"Özil und der DFB haben Fehler gemacht"

Der DFB-Integrationsbeauftragte Cacau über die Rassismus-Debatte, seinen Glauben und Vereinsarbeit

21.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:23 Uhr
Ex-Nationalspieler Cacau −Foto: Boris Roessler

Herr Cacau, zu Beginn Ihrer Bundesliga-Zeit zogen Sie nach Toren Ihr Trikot hoch und zeigten T-Shirts mit Sätzen wie "Jesus lebt und liebt dich".

Warum haben Sie diese Geste gemacht?

Cacau: Ich wollte meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und in dem Moment, in dem ich durch ein Tor erfolgreich war, den Menschen zeigen, wie wertvoll sie in Gottes Augen sind. Aber kurze Zeit später wurde diese Art des Torjubels leider verboten.

Haben Sie denn die T-Shirts weiterhin unter dem Trikot getragen?

Cacau: Nein, ich wollte mich innerhalb der Regeln bewegen. Aus meinem Herzen kann niemand Jesus herausreißen. Nur einmal zeigte ich beim Jubeln ein T-Shirt mit dem Buchstaben "J" und drei Punkten als Aufschrift. Aber da kam dann ein Brief von der Deutschen Fußball-Liga.

Wirklich? Das war der DFL als Botschaft schon zu viel?

Cacau: Sie haben mir geschrieben, dass sie mich dafür nicht bestrafen, ich es aber künftig unterlassen soll. Das habe ich dann akzeptiert und nach Toren beide Hände nach oben gestreckt und meinen Glauben so gezeigt.

Sie sind praktizierender Christ, gehen in Ihrem Heimatort regelmäßig in den Gottesdienst. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Gott beschreiben?

Cacau: In der Bibel heißt es: "Ich werde euch nicht mehr Diener nennen, sondern ich nenne euch Freunde. " Es ist eine tagtägliche Beziehung zu Jesus und Gott, die ich Freundschaft nennen würde. Man teilt seine Freude, aber auch das, was einen stört oder bedrückt. Man ist mit Gott durch das Gebet im Gespräch.

Ihre Profi-Karriere in Deutschland begann in der fünften Liga beim Türk SV München. Wie sehr hat Ihnen der Glaube auf Ihrem Weg in die Bundesliga geholfen?

Cacau: Ich hatte wirklich Schwierigkeiten, weit weg von der Familie, ohne Freunde in Deutschland zu sein und in einer neuen Umgebung nicht dem Heimweh nachzugeben. Der Glaube war anfangs eine sehr starke Motivation. Er hat mir auch geholfen, auf dem Boden zu bleiben, dass man die Menschen achtet und auf sie zugeht.

Findet man in einer Fußball-Mannschaft ein Umfeld, seinen Glauben zu leben?

Cacau: Mit meinem Freund Dirk Heinen (2003 bis 2008 beim VfB Stuttgart d. Red. ), der auch gläubiger Christ ist, habe ich mich oft unterhalten und wir haben uns gegenseitig ermutigt. Es gab auch ab und zu Fragen zu unserem Glauben und wir haben ein bisschen erklärt, was die Bibel zu bestimmten Themen zu sagen hat. Auch mit anderen Brasilianern wie Marcelo Bordon habe ich innerhalb der Mannschaft darüber gesprochen und zusammen gebetet.

Als gebürtiger Brasilianer debütierten Sie 2009 in der deutschen Nationalmannschaft. Wie hat sich das angefühlt?

Cacau: Als eine Ehre. Ich spürte große Dankbarkeit, für Deutschland zu spielen und Deutschland zu repräsentieren.

Wie haben die Leute reagiert?

Cacau: Sehr positiv. Die Leute haben mich außerordentlich gut angenommen und akzeptiert. Ich wurde oft sehr freundlich auf der Straße angesprochen.

Sie hatten sogar den Spitznamen Helmut.

Cacau: Den habe ich bekommen, als ich den deutschen Pass bekommen hatte. Ich fand ihn witzig, aber Cacau ist besser, oder? (lacht)

Auch nach Ihrer Karriere blieben Sie dem DFB treu und wurden Integrationsbeauftragter. Was sind Ihre Aufgaben in dieser Funktion?

Cacau: Es geht vor allem um den Amateurfußball und darum, alles zu fördern, was mit Integration und Fußball zu tun hat. Wir wollen durch Maßnahmen und Aktivitäten für das Thema sensibilisieren.

Welche persönlichen Erfahrungen geben Sie Jugendlichen mit Migrationshintergrund weiter?

Cacau: Vor allem, dass man sich einbringt. Dass man die Möglichkeiten, die Sprache zu lernen, auch nutzt. Meine Sicht ist, dass man es in Deutschland weit bringen kann, wenn man die Sprache beherrscht.

Spielt auch Ihr Glaube bei dieser Arbeit eine Rolle?

Cacau: Auf jeden Fall. Ich versuche Werte, die mir der Glaube gegeben hat, weiterzugeben. Also Motivation, aber auch die Liebe zu den Menschen und wie man Menschen begegnet.

Nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 löste der Rücktritt von Mesut Özil aus der DFB-Elf eine große Integrations-Debatte aus. Wie haben Sie die Diskussion wahrgenommen?

Cacau: Für mich ist es im Nachhinein nur bedauerlich, wie mit dem Thema umgegangen wurde. Ich finde, Mesut hat aus meiner Sicht einige Fehler gemacht, wurde aber zum Teil unsachlich kritisiert. Und auch der DFB hat einige Fehler im Umgang mit dem Thema gemacht.

Welche Fehler genau?

Cacau: Ich finde, dass sich der DFB nicht klar positioniert hat. Es gab keine klare Linie zu dem Thema und dem Spieler. Vorher schützend, später fordernd.

Was hat Özil falsch gemacht?

Cacau: Es war sehr naiv zu meinen, dass das Bild (mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan d. Red. ) gar kein Problem ist und sich dann nicht zu äußern. Auch der Rassismus-Vorwurf gegenüber dem DFB, also dem Präsidenten (Grindel d. Red. ) und seiner Unterstützer, war für mich nicht nachvollziehbar. Ich sehe beim DFB kein Rassismus-Problem, auch nicht flächendeckend in Deutschland.

Glauben Sie, dass es vereinzelt im Fußball Rassismus gibt?

Cacau: Der Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. So wie es in der Gesellschaft vereinzelt Rassismus gibt, gibt es ihn auch im Fußball.

Hat die Debatte auch Ihre Arbeit als Integrationsbeauftragter erschwert?

Cacau: Nach außen hin ist es nicht förderlich gewesen, da braucht man nicht drüber zu diskutieren. Aber der Fußball besitzt nach wie vor eine große Integrationskraft. Er ist nicht die Lösung aller Probleme, aber ein wichtiges Mittel, um Menschen zu integrieren. Er schafft Zugang zu Menschen, die hier schon lange leben. Man lernt, als Team zu agieren und einander zu vertrauen. Es würde aber auch helfen in den Vereinen an der Basis mehr Trainer und Funktionäre mit Migrationshintergrund zu haben.

Warum gibt es denn zu wenige Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund?

Cacau: Ungefähr 20 Prozent der DFB-Mitglieder haben einen Migrationshintergrund, in der gesamten Gesellschaft ist der Anteil ähnlich. Bei den Trainern und Funktionären sind es aber nur acht bis neun Prozent. Im deutschen Amateurfußball ist ehrenamtliche Arbeit selbstverständlich, aber in anderen Ländern kennt man das so nicht. In Brasilien zum Beispiel werden die Trainer dafür bezahlt. Es geht darum, Menschen, die zugewandert sind, zu erklären, wie Fußball an der Basis in Deutschland funktioniert. An dieser Stelle kann man etwas verbessern.

Das Gespräch führte

Christian Missy.