Leipzig
Glanzvolle Vorstellung – allerdings nur eine Halbzeit lang

Deutsche Nationalelf bezwingt Russland mit 3:0, ohne dass in Leipzig echte Stimmung aufkommt

15.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:14 Uhr
Leroy Sane (r) jubelt nach dem 1:0 mit Timo Werner. −Foto: Christian Charisius (dpa)

Leipzig (DK)  Der Versuch, gegen die russische Auswahl Selbstvertrauen zu tanken, ist der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gestern Abend absolut gelungen. Sie schlug die aktuelle Nummer 41 der Fifa-Weltrangliste ungefährdet mit 3:0 (3:0) und zeigte dabei zumindest in der erste Halbzeit einen höchst erfrischenden Auftritt.

Trotzdem, was für ein trauriges Bild in der Redbull-Arena: Überall leere Plätze, auf der Gegengeraden blieben sogar ganze Blöcke unbesetzt. Am Schluss waren's dann zwar offiziell doch 35288 Zuschauer – aber die Zeiten, in denen die schwarzrotgoldenen Elitekicker als Publikumsmagneten fungierten, sind in der Tat  vorbei. Bloß wer mag es dem zahlenden Volk verdenken? Eine familienunfreundliche Anstoßzeit (20.45  Uhr), immer noch übertrieben hohe Eintrittspreise, außerdem die zuletzt enttäuschenden Leistungen der eigenen Nationalmannschaft – alles Dinge, über die sich die DFB-Verantwortlichen vielleicht mal Gedanken machen sollten. Denn Länderspiele in einem halbleeren Stadion bereiten nicht wirklich Vergnügen – so erfreulich die sportlichen Leistungen auf dem Rasen auch sein mögen.

Und gestern waren die Leitungen zweifellos erfreulich – zumindest die des deutschen Teams. Von Beginn an nahm es das Heft in die Hand, wirkte entschlossen – wollte unbedingt eine überzeugenden Auftritt hinlegen. Dass die Russen einen dankbaren Gegner abgaben, dass sie sich nicht im Ansatz wie ein WM-Viertelfinalist präsentieren – zweifellos eine Seite der Wahrheit. Aber trotzdem muss man selbst so einen Kontrahenten erst einmal knacken, Räume gegen ihn finden, ihn durch starke Kombinationen aushebeln – ohne dabei ungeduldig zu werden.

Bundestrainer Joachim Löw gab diesmal wieder verstärkt der Jugend eine Chance, propagierte erneut einen „Umbruch light“ - und wurde hierfür belohnt. Man nehme nur den Treffer zum 1:0: Der 22-jährige Thilo Kehrer wagte da aus dem Mittelfeld heraus einen durchdachten Steilpass auf den 23-jährigen Serge Gnabry, und dessen zentimetergenaue Hereingabe wurde dann vom 22-jährigen Leroy Sane aus kurzer Distanz zu dessen erstem Länderspieltor verwandelt (8.). Das sah toll aus, das erwärmte das Publikum in der sächsischen Kälte. Aber ganz ehrlich: Wirklich schwer gemacht wurde es der DFB-Elf in dieser Aktion nicht. In manch einer Trainingseinheit bei Jogis Jungs geht es wohl energische zur Sache.

Gleiches galt für Treffer Nummer zwei: Wie frei Niklas Süle da nach einem Eckstoß von Joshua Kimmich an den Ball kam – schlichtweg unglaublich. Folglich konnte der Innenverteidiger schon fast nicht mehr anders, als aus nur sieben Metern Entfernung ebenfalls erstmals in seiner Karriere für die deutsche Nationalmannschaft einzunetzen (25.). Ja, irgendwie durfte an diesem Donnerstagabend jeder DFB-Kicker irgendwie glänzen – außer vielleicht die, die eigentlich Defensivaufgaben erledigten sollten, denn sie blieben gegen die harmlosen Russen lange Zeit komplett beschäftigungslos.

Man stelle sich vor, die Partie wäre in eine vollbesetzten Arena in Dortmund oder Köln ausgetragen worden: Das Publikum wäre wohl schlichtweg ausgeflippt, hätte Jogis Jungs gefeiert und weiter nach vorne gepeitscht. Nicht so in Leipzig: Die dortige Minikulisse nahm es zwar wohlwollend zur Kenntnis, wie die deutschen Nationalspieler Tor um Tor erzielten - mehr aber auch nicht. Nur gut, dass sich die DFB-Elf dadurch nicht abhalten ließ, weiterhin Gas zu geben. Logische Konsequenz hiervon war das 3:0 des quirligen Gnabry nach Zauberpass von Kai Havertz (40.). Und mit diesem Halbzeitstand waren die Gäste aus Russland noch bestens bedient.

Prompt gab es nach dem Seitenwechsel das große Aufwachen – einerseits bei den Zuschauern, die plötzlich einige La-Ola-Wellen durch die Arena schwappen ließen und andererseits bei der Sbornaja, die in der Kabine anscheinend ein paar passende Worte von ihrem Cheftrainer Stanislaw Tschertschessow zu hören bekommen hatte. Auf der anderen Seite verlor die Löw-Truppe zunehmend den Faden - adieu Spielwitz, auf Wiedersehen Kombinationsfußball. So wäre ein russischer Anschlusstreffer bald gar nicht mehr so unverdient gewesen.  Aleksey Ionov besaß hierfür die beste Chance, er zielte jedoch mutterseelenallein aus zwölf Metern Entfernung knapp vorbei (48.).

Ansonsten stand die restliche zweite Halbzeit ganz im Zeichen der unzähligen Wechsel auf  beiden Seiten - und die machten jeglichen Spielfluss komplett kaputt. Immerhin pfiff das Leipziger Publikum deswegen nicht gleich. Oder es war es ihm hierfür einfach nur zu kalt. Für  die DFB-Elf geht es nun am Montag gegen die Niederlande weiter – in Gelsenkirchen, in der Arena auf Schalke. Der Gegner dort dürfte zweifellos eine Hausnummer stärker sein als derjenige gestern – und das Publikum dort deutlich fußballbegeisterter.