Ingolstadt
"Outing – den Druck hält keiner aus"

Ralph Gunesch und Stefan Leitl vom FC Ingolstadt über Homosexualität im Fußball

20.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:21 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Es gilt als eines der letzten Tabu-Themen des Profi-Fußballs: Homosexualität. Warum aber gibt es gerade in der populärsten Sportart des Landes solche Berührungsängste mit Schwulen und Lesben, während sich die Gesellschaft zunehmend um Normalisierung bemüht? Unser Redakteur Norbert Roth hat sich mit zwei Profis des FC Ingolstadt unterhalten. Stefan Leitl (35, verheiratet, drei Kinder) und Ralph Gunesch (29, feste Freundin in Hamburg) erklären, wo sie die Probleme sehen und warum sie in naher Zukunft nicht mit dem Outing eines deutschen Profis rechnen.

Der Fußball-Weltverband Fifa schreibt in seinen Regeln vor, dass das Küssen auf dem Platz zu unterbleiben hat. Ist das wirklich ein Problem?

Ralph Gunesch: Also mir ist das schon mal passiert, dass ich einen Mitspieler nach seinem Tor im Überschwang auf die Wange geküsst habe. Habe ich jetzt gegen die Fifa-Statuten verstoßen?

Stefan Leitl: Unser ehemaliger Co-Trainer hat mich auch schon mal abgeküsst. Aber bis jetzt ist auch bei mir noch kein Brief von der Fifa eingegangen.

Vielleicht haben die Regelhüter auch nur übergroße Angst. Wie sieht es denn mit dem gemeinsamen Duschen aus, wenn Schwule dabei sein könnten?

Gunesch: Mir persönlich ist das völlig egal. In einer öffentlichen, gemischten Sauna fallen ja auch nicht alle übereinander her, nur weil man nackt ist. Wir gehen ja auch so mal in eine öffentliche Sauna. Durch meine Vergangenheit bei St. Pauli habe ich einen völlig unkomplizierten Umgang damit. Dort hatten wir mit Corny Littmann einen schwulen Präsidenten. Selbst wenn der nach dem Aufstieg in der Kabine war und fast mit im Pool gelandet wäre – da hat sich wirklich keiner Gedanken gemacht. Bei mir ändert sich jedenfalls nichts, egal ob da ein Schwuler im Kader ist oder nicht.

Entsprechend sind Sie auch noch nicht auf schwulenfeindliche Kollegen getroffen?

Gunesch: Nicht wirklich. Da passiert vor allem viel Unüberlegtes, weil sich die Leute keine Gedanken machen, wenn sie irgendwelche Schimpfworte benutzen. Bei St. Pauli wird man da schnell geimpft. Irgendwann fragst du selbst deine Kollegen: „Hey, weißt du eigentlich, was du da gerade gesagt hast“ Dann merken die ganz schnell, wie überflüssig das ist.

Wird da also von außen eine Art Paranoia hereingetragen und im Mannschaftskreis ist Homosexualität überhaupt kein Thema?

Leitl: Das Ganze wird innerhalb der Mannschaft spätestens dann ganz schnell zum Thema, wenn sich jemand outen sollte. Ganz einfach, weil die Öffentlichkeit extrem darauf reagieren wird. Ich persönlich kann mir aber nicht vorstellen, dass ein Outing innerhalb einer halbwegs funktionierenden Mannschaft zu einem Problem werden könnte. Da hat eher die Gesellschaft insgesamt ein Problem.

Gunesch: Wenn, dann gibt es wohl eher Probleme im Stadion und nicht unter uns Spielern. Auswärts wirst du nun mal als Gegner, als Feind angesehen. Entsprechend sucht man nach Schwächen. Und in den Köpfen von vielen Menschen steckt leider immer noch drin, dass Schwulsein eine Schwäche ist. Vermutlich, weil auch andere Instanzen wie die katholische Kirche oder die Politik ihre Probleme damit haben. Solange sich das nicht ändert, wird sich kein Fußballer outen.

Leitl: Das wirst du aber nicht erleben, dass sich dieses Bild in der katholischen Kirche noch einmal ändert. Wenn sich jemand entscheidet, sein Leben anders zu gestalten, kann ich doch nur als Einzelperson versuchen, diesem Menschen mit dem entsprechenden Respekt zu begegnen.

Von wo droht denn im Falle eines Outings die meiste Gefahr? Von den Vereinen, den Zuschauern oder vielleicht den Medien?

Leitl: Ich würde die Zuschauer als erstes nennen. Wenn du zu Auswärtsspielen fährst, wird es mit Sicherheit Probleme geben. Hinzu kommt, dass du als Fußballer natürlich den sozialen Netzwerken ausgesetzt bist. Das ist eigentlich das Hauptproblem, weil dann diese Hetzjagden entstehen können. Parallel glaube ich zum Beispiel gar nicht unbedingt, dass die Medien das auf Dauer so hoch hängen würden. Wobei der Erste natürlich schon einiges aushalten müsste.

Gunesch: Es stimmt schon, durch das Internet können sich die Leute in der Anonymität verstecken und trotzdem eine Art Welle auslösen. Hinzu kommt, dass man sich in der Kurve gut in der Masse verstecken kann. Da ist die Gesellschaft einfach noch nicht so weit, dass hier ein aktiver Selbstreinigungsprozess einsetzen würde. Es gibt noch zu wenige, die da entgegenwirken würden.

Beim Thema Rassismus hat so eine Selbstreinigung im Fußball aber schon mal stattgefunden.

Gunesch: Ja, ich erinnere mich, weil ich mit Gerald Asamoah und Otto Addo selbst einmal zusammengespielt habe. Was die mir aus anderen Fußballstadien erzählt haben – Wahnsinn! Aber es hat beim Thema Rassismus auch einige Zeit gedauert, bis sich die Fifa mit entsprechenden Aktionen eingeschaltet hat und dagegen vorgegangen ist. Das Thema Homosexualität braucht sicher noch etwas Zeit, bis es in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Ist es nicht kurios, dass sich im Frauen-Fußball Nationalspielerinnen ohne Probleme öffentlich mit ihren gleichgeschlechtlichen Partnern zeigen können, für die männlichen Kollegen dies aber tabu zu sein scheint?

Gunesch: Weil in vielen Köpfen die Vorstellung, dass Fußball nur von angeblich „richtigen Männern“ gespielt wird, eben noch zu tief in den Köpfen steckt.

Und, wird Fußball nur von „richtigen Männern“ gespielt?

Gunesch: Ich mag diesen Begriff überhaupt nicht. Wenn die Leute wüssten, wer tatsächlich schwul ist, würde dieses Bild vom „richtigen Mann“ schlagartig an Bedeutung verlieren. Es ist nichts als ein albernes Klischee.

Allgemein wird angenommen, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell sind. Viele glauben, wenn sich der Erste geoutet hat, kehrt deshalb auch recht bald Normalität ein. Aber, wie Dortmunds Coach Jürgen Klopp sagt, man kann keinem Profi empfehlen, dieser Erste zu sein.

Leitl: Genau. Beim Ersten würden sich alle darauf stürzen. Ich stell’ mir das extrem schwer vor. Was würden Sie als Redakteur denn machen, wenn sich jemand outet?

Natürlich wäre es interessant zu erfahren, wie man einem schwulen Profifußballer begegnet, welche Probleme er hat und wie sich sein Leben verändert.

Leitl: Eben. Und schon fragt dich keiner mehr, wie du Fußball spielst. Du wirst nur noch mit diesem Thema konfrontiert, egal bei welchem Verein.

Es soll Journalisten geben, die schwule Fußballer unter Druck setzen, um Informationen von ihnen zu bekommen.

Leitl: Naja, im Fußball sind natürlich auch viele Schwätzer unterwegs, die sich wichtig machen wollen, oder?

Gunesch: Aber so etwas gibt es. Leider.

Haben Sie selbst schon mit schwulen Kollegen zusammengespielt?

Gunesch: Also, dazu muss ich als Erstes sagen, dass ich es merkwürdig finde, wenn sich Leute im Fernsehen hinstellen und behaupten: Ich kenne schwule Nationalspieler. ,Halt doch die Klappe’, würde ich da am liebsten sagen. Man muss mit seinem Wissen doch wirklich nicht angeben. Fakt ist, dass der Fußball ein Querschnitt der Gesellschaft ist. Wir haben vom Elite-Professor bis zum Schulabbrecher alles dabei. Und so gibt es eben auch den Schwulen und den Heterosexuellen bei uns. Aber ich muss jetzt sicher nicht aufzählen, wie viele schwule Profis ich kenne.

Leitl: Bei mir sieht es ähnlich aus. Ob und wo ich vielleicht mal mit einem zusammengespielt habe, ist völlig uninteressant.

Herr Gunesch, Sie haben bei St. Pauli gespielt. Dort gab es, wie erwähnt, mit Corny Littmann mal einen schwulen Präsidenten. Wäre so ein Klub nicht für das erste Outing prädestiniert?

Leitl: Sorry, aber selbst dieser Klub ist dazu nicht prädestiniert. Der betroffene Spieler hätte dort genauso diesen unheimlichen Druck auszuhalten. Und den hält nach meinem Dafürhalten keiner aus.

Gunesch: Grundsätzlich hätte der betroffene Spieler bei St. Pauli sicher die volle Rückendeckung des gesamten Vereins, der kompletten Fanszene und des ganzen Stadtteils.

Leitl: Das glaube ich. Aber was ist, wenn du St. Pauli verlässt?

Gunesch: Eben, sobald du aus Hamburg raus bist, kann es ganz schnell anders aussehen. Fahr’ als Spieler von St. Pauli zum Beispiel mal nach Rostock – die beiden Vereine können eh nicht miteinander. Ich hab dort gespielt – da gab es Geschmack- und Pietätlosigkeiten, die kann man hier gar nicht zitieren. Und wenn du dann mit einem Outing eine Vorlage lieferst, wird die eiskalt ausgenutzt. Da hilft dem Spieler dann auch die Rückendeckung des Vereins nicht, weil der am Ende des Tages zu Hause sitzt und diese Dinge alleine verarbeiten muss.

Was kann man nach Ihrer Meinung tun?

Gunesch: In vielen Stadien gibt es inzwischen Plakate und Aktionen gegen Homophobie. Das finde ich grundsätzlich sehr unterstützenswert. Bei unserem letzten Heimspiel gegen Bochum gab es das im Übrigen auch in Ingolstadt – klasse. Soweit ich weiß, haben sich Vereine wie St. Pauli, Union Berlin, Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf auch schon öffentlich dazu positioniert. Es müssen aber noch mehr werden, damit das Thema in der Gesellschaft ankommt. Außerdem sind die Medien in der Pflicht, Homosexualität nicht ständig als etwas Besonderes darzustellen. Dann wird es hoffentlich irgendwann normal.

Leitl: Ich halte es, wie gesagt, für ein gesamtgesellschaftliches Problem. Deshalb ist ein Outing aus meiner Sicht in naher Zukunft nicht zu erwarten. Es mag hart klingen, aber ich kann es mir nicht vorstellen.