Manuel
Singende Fans

04.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

Manuel Neuer grinste wie ein Tänzer der TSG Bremerhaven, als er nur wenige Minuten nach seiner Heldentat kurz nach Mitternacht vor den Journalisten auftauchte. Auch dieser 18. Elfmeter war sein Ding. Egal was er sagte, die Gesichtsmimik ließ jederzeit erkennen, wer in dieser Nacht glücklich ins Bett gehen werde. Wenn überhaupt. Diese Nacht von Bordeaux. Sie wird in die Fußballgeschichte eingehen. Nicht weil Deutschland erstmals die Italiener in einem Turnier geschlagen hat, sondern weil Deutschland dreimal geschlagen schien und wieder aufgestanden ist. Spätestens als Bastian Schweinsteiger den Ball in den südfranzösischen Nachthimmel bugsierte, schien das Ding gelaufen.

Um mich herum blankes Entsetzen. Die Fernseh-Frau neben mir sackte in sich zusammen, sie hatte nichts mehr im Repertoire. Was überraschend war, denn was sie zuvor über das Spiel und die Italiener im Besonderen von sich gegeben hatte, würde selbst in einem zivilisierten Land für eine mittellange Haftstrafe reichen. In Sizilien hätte sie es nicht überlebt. "Ich komme aus dem Oldenburger Land, ich darf das", hatte sie mir zwischenzeitlich als Erklärung geliefert, bevor sie wieder den Filmtitel von Oliver Welke und Bastian Pastewka zitierte. Euphorisiert und gleichzeitig paralysiert schien sie am Ende aber auch. Wie wir alle auf der Medientribüne, denn ein Aus hätte die Heimfahrt bedeutet. Statt Marseille. Was er gedacht habe, als er um 23.42 Uhr als umjubelter Held von Bordeaux die Arme in die Höhe riss? Neuer grinste nur, sprach vom Drama, dem Nervenkrieg und dass dieses Elfmeterschießen zum ganzen Spiel gepasst habe. Es passte auch, dass Joachim Löw wenig später verriet, dass er erst einmal abtauchen wollte, alleine in der Kabine sein. Das Gefühl des stillen Triumphes genießen. Das hatte ich am Ende des Abends auch, denn die Wirte in der Altstadt hatten zwei Stunden nach Mitternacht dicht gemacht.

Was eine schlaue Entscheidung war, denn die meisten herumziehenden Fußballfans hatten dieses Stadium nach dem Stadion auch. Dass ich den Abend auch ohne den Schluck Bordeaux mit einem fröhlichen Grinsen beenden durfte, lag übrigens nicht nur am Ergebnis oder meiner längst schlafenden Vermieterin Delfine. In der rappelvollen Straßenbahn stimmten Fans urplötzlich einen Song an. Sie kennen den Refrain: "Es gibt nur einen Rudi Völler." Doch die schmetterten meinen Namen in die Bahn. Es waren Fans aus der Heimat. Was für ein geiler Abend.

 

Wolfgang Stephan berichtet in einem Tagebuch von der EM in Frankreich.