Ingolstadt
"Wir haben Rückstand auf andere Teams"

23.11.2020 | Stand 04.01.2021, 3:33 Uhr
Gibt wieder die Richtung vor: ERC-Trainer Doug Shedden mit Angreifer Frederik Storm. −Foto: Traub

Die Quarantäne nach der Einreise aus Florida ist beendet: Seit Samstag bereitet Trainer Doug Shedden den ERC Ingolstadt auf die Corona-Saison der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) vor. Der 59-Jährige spricht im Interview über die Neuzugänge, Corona, den Modus und liebende Ehefrauen.

 

Herr Shedden, wie haben Sie die Zeit in der Quarantäne totgeschlagen?
Doug Shedden: Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Ich habe der Geschäftsstelle eine Liste von Lebensmitteln geschickt, und sie haben für mich eingekauft. Ich bin lange aufgeblieben und habe den ganzen Tag geschlafen (lacht). Vor ein oder zwei Uhr nachmittags bin ich nicht aufgestanden. Mit Netflix und American Football ging das schon.

Vor sechs Jahren hatten Sie einen Herzinfarkt, damit gehören Sie zur Risikogruppe für eine Corona-Erkrankung. Haben Sie für sich persönlich Sicherheitsvorkehrungen getroffen?
Shedden: Meine Frau hätte es schon gerne, dass ich mich noch mehr schütze. In Florida waren wir jeden Tag mit einigen Leuten beim Golfen (lacht). Am Strand haben sich oft zu viele Menschen versammelt, das sieht man nicht so gerne. Man versucht, sich richtig zu verhalten, Abstand zu halten. Wir wollen, dass wir das Virus loswerden, dass Restaurants öffnen können. Bis eine Impfung kommt, müssen wir alle unseren Teil dazu beitragen.

Haben Sie darüber nachgedacht, in dieser Situation nicht nach Ingolstadt zurückzukehren?
Shedden: Nein, überhaupt nicht. Dieser Gedanke kam mir nicht in den Sinn.

Wie beeinflusst das Virus Ihre tägliche Arbeit als Trainer mit der Mannschaft?
Shedden: Es dauert alles etwas länger, speziell an den Tagen, an denen die Jungs getestet werden. Ich habe der Mannschaft gesagt: Die ganze Welt ist im Moment ein totales Chaos, lasst sie uns nicht noch chaotischer machen. Seid vorsichtig und verantwortungsvoll, tut das Richtige.

Sie hatten bis jetzt drei Trainingseinheiten mit der Mannschaft. Wie ist Ihr erster Eindruck nach dieser doch extrem langen Pause?
Shedden: Klar ist: Wir haben einen Rückstand auf andere Teams, die schon seit August trainieren. Ein Spieler wie Daniel Pietta, der bereits ein bisschen älter ist, braucht schon einen Monat, um diesen Rückstand aufzuholen. Aber was ich auch schon sagen kann: Er ist ein verdammt guter Spieler! (lacht) Ich will das Team nicht in der ersten Woche völlig kaputtmachen, zudem haben wir noch nicht allzu viele Spieler im Training. Also sind sie in den Übungen häufiger gefordert und werden schneller müde. Wir versuchen, das Training so zu dosieren, dass sie sich nicht verletzen.

Was macht Piettas Spiel aus?
Shedden: Nichts gegen Brett Olson, er hat als Mittelstürmer in unserer ersten Reihe in den vergangenen Jahren fantastische Arbeit geleistet. Aber erst wenn Olson dein Center für die zweite oder dritte Reihe ist, bist du in richtig guter Verfassung. Pietta ist Nationalstürmer, er ist stark, groß und hat noch einiges vor. Ich bin gespannt, wie er und Wayne Simpson harmonieren. Es sollte eine gute Verbindung werden.

Welchen Eindruck haben Sie von den anderen Neuzugängen gewonnen, die schon auf dem Eis sind?
Shedden: Frederik Storm sieht stark aus. Er ist nicht der Größte, aber ein guter Schlittschuhläufer. Justin Feser macht einen exzellenten Eindruck. Ich mochte ihn nicht, als er noch mit Bremerhaven gegen uns gespielt hat, weil er und seine Reihe immer gut waren. Jetzt sehe ich ihn im Training aus der Nähe, und er ist wirklich klasse. Diese beiden sind zwei Teile, die richtig gut in unser Puzzle passen. Louis-Marc Aubry ist ein großer Junge, der uns gemeinsam mit Pietta Wucht und Durchschlagskraft auf der Mittelstürmerposition gibt. Torwart Michael Garteig findet sich gerade noch ein, sieht aber ebenfalls stark aus.

Was erwarten Sie von dem Trio Nicolas Daws, Mat Bodie und Ben Marshall, das an diesem Dienstag ins Training einsteigt?
Shedden: Ich kenne sie noch nicht persönlich, aber ich freue mich auf sie. Von einem 20-jährigen Torwart wie Daws darf man anfangs noch nicht zu viel erwarten, aber er wird seine Chancen erhalten und zeigen können, was er draufhat. Bodie war auf seinen Stationen meist Kapitän oder Assistent, er hat also Charakter. Marshall ist nicht besonders groß gewachsen, bewegt sich aber gut.

Planen Sie, einen Goaliecoach für Daws und Garteig zu holen?
Shedden: Ich würde das begrüßen, aber diese Frage muss Larry beantworten. Daws bräuchte sicher einen, Garteig würde es auch gefallen. Unser Modell der vergangenen Saison funktioniert nicht, denn David Belitski kann wegen der Quarantäne-Bestimmungen nicht für ein paar Tage aus Kanada einfliegen. Wir müssten jemanden finden, der in Europa ist.

Welche Eigenschaften wünschen Sie sich von den drei Neuzugängen, die noch kommen werden?
Shedden: In der Verteidigung haben wir viele Jungs, die die Scheibe bewegen können. Vielleicht holen wir noch einen Defensivstarken. Wir werden sehen. Der Verteidiger-Markt ist nicht allzu groß. Wir benötigen noch einen deutschen Verteidiger, was nicht so einfach ist, weil es nicht gerade vor Bobby Orrs (legendärer NHL-Verteidiger, d. Red.) da draußen wimmelt (grinst). Im Angriff denke ich, dass wir genügend Leute zum Scoren haben. Vielleicht brauchen wir noch jemanden, der seine Checks zu Ende fährt.

Benötigt Ihre Mannschaft in dieser außergewöhnlichen Saison mit engem Spielplan und unregelmäßigem Spielrhythmus andere Eigenschaften als sonst?
Shedden: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Es stimmt, der Spielplan wird nicht so regelmäßig sein wie normal, mit Spielen am Freitag und Sonntag und einem freien Montag. Es wird ein bisschen nach dem Muster Versuch und Irrtum ablaufen.

Wie schwer ist es für Spieler, die zum ersten Mal in Europa spielen, sich in dieser Situation mit der deutschen Kultur und Lebensart bekannt zu machen?
Shedden: Kein Oktoberfest, kein Christkindlmarkt - es ist merkwürdig. Das Schöne an Europa ist ja, dass man diese tollen Städte wie Nürnberg und München besuchen kann, dass man nach Österreich fahren kann. Dieses Jahr ist das alles schwierig bis unmöglich. Am besten ist es, wenn man eine liebende Frau zu Hause hat - denn das ist der Ort, an dem man in dieser Saison viel Zeit verbringen wird (lacht).

Was halten Sie vom DEL-Modus mit einer Nord- und einer Südgruppe?
Shedden: Das ist nicht entscheidend. Wir sollten das nicht kritisieren, sondern es annehmen. Wir müssen diese Saison durchstehen, und danach werden wir hoffentlich wieder schrittweise zur Normalität zurückfinden. Sicher haben wir mit der Südgruppe, in der sich die beiden Top-Teams München und Mannheim befinden, schwere Gegner erwischt. Aber so ist das Leben.

Auch Ihr Angstgegner Straubing befindet sich in der Südgruppe.
Shedden: Wir haben zuletzt in Straubing gewonnen, als Christus noch ein Cowboy war (lacht). Das ist eine Weile her. Wir hätten im vergangenen Jahr dort siegen müssen, aber dieses dumme Gegentor? (das 6:7 fiel eine Sekunde vor Schluss, d. Red.). Wir müssen versuchen, in unserer Gruppe vor Straubing, Augsburg, Schwenningen und Nürnberg zu landen.

DK


Das Gespräch führte
Alexander Petri.