Köln
Große Zukunft, bewegte Vergangenheit

Lettlands Elvis Merzlikins ist einer der besten WM-Torhüter dabei wollte er fast schon aufhören

15.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:07 Uhr

Ist der lettische Rückhalt, obwohl er in der Kindheit selbigen lange vermisste: der 23-jährige Elvis Merzlikins. - Foto: Stollarz/AFP

Köln (DK) Konzentriert verfolgen seine Augen den Weg des Pucks, auf ein gutes Stellungsspiel ist er dabei stets bedacht. Kommt der Schuss dann auf ihn zu, packt Elvis explosiv und reaktionsschnell zu. Auf diese Weise hat Elvis Merzlikins der lettischen Eishockey-Nationalmannschaft bei der WM bereits drei Siege gesichert.

Dabei ist er gerade mal 23 Jahre jung. Sein Weg zum Profi aber könnte schon ein ganzes Buch füllen.

Immer wieder hat Merzlikins das Leben übel mitgespielt. Schon als er drei war, starb sein Vater. Von dem weiß er nur, dass er begeisterter Rock'n Roller gewesen ist, so sehr, dass er seinen Sohn auf den Namen Elvis taufen ließ. Nach seinem Tod hatte es die nun allein erziehende Mutter schwer. Im nach der Unabhängigkeit von der UdSSR jungen Lettland mussten die Menschen zwischen Kommunismus und Kapitalismus ihren Platz suchen. Die Mutter schuftete, die Erziehung blieb auf der Strecke - Elvis war oft auf sich allein gestellt.

Um Abwechslung in den Alltag zu bringen, investierte die Mutter das ersparte Geld im Jahre 2001 in einen Urlaub im Tessin. Dort lernte sie einen Mann kennen, verliebte sich, heiratete und blieb. Sohn Elvis fand in dieser Zeit Gefallen am Eishockey, schließlich ist der HC Lugano einer der Schweizer Traditionsvereine. Eines Tages wollte der damals Siebenjährige vor dem Tor einfach nur mal ein paar Pucks aufsammeln. Plötzlich kamen weitere geflogen. Elvis stoppte sie reflexartig.

Zufällig beobachtete Luganos Torwart-Trainer diese Szene und war schwer beeindruckt. Er legte Elvis nahe, den Bambinis beizutreten. Schnell war eine Schweizer Lizenz ausgestellt, was sich Jahre später einmal als einer der wenigen glücklichen Fügungen im Leben des Elvis Merzlikins herausstellen sollte.

Doch die nächste Enttäuschung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Die Ehe der Mutter ging in die Brüche und der Weg 2004 zurück nach Riga. Eishockey wollte er zwar auch dort spielen, der dortige Trainer aber ließ ihn nur selten ran. Zudem tat es die Ausrüstung nicht mehr, und für eine neue fehlte der Mutter das Geld. Der Gedanke ans Aufgeben wurde immer konkreter, als die Mutter eines Tages in der Post einen Brief des HC Lugano fand. Der suchte einen Jugend-Torwart und erinnerte sich an Merzlikins. Auch weil dieser durch seine Schweizer Lizenz ja keine Ausländerstelle blockiert. Elvis' Mutter zögerte nicht lange. Sie wusste, dass sich der Traum der Torwart-Karriere für ihren Sohn in Lettland nicht erfüllen würde und ließ den 15-Jährigen ziehen. In Lugano lebte er auf dem Eis auf, jedoch verstarb seine Gastmutter. Mit 16 sowie noch dazu im Ausland lebte Elvis plötzlich erstmals allein und war damit völlig überfordert. In der Wohnung sah es aus wie bei einem Messie. Zudem kaschierte er seine sozialen Unsicherheiten mehr und mehr durch unflätiges Benehmen.

Der Torwart-Trainer nahm sich seiner an und brachte Elvis auch sportlich auf den Weg. Seit 2014 ist Merzlikins die Nummer eins des HC Lugano und inzwischen sogar vom NHL-Klub Columbus Blue Jackets gedraftet. Seine Fangquote bei der WM in Köln liegt bei 94,63 Prozent. Damit belegt er hinter Andrej Vasilevski Platz zwei. Bislang spielte er als einziger Torhüter jede Minute - allerdings wurde er gestern Abend gegen Russland geschont. "Es gibt in meinem Leben nichts Wichtigeres als Eishockey. Die Leidenschaft dafür steht bei mir über allem", sagt Merzlikins. Elvis lebt seinen Traum. Für Deutschland könnte er zum Albtraum werden.