Corona-Lage
Schmerzhafte Spielverzögerung

10.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:19 Uhr

−Foto: Oliver Strisch

Die Schiedsrichter betrifft die Corona-Pause in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) unterschiedlich stark: Während Talent Lukas Kohlmüller in Vollzeit seinem Hauptjob nachgehen kann, bezieht Profi-Referee Daniel Piechaczek Arbeitslosengeld. Das Duo aus Bayern erzählt von Hoffnungen, Ersatzbeschäftigungen - und warum Geisterspiele schwieriger zu leiten sind.

Er pfiff bei neun Weltmeisterschaften, leitete zwei Finalspiele in der Champions Hockey League und war bei den Olympischen Spielen 2014 im russischen Sotschi im Einsatz. Doch die Coronavirus-Pandemie hat dem renommiertesten Eishockey-Referee Deutschlands ein Bein gestellt: Daniel Piechaczek, seit 2002 Haupt- und seit 2007 Profi-Schiedsrichter in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), ist arbeitslos. "Mein Vertrag ist im Frühjahr ausgelaufen und wurde aufgrund von Corona bislang auch nicht verlängert", sagt der 46-Jährige unserer Zeitung.

Seit März ruht der Spielbetrieb in der DEL, frühestens kurz vor Weihnachten geht es weiter. Piechaczek, der in normalen Jahren zwei bis drei Spiele pro Woche leitet und sein Auto rund 60000 Kilometer quer durch die Republik steuert, leidet. Er hält sich mit Crossfit-Training in Form, vertieft sich in Regelkunde und Videoanalyse - doch "ohne Eishockey fehlt definitiv was. Im Vergleich zu den Jahren, in denen ich bei der WM dabei war, ist 2020 schon heftig. Das geht in gewisser Weise an die Substanz", gibt der Geretsrieder zu. Auch finanziell: Trotz Arbeitslosengeld seien die Einbußen "spürbar", vor allem im Sommer "war es extrem". Seit einigen Wochen pfeift Piechaczek immerhin Spiele in der Schweiz. "Das macht es erträglicher", sagt er.

Lukas Kohlmüller hat die Spielpause in der DEL nicht ganz so hart getroffen. Der 26-Jährige ist im Gegensatz zu Maschinenbau-Ingenieur Piechaczek kein Profi, sondern arbeitet in Vollzeit als technischer Betriebsprüfer beim Luftfahrt-Bundesamt. "In Corona-Zeiten ist das natürlich ein Vorteil, nicht komplett vom Eishockey abhängig zu sein", sagt der Erdinger, der als 16-Jähriger erstmals die Pfeife in die Hand nahm und vor zwei Jahren vom Linien- zum jüngsten Hauptschiedsrichter der DEL wurde. An der Seite von Piechaczek, mit dem er sich regelmäßig austauscht, fungierte Kohlmüller beim Champions-League-Endspiel 2018 als Linesman, außerdem vertrat er den Deutschen Eishockey-Bund bei der WM 2017 in Köln und Paris sowie Olympia 2018 in Pyeongchang/Südkorea. "Das war gigantisch, so etwas mit 24 Jahren erleben zu dürfen", schwärmt er.

Aktuell wäre Kohlmüller schon froh, eine ganz normale DEL-Partie leiten zu dürfen. Stattdessen stand er in den vergangenen Wochen allenfalls bei ein paar Nachwuchs-, Landesliga- oder DEL2-Testspielen auf dem Eis. Die Atmosphäre bei den meist ohne Zuschauer ausgetragenen Partien sei "komisch" gewesen. "Wie bei einem Trainingsspiel. Wir sind eine gewisse Lautstärke und Pfiffe der Fans gewohnt. Ohne ist das Pfeifen fast schwieriger", findet er.

 

Piechaczek, der 2014 gemeinsam mit dem heutigen DEL-Schiedsrichterchef Lars Brüggemann sechs der sieben Finalspiele des ERC Ingolstadt gegen die Kölner Haie leitete, hat in der Schweiz ähnliche Erfahrungen gemacht. "Man bekommt einzelne Reaktionen von Spielern oder Trainern eher mit und muss schneller intervenieren", erzählt er. Generell seien Geisterspiele für alle Beteiligten unbefriedigend: "Mir tut es leid für die Spieler, die nicht von den Rängen unterstützt werden. Für die Fans tut es mir im Herzen weh, dass sie unseren tollen Sport im Moment nicht live erleben dürfen." Diesen Phantomschmerz spüren auch die Referees, wie Kohlmüller verrät: "Auch wir Schiedsrichter sind alle riesige Eishockey-Fans und machen uns Gedanken über die Zukunft."

Trotz der schwierigen Lage seines Kollegen kann sich Kohlmüller vorstellen, dem Beispiel Piechaczeks zu folgen und irgendwann ebenfalls als hauptamtlicher Schiedsrichter zu arbeiten. Bisher schreibt Kohlmüller für jeden seiner Einsätze eine Rechnung - als Profi könnte er mit der Liga einen eigenen Vertrag aushandeln. Auch Piechaczek hat noch keine Lust auf die Schiedsrichter-Rente: "Ich fühle mich topfit und habe riesigen Spaß an meiner Arbeit." Eine Altersgrenze, die ihn in zum Aufhören zwingen würde, existiert nicht mehr.

Ein erster Schritt in Richtung DEL-Eishockey ist der Magenta-Sport-Cup, der ab Mittwoch acht Erstligisten als Vorbereitungsturnier auf eine Saison 2020/21 dienen soll. Über deren Start will die Liga am 19. November entscheiden. "Jeder ist ein bisschen unsicher, wie es weitergeht", fasst Kohlmüller die Gemütslage der Schiedsrichter zusammen. "Ich hoffe für alle, dass wir in irgendeiner Art und Weise spielen können und den Sport zurück auf die Bühne bringen." Zur Not auch mit schwieriger zu pfeifenden Geisterspielen.

DK

 

Alexander Petri