Ingolstadt
Partylöwe oder Torjäger?

Stürmer Osayamen Osawe kämpft beim FCI um seine Karriere und den Traum vom großen Fußball

17.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:44 Uhr
Hoch veranlagt, aber noch nicht mehr als ein Talent: Der 24-jährige Stürmer Osayamen Osawe will beim FC Ingolstadt den nächsten Karriereschritt machen. −Foto: Bösl

Ingolstadt (DK) Wenn es in der neuen Saison um die Musikgestaltung in der Spielerkabine des FC Ingolstadt geht, ist der Konkurrenzkampf bestimmt genauso groß wie auf dem Platz. Freddy Ananou ist derzeit der DJ, doch die beiden Neuzugänge Charlie Benschop und Osayamen Osawe dürften sicher auch ihre Ansprüche anmelden.

Vermutlich haben die Talentspäher der Schanzer auf dieses Kriterium nicht so sehr geachtet, doch bei Osawe dürften die Qualitäten im Bereich R & B, Rap und dergleichen ziemlich ausgeprägt sein. Schließlich wuchs der gebürtige Nigerianer in London und Manchester auf, spielte musikalisch gesehen quasi schon in der Champions League. "Ich höre den ganzen coolen Stuff, der eben so läuft", meint "Yamen", wie er von seinen Mitspielern genannt wird. Auf einen Interpreten festlegen will er sich nicht, die Auswahl ist zu groß.

Ganz anders sieht es im Fußball aus. Da hat er nach einigen Rückschlägen mittlerweile einen konkreten Plan. "Ich will spielen und allmählich nach oben kommen. Die Bundesliga ist mein Ziel, aber ich denke daran erst, wenn ich mich reif dafür fühle", sagt Osawe, der in seiner Karriere Demut gelernt hat.

Der zweitjüngste Spross einer siebenköpfigen Familie weiß, wie schwer es ist, von ganz unten nach oben zu kommen. Nach seiner Ausbildung im Nachwuchs von Manchester City und bei den Blackburn Rovers musste er sich in der vierten und fünften Liga verdingen. Er wurde zwischen Vereinen hin- und herverliehen, doch niemand war bereit, die in England für Spieler unter 22 Jahren obligatorische Ablöse zu zahlen, um ihn in eine bessere Liga zu holen.

"Ich bin durch viele Tiefen gegangen und wollte schließlich mein Glück in Deutschland versuchen. Ich will spielen und nicht auf der Bank sitzen oder wieder verliehen werden. Deshalb war der Weg von Halle über Kaiserslautern nach Ingolstadt für mich genau richtig. Ingolstadt ist eine Top-Adresse in der zweiten Liga, und ich sehe hier die Chance, regelmäßig zu spielen", meint Osawe, dessen stärkste Qualitäten seine Geschwindigkeit, sein Durchsetzungsvermögen und sein Tordrang sind.

Der Start bei den Schanzern verlief für den 1,81 Meter großen Stürmer durchwachsen. Eine Einblutung im Knie zwang ihn im Trainingslager zu einigen Tagen Pause, doch im Testspiel gegen Wacker Innsbruck (2:0) war der 24-Jährige wieder dabei und erzielte sogar ein Kopfballtor, das wegen einer Abseitsstellung nicht anerkannt wurde. "Positiv war, dass ich noch weitere Chancen hatte, aber ich hätte effektiver sein können. Daran will ich arbeiten", sagt der gelernte Mittelstürmer, der beim FCI aber mehr auf den Flügeln gesehen wird.

Trainer Stefan Leitl ist mit Osawes Auftreten in den ersten Wochen zufrieden. "Er hat seine Stärken in den Umschaltmomenten und in offensiven Eins-gegen-eins-Situationen. Er ist dynamisch und sehr präsent auf dem Weg zum Tor. Das wollten wir haben", sagt Leitl. Zur Vergangenheit Osawes verliert der FCI-Trainer von sich aus kein Wort. Erst auf Nachfrage erklärt er: "Das war und ist für mich kein Thema. Man darf einen jungen Spieler nicht nach dem ersten Fehler verurteilen. Wir haben uns natürlich über ihn erkundigt und gehen davon aus, dass so etwas nicht mehr passiert."

Gemeint ist eine Eskapade, mit der der Nigerianer abseits des Platzes vor knapp zwei Jahren größte Aufmerksamkeit erlangte. Der Fall: Vor einem Testspiel seines ehemaligen Arbeitgebers 1. FC Kaiserslautern meldete sich Osawe krank. Statt das Bett zu hüten, fuhr er jedoch mit dem Zug nach Paris und zog dort um die Häuser. Dann postete er ein Selfie auf seinem Snapchat-Account, dachte aber nicht daran, dass ein Follower das Foto weiterleiten könnte - seither kursiert es im Netz, und über Osawe ergossen sich Hohn, Spott und Schlagzeilen vom "dümmsten Fußball-Profi Deutschlands".

Doch Osawe kann mittlerweile darüber schmunzeln. "Andere Spieler begehen auch Jugendsünden. Ich war dumm genug, mich dabei erwischen zu lassen. Das war mein Fehler", erzählt er und lacht. "Ich habe dafür bezahlt. Man hat mich oft genug damit aufgezogen, aber jetzt ist das Thema Geschichte."

Zumal sie sich letztlich für ihn sogar gelohnt hat. Osawe wurde zwar vereinsintern bestraft und für zwei Wochen suspendiert, doch nach seiner Rückkehr schoss er die Lauterer mit einem Hattrick zu einem 3:0-Sieg gegen den VfL Bochum. "Da waren die Fans wieder versöhnt", meint der Stürmer. Obendrein lernte er auf dem Paris-Trip seine jetzige Freundin Rosa kennen, die im September zu ihm nach Ingolstadt ziehen will.

"Ich habe aus all meinen Stationen gelernt und bin glücklich über meine Entwicklung. Jetzt will ich noch konstanter werden und mich beim FCI auch in der Rolle als Vorbereiter verbessern", sagt Osawe, der es in bisher 57 Zweitliga-Einsätzen auf 11 Treffer brachte, darunter zwei Hattricks. Außerdem will der Mann mit dem originellen Manchester-Akzent auch Deutsch-Unterricht nehmen, um sich noch schneller in seiner neuen Umgebung zurechtzufinden. Eine in Nürnberg lebende Tante könnte ebenfalls dabei helfen. Den Traum vom großen Fußball und einer Karriere in der Bundesliga oder gar der Premier League hat Osawe nämlich noch nicht aufgegeben. Er weiß jetzt aber: Weitere Skandale kann er sich dafür nicht leisten - allenfalls der "Nebenjob" als Kabinen-DJ bei den Schanzern ist noch drin.
 

Gottfried Sterner