auch wenn viele Experten das schon seit Jahren prophezeien.

"Das große Problem ist immer die Vorbereitung und wie so oft der Sportminister", sagt Winfried Schäfer. Der ehemalige Bundesliga-Trainer des Karlsruher SC, der von 2001 bis 2004 die "Unzähmbaren Löwen" aus Kamerun trainierte, erinnert sich an das Chaos vor der WM 2002 in Japan und Südkorea, als sich die Anreise der Kameruner wegen eines Prämienstreits mit dem Verband um drei Tage verzögerte und dann 42 Stunden dauerte. Ähnliches erlebte 2006 der gebürtige Kölner Otto Pfister als Togos Nationalcoach.

Überhaupt seien die Verbände wenig professionell, findet Schäfer: "Ich habe den Kamerunern 2002 ein Konzept gegeben, wie sie den Nachwuchs besser trainieren und mehr Talente hochziehen können. Sie waren begeistert, haben aber nichts getan. Es gibt so viele Talente, die der Verband nicht kennt." Auch anderswo herrscht Misswirtschaft: Erst vor zwei Wochen löste Ghana seinen Fußballverband wegen Korruptionsvorwürfen auf. Schäfers Fazit: "Es dauert noch etwas, bis die Afrikaner top sind."

Einstweilen hofft ein ganzer Kontinent, dass die Senegalesen um Superstar Sadio Mané ihre Viertelfinalteilnahme von 2002 wiederholen. "Senegal ist körperlich eine der härtesten Mannschaften der Welt. Zweikampfstark, kopfballstark, mit guter defensiver Ordnung. Vorne mit extremer Geschwindigkeit dank Mané", charakterisiert Pfannenstiel, der in Sachen Halbfinale trotzdem skeptisch ist. Trainer Cissé spürt die Unterstützung: "Ganz Afrika ist stolz auf uns." Vielleicht wird Afrika bald noch stolzer - und das Trikot der "Löwen von Teranga" zum Verkaufsschlager.

Alexander Petri