Ein Großer als Spieler und als Trainer

03.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Wolfram Wuttke schüttelte den Kopf. "Ich war's doch gar nicht, der sich diesen Namen ausgedacht hatte. Ich war nur der Dumme, dem er neben einem Journalisten erstmals rausgerutscht ist - und am nächsten Tag gab's das Ganze halt in der Zeitung zu lesen", sagte der schon 2015 verstorbene Ex-Nationalspieler in einem Interview vor rund vier Jahren.

Nur wenn nicht er, wer hatte dann die Schuld daran, dass Jupp Heynckes einst zu "Osram" wurde - in Anlehnung an eine bekannte Glühbirnenmarke?

Der "Übeltäter" ist schnell gefunden: Rudi Gores, der zwischen 1976 und 1980 als Profi bei Borussia Mönchengladbach kickte. "Jupp war damals irgendwann unser Chefcoach und hatte hierbei das Problem, dass er mit den meisten Spielern noch selbst auf dem Rasen gestanden war. Also war er nun öfter nervös, wenn er vor der Mannschaft sprechen musste. Und wenn er sich verhaspelte, bekam er prompt einen roten Kopf. Deshalb haben ich ihm diesen Spitznamen verpasst."

Was soll's? Aus dem unsicheren Novizen auf der Trainerbank ist ja längst "Don Jupp" geworden. Ein weltweit geachteter, verehrter und geschätzter Experte, der sich spätestens durch den Gewinn des Triples (Champions League, Deutsche Meisterschaft, DFB-Pokal) mit dem FC Bayern in der Saison 2012/13 unsterblich gemacht hat. Noch nie zuvor war dies einem deutschen Chefcoach gelungen, noch nie zuvor hatte dies ein Chefcoach mit einem deutschen Verein geschafft.

Mittlerweile ist Heynckes 71 Jahre alt und lebt auf einem umgebauten Bauernhof in Schwalmtal in der Nähe von Mönchengladbach. Der Niederrhein - einfach seine Heimat. Hier war er einst als neuntes von zehn Kindern einer Schmiedfamilie auf die Welt gekommen, hier hatte er den Beruf des Stuckateurs erlernt und das Fußball- sowie Eishockeyspielen begonnen.

Nur Heynckes und der Puck, das ging nicht lange gut - zum Glück seiner Borussia vom Bökelberg, die ihn somit mühelos im Jahr 1963 unter Vertrag nehmen konnte. Insgesamt 15 Jahre lang blieb er dieser dann treu, nur zwischen 1967 und 1970 trug er zwischenzeitlich ein anderes Trikot (Hannover 96). Und der Angreifer traf, und traf, und traf für seine Fohlen. Exakt 195-mal netzte er für sie im deutschen Fußball-Oberhaus ein, wurde zweimal Bundesliga-Torschützenkönig. Und weil seine Teamkameraden eben auch nicht ganz schlecht waren, holten sie in dieser Zeit Titel um Titel an den Niederrhein. Viermal Deutscher Meister, einmal DFB-Pokalsieger sowie einmal Uefa-Cup-Gewinner - so "Don Jupps" persönliche Ausbeute in den Siebzigern. Ganz Europa schwärmte damals von den Fohlen. Und schwärmte vom gnadenlos effektiven Heynckes.

Schon am 22. Februar 1967, beim 5:1 gegen Marokko in Karlsruhe, hatte er sein erstes von 39. Länderspielen bestreiten dürfen - und der Gladbacher gehörte sofort zu den Torschützen. Seine größten Höhepunkte dann mit dem Adler auf der Brust: Natürlich der Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land und des EM-Titels 1972 in Belgien. Aber da es bei jenen Turnieren auch einen Gerd Müller gab, blieb für Heynckes stets nur eine Nebenrolle übrig. Schade für ihn.

Mit fünf eigenen Treffern beim 12:0 gegen Borussia Dortmund am 29. April 1978 beendete er schließlich seine aktive Karriere als Fußballer - um als akribischer, ehrgeiziger Arbeiter auf die Trainerbank zu wechseln. Beziehungsweise als "Osram", aus dem auch als Chefcoach ein richtig Großer wurde.