Jupp
Torwart und Buchautor mit Rückgrat

06.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

Jupp Derwall hatte sich festgelegt: Norbert Nigbur hieß der Mann seines Vertrauens, der Gelsenkirchener sollte bei der EM-Endrunde 1980 definitiv das deutsche Tor hüten. Als dann jedoch, nach dem gewonnenen Finale gegen Belgien, die Siegerfotos von der deutschen Nationalmannschaft im Römer Olympiastadion geschossen wurden, stand da Harald Schumacher mit der Nummer eins.

Als der große Rückhalt des DFB-Teams, der in allen vier Partien jenseits des Brenners mit starken Leistungen geglänzt hatte und der folglich als einer der Väter des Erfolges galt. Nigbur hingegen? Der saß zu Hause, nach einer schweren Meniskusoperation. Seine Laufbahn mit dem Adler auf der Brust war beendet.

Die von Schumacher kam anschließend erst so richtig in Fahrt. Dass er das Endspiel in der italienischen Hauptstadt mit einer gebrochenen Mittelhand bestritt ("Unser Arzt aus Köln wurde extra eingeflogen, um mir eine Spitze reinzuhauen, damit ich spielen konnte") - irgendwie typisch für ihn. Es gab in der Tat kaum ein Körperteil, an dem er im Laufe seiner Karriere nicht irgendeine Blessur hatte.

Erst nach abgeschlossener Lehre zum Kupferschmied hatte der gebürtige Dürener einst, im Alter von 18 Jahren, den Schritt zum 1. FC Köln gewagt - für einen Bruttolohn in Höhe von 1200 Mark im Monat. Am 8. September 1973 kam's schließlich zu Schumachers Debüt in der Ersten Bundesliga, 421 weitere Partien folgten dann im Trikot der "Geißböcke". Und es hätten noch deutlich mehr sein können - wenn der Keeper nicht Mitte der 80er Jahre auf die Idee gekommen wäre, unter die Buchautoren zu gehen. "Anpfiff" hieß sein damaliges Werk, das rund eineinhalb Millionen mal über die Ladentische ging, das in 15 Sprachen übersetzt wurde - und das ihm auch einen schönen Karriereausklang kostete, weil er auf den insgesamt 254 Seiten auch massive Dopingvorwürfe in Richtung des deutschen Fußballs äußerte.

Prompt reagierten die Verantwortlichen gnadenlos: Rauswurf beim 1. FC Köln, Rauswurf bei der Nationalelf - nach 76 Länderspielen, nach den zwei WM-Vizemeistertiteln 1982 und 1986 sowie eben dem EM-Titel von 1980. "Ich würde das Ganze jedoch exakt wieder so schreiben, ich habe nur die Wahrheit gesagt", versichert Schumacher: "Ich bezahlte dann zwar einen hohen Preis dafür, aber lieber ein Knick in der Laufbahn als im Rückgrat."

Dass der DFB kurz nach der Buchveröffentlichung offizielle Dopingkontrollen in der Bundesliga einführte - wirklich nur Zufall? Der Keeper jedenfalls stand später noch beim FC Schalke 04, FenerbahÃ.e Istanbul, dem FC Bayern München sowie Borussia Dortmund unter Vertrag. In dieser Zeit ergatterte er immerhin einen Türkischen und einen Deutschen Meistertitel, um am 18. Mai 1996 sein letztes von 464 Bundesligaspielen zu bestreiten - im Alter von mit 42 Jahren, zwei Monaten und 13 Tagen.

Schumachers anschließende Laufbahn im Trainergeschäft? Höchst überschaubar. Nur beim damaligen Zweitligisten Fortuna Köln agierte er kurz als Chef, um dort im Dezember 1999 höchst niveaulos während einer Halbzeitpause entlassen zu werden - ein im deutschen Profifußball bislang einzigartiger Vorgang.

Übrigens: Schumacher heißt ganz offiziell wirklich nicht Toni, sondern Harald. "Aber wenn mich heute jemand so rufen würde, würde ich wohl gar nicht reagieren", gesteht der 62-Jährige, der mittlerweile als Vizepräsident des 1. FC Köln fungiert.