Köln
"Das hatte ich nie geplant"

Interview mit Ex-Bundestrainer Rudi Völler zu seiner "Weißbier-Rede" vor zehn Jahren

20.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:46 Uhr

Köln (DK) Anlässlich des zehnten Jahrestages der „Weißbier-Rede“ widmet das Fußballmagazin „11FREUNDE“ dem ehemaligen Fußball-Bundestrainer Rudi Völler ein großes Porträt. Hier Auszüge aus einem begleitenden Interview: Rudi Völler über seinen Ausraster in Island, die Last der Verantwortung und seinen Rücktritt nach der verpatzten EM 2004. Mit dem Ex-Bundestrainer sprach Tim Jürgens.

Herr Völler, am 6. September jährt sich Ihre legendäre „Weißbier-Rede“ zum zehnten Mal. Gegen Island hatte die von Ihnen trainierte Nationalelf nur 0:0 gespielt. Im Anschluss gab es im ARD-Studio Ihren legendären Ausbruch bei Waldemar Hartmann. Wie erinnern Sie sich daran?

Rudi Völler: Das Problem im Stadion in Reykjavik war, dass alles sehr überschaubar war. Kurze Wege vom Platz in die Kabine, von dort schnell ins TV-Studio, das unmittelbar neben der Umkleide lag. Deswegen bekam ich – was sonst selten der Fall war – die letzten Minuten der Analyse von Günter Netzer und Gerhard Delling mit. Und während ich zuhörte, kochten bei mir die Emotionen. Natürlich wusste ich, dass wir nicht gut gespielt hatten. Die Dinge, die da gesagt wurden, machten es nicht besser. Und so brach es aus mir raus.

 

Ihr Nachfolger Jürgen Klinsmann hat vor der WM 2006 mal ganz gezielt Medienschelte betrieben. War das auch Ihr Ziel?

Völler: Natürlich gab es auch im Vorfeld ein paar Dinge, die mir nicht so gefallen hatten. Aber die Abrechnung, die es dann wurde, hatte ich nie geplant. 

 

Wie waren die Reaktionen?

Völler: Die vier Tage bis zum nächsten Spiel gegen Schottland in Dortmund waren der Wahnsinn. Ich war jeden Tag auf den Titelblättern, in Deutschland gab es Sondersendungen. Da baute sich Druck auf, denn die Berichterstattung wirkte sich zunehmend auch auf die Spieler aus. Zumal Schottland auch unser direkter Verfolger in der Gruppe war. 

 

Aber Sie gewannen das Match mit 2:1.

Völler:  Das Spiel vor 70 000 Zuschauern zu gewinnen, war ganz wichtig. Danach war die Sache im Prinzip ausgestanden. 

 

Joachim Löw sagt, wenn er vor die Haustür tritt, wird aus „Jogi“ der „Bundestrainer“. Wie haben Sie diese  besondere Form der Aufmerksamkeit empfunden?

Völler:  Bundestrainer ist die Funktion mit der meisten Aufmerksamkeit im deutschen Sport. Ich habe immer versucht, mir nicht so viel Gedanken darüber zu machen.  

 

Ihre Frau hat nie sagen müssen: „Lieber Herr Bundestrainer, nun machen Sie mal halblang“?

Völler:  Ach was. Natürlich kam es vor, dass ich manchmal in Gedanken war, wen ich aufstelle oder nominiere. Ein generelles Problem des Trainerjobs ist, dass man nie abschalten kann. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass ich überhaupt kein normales Leben mehr führe.

 

Welchen Stellenwert haben die vier Jahre als Teamchef für Ihr Leben?

Völler: Nationaltrainer wird man nicht so oft im Leben. Das ganze Paket bedeutet mir sehr viel, und ich möchte die Zeit auf keinen Fall missen. Ich habe bei allen Höhen und Tiefen auch viel fürs Leben gelernt.

 

Wie meinen Sie das?

Völler: Wenn Sie als Verantwortlicher eine Mannschaft in die WM-Relegation führen oder mit einem Spiel weniger am Ende einer WM-Vorrunde vor dem Aus stehen und gewinnen, dann wissen Sie, was Druck ist. Dann gibt es so schnell nichts mehr, was Sie umwirft.

 

Aber Sie hatten doch schon als Spieler zwei WM-Finals erlebt.

Völler: Das ist etwas völlig anderes. Als Spieler trägt man nur bedingt Verantwortung. Und nach einer Niederlage kommt bald das nächste Spiel – und das Gewesene ist vergessen. Aber als erster Trainer in der DFB-Geschichte verantwortlich zu sein, dass eine Nationalmannschaft sich nicht für die WM qualifiziert, das bleibt hängen.

 

Hatten Sie jemals Angst um Ihren überaus guten Ruf? Die Deutschen liebten schließlich „nur einen Rudi Völler“.

Völler: Ich werde nie vergessen, wie uns die Ukraine in der Relegation vor der WM 2002 in den ersten 20 Minuten in Kiew vor 85 000 Zuschauern an die Wand spielte. Da schwirrte mir tatsächlich der Satz im Kopf: „Wohin wandere ich aus, wenn das schiefgeht“ Was, wenn ich der Trainer wäre, unter dem die Nationalelf in der Geschichte eine WM-Quali verpasst?

 

Als Sie schließlich bei der EM 2004 nach der Vorrunde ausschieden, legten Sie trotz Vertrags Ihr Amt nieder. Dabei versuchte DFB-Chef Mayer-Vorfelder Sie noch vom Gegenteil zu überzeugen. 

Völler: Ich bin mir der Position des Nationaltrainers immer sehr bewusst gewesen. Mir war klar, dass es nach dem enttäuschenden Aus schwer werden würde, zwei Jahre eine neue Euphorie zu schüren und aufrecht zu erhalten. Es musste ein neuer, unverbrauchter Kopf her, einer, mit dem die Zuschauer und Spieler kein Negativerlebnis in Verbindung brachten. Schließlich ging es um die WM im eigenen Land.

 

Bereuen Sie Ihre Entscheidung, wenn Sie sich die Euphorie vergegenwärtigen, die Jürgen Klinsmann beim Sommermärchen 2006 entfachte?

Völler: Nein, ich würde es immer wieder so machen. Das Risiko, dass es schiefgeht, war zu groß. Vielleicht würde ich es anders sehen, wenn die WM in Brasilien oder Russland stattgefunden hätte. 

 

Haben Sie sich – so wie Klinsmann nach der WM 2006 – nach der EM in Portugal ausgebrannt gefühlt?

Völler: Natürlich ist man nach einem Turnier kaputt. Aber, wie gesagt, ich hielt es für meine Pflicht zurückzutreten, denn ein Ausscheiden nach der Vorrunde ist für eine Fußballnation wie Deutschland zu wenig.

 

Rudi Völler, liegen wir falsch, wenn wir Ihre Zeit als Teamchef der Nationalelf als vergessene Ära bezeichnen? 

Wir haben keinen großen Titel gewonnen, manches ist von außen betrachtet auch nicht ideal gelaufen. Aber ich schaue auf diese Zeit positiv zurück.