„Ich bin sehr enttäuscht von mir selbst“

14.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:29 Uhr

Ingolstadt (DK) Die viele Freizeit nach dem frühen Saisonende des ERC Ingolstadt verbringt Tommy Samuelsson auf seinem neuen Mountainbike. Selbstkritisch analysiert der 57-jährige Trainer die Spielzeit
und gibt einen Überblick zum Stand der Zukunftsplanungen.

Herr Samuelsson, bei Ihrer Vorstellung im Sommer 2016 haben Sie gesagt, dass man am Ende einer Saison nichts bedauern darf. Vermutlich haben Sie aber doch etwas zu bedauern, oder?

Tommy Samuelsson: Ich mache mir gerade natürlich viele Gedanken. Wir waren nicht gut genug in der entscheidenden Phase. Wir haben keine Siegermentalität entwickelt. Das tut mir wirklich weh. Für mich, für die Spieler und für alle, die jeden Tag knallhart für den Klub arbeiten. Aber man muss wieder aufstehen, weitermarschieren und die Details in Zukunft besser machen. Das macht für mich einen Gewinner aus. 

Welche Details meinen Sie?

Samuelsson: Wir müssen alle lernen, dass man rund um die Uhr für unseren Sport lebt. Die Anforderungen an jeden einzelnen Spieler, an die Trainer, an alle müssen höher sein. Man muss in jede Spielsituation so reingehen, als wäre es die letzte. Ich bin sehr enttäuscht von mir selbst, dass ich es nicht geschafft habe, mit dieser Botschaft alle zu erreichen. Meine Mission als Trainer ist, dass ich den Spielern vermittle: Versucht alles in eurer Karriere! Das kostet Zeit und Kraft, darunter leidet das Familienleben. Während einer Saison bin ich fast unsozial. Aber man darf nicht in eine Situation kommen und sich selbst fragen: Warum habe ich nicht alles versucht? Ich gebe allerdings nicht auf.

Einige Spieler haben mitunter nicht die Aufgabe erfüllt, die ihnen zugeteilt war. Hätten Sie nicht mal jemanden auf die Tribüne setzen müssen?

Samuelsson: Ich bin nicht der Typ Trainer, der so arbeitet. Ich bin damit aufgewachsen, dass man die positiven Seiten vermitteln soll. Wenn man positiv redet, wollen die Menschen auch die negativen Sachen verändern. Wenn man nur negativ redet, zieht man sich nach unten. 

Warum haben Sie gegen Bremerhaven kein Mittel gefunden – weder in den Pre-Play-offs noch in der Hauptrunde? Es gibt sicher immer Teams, die einem vom Stil her nicht liegen. Aber das kann Ihnen ja nicht als Erklärung reichen. 

Samuelsson: Im Grunde ist Bremerhaven eine gute Mannschaft, das haben sie nicht nur gegen uns, sondern auch gegen andere bewiesen. In einer „Best-of-Three“-Serie muss man das erste Spiel zu Hause gewinnen. Ansonsten hat man den Druck, das nächste Spiel gewinnen zu müssen – und „müssen“ ist nicht gut in unserem Leben. Wir haben kein Rezept gefunden – bis zum letzten Spiel, in dem wir fünf Tore geschossen haben. 

Sie waren während der Saison sehr loyal gegenüber dem ERC, als Sie aufgrund des dünn besetzten Kaders phasenweise nur drei Reihen aufbieten konnten und dennoch keine Nachverpflichtungen gefordert haben. Hätten Sie früher auf den Tisch hauen sollen?

Samuelsson: Eigentlich nicht. Ich bin nicht die Persönlichkeit, die neue Spieler fordert und in Panik verfällt, wenn drei, vier Spieler fehlen. Als wir die Situation überstanden hatten, hat sich die Mannschaft vielleicht etwas zu sehr zurückgelehnt. Das ist etwas, womit ich mich selbstkritisch auseinandersetze. Wenn man sich in den Play-offs durchsetzen will, muss jeder marschieren. Ich hatte ab und zu Schwierigkeiten, die Mannschaft davon zu überzeugen. 

Sie hatten sich für einen Verbleib des inzwischen entlassenen Sportdirektors Jiri Ehrenberger ausgesprochen. Warum? 

Samuelsson: Ich habe sehr eng mit Jiri zusammengearbeitet, deswegen tut mir das natürlich leid. Aber so ist das im Sport, das nächste Mal stehe vielleicht ich zur Debatte. Eines sollte man jedoch immer beachten: Man muss einen Unterschied zwischen dem Menschen und seiner Aufgabe machen. 

Wie haben Sie die teils persönliche Kritik der Fans an Ehrenberger wahrgenommen?

Samuelsson: Ich bin zum Glück nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs. Aber ich habe natürlich den Druck mitbekommen, der über allem lag. Das ist der Nachteil an den neuen Medien, dass jeder andere niedermachen kann. Es ist wichtig, dass man in solchen Phasen hinter seinen Leuten steht. Am Ende gibt aber die Leistung den Ausschlag. 

Inwieweit sind Sie bei der Suche nach einem neuen Sportdirektor eingebunden?

Samuelsson: Bis jetzt war eigentlich noch keine Zeit. Die Gespräche fangen in dieser Woche an. Wir sollten uns nicht unter Druck setzen lassen, da es eine wichtige Entscheidung für unsere Zukunft ist.

Larry Mitchell aus Straubing hat im Gespräch mit unserer Zeitung Interesse signalisiert. Was halten Sie von ihm?

Samuelsson: Ich habe ihn bislang nur kurz nach den Spielen getroffen. Da bekommt man natürlich noch kein Gefühl füreinander. Wenn er es werden sollte, muss man sich zusammensetzen und schauen, ob die Chemie stimmt und ob man die gleiche Denkweise bezüglich der Zukunft des Klubs hat. 

Mitchell würde auf das von Geschäftsführer Claus Gröbner skizzierte Anforderungsprofil passen. 

Samuelsson: Schauen wir mal (lacht). Wahrscheinlich haben sich schon 20 Leute beworben. Das ist eine schwierige Position, für die man eigentlich 36 Stunden am Tag arbeiten muss. Es geht ja nicht nur um Spielerverpflichtungen, sondern auch um Scouting, die ökonomische Seite oder die Organisation rund ums Team.

Rund ein Dutzend Spieler verlässt den ERC. Was müssen die Neuzugänge mitbringen?

Samuelsson: Wir brauchen Spieler, die sich beweisen wollen und ihr Potenzial abrufen. Ich war selber kein großartiges Talent, aber habe mich durchgesetzt, weil ich hart arbeiten konnte. Das gilt auch heute noch.

Das klingt so, als ginge der Blick bei den Neuzugängen eher in unterklassigere Ligen. Gesucht sind also junge, hungrige Spieler und nicht jene, für die die DEL ein „Rückschritt“ wäre? 

Samuelsson: Ich hätte gerne, dass Ingolstadt als Klub dafür steht, dass Spieler hier den nächsten Schritt in ihrer Karriere gehen können. Die Spieler müssen sehen, dass hier beste Bedingungen dafür herrschen. 

Es werden Namen gehandelt, die genau in dieses Anforderungsprofil fallen: der Ex-Münchner Joachim Ramoser oder Dennis Swinnen aus Weißwasser.

Samuelsson: Das sind Spieler, an denen auch andere Klubs Interesse haben. Wenn sich junge deutsche, schwedische oder kanadische Spieler beweisen wollen, wünsche ich mir, dass ihre Wahl auf Ingolstadt fällt. Nicht wegen des Geldes, sondern weil sie hier die Chance bekommen, ihre Karriere zu entwickeln.

War das Profil des ERC in dieser Richtung nicht scharf genug?

Samuelsson: Das weiß ich nicht. Das bedeutet im Übrigen überhaupt nicht, dass man deswegen seine sportlichen Ziele nicht erreichen kann. Sowohl als Spieler als auch als Klub soll das Ziel sein, das letzte Spiel der Saison zu gewinnen. Dann ist man ein Gewinner und muss nicht Tennis oder Squash spielen. Oder Karten mit seiner Frau, damit man gewinnt (lacht).

Planen Sie, die beiden jüngsten ERC-Profis Christoph Kiefersauer und Simon Schütz in der kommenden Saison fest nach Ingolstadt zu holen?

Samuelsson: Absolut. Simon hat für mich alle Qualitäten, sich in der DEL durchzusetzen. Für mich war wichtig, dass er in Kaufbeuren (beim Kooperationspartner in der DEL2, d. Red.) eine wichtige Rolle bekommt. Schütz kann in Zukunft bei uns Powerplay spielen, läuferisch ist er für mich schon einer der besten Verteidiger der Liga. „Kiefi“ hat seine Qualitäten, aber er muss an Muskelmasse zulegen. Hoffentlich schafft er das im Sommer. 

Wie plant der ERC nach dem Abgang Marco Eisenhuts auf der Torhüterposition hinter Timo Pielmeier?

Samuelsson: Ich muss mir vorwerfen, dass ich Marco nicht früher gebracht habe, sondern erst am 15. Spieltag. Wir haben mit Vorbereitung und Play-offs in Zukunft hoffentlich rund 80 Partien, deswegen brauchen wir zwei Torhüter und eine Konkurrenzsituation. Auch im Training kann man mit zwei gleichwertigen Torhütern Kraft sparen.

Haben Sie schon jemanden für die vakante Position des Co-Trainers im Blick?

Samuelsson: Damit muss ich mich diese Woche verstärkt beschäftigen. Ich habe ein paar Namen im Kopf. Für mich ist wichtig, dass derjenige Deutsch spricht und hungrig ist. Wenn die Coaches das vorleben, machen das die Spieler auch. 

Suchen Sie jemanden, der die Rolle des „Bad Cop“ übernehmen kann?

Samuelsson: In gewissen Situationen muss ich selbst der „Bad Cop“ sein. Für mich ist wichtig, dass der Co-Trainer ab und zu die Eiseinheiten übernimmt, damit ich beobachten kann. Wir reden über bis zu 250 Trainings, Spiele und Meetings, bei denen die Mannschaft zusammenkommt. Da ist es gut, wenn die Jungs mal eine andere Stimme hören. Petr Bares hat das super gemacht, er ist ein Fixpunkt dieses Klubs und ein Schlüssel für gute Nachwuchsarbeit.

Verfolgen Sie die Play-offs noch oder haben Sie keine Lust mehr? 

Samuelsson: Diese Woche habe ich keine Lust gehabt (lacht).

Das Gespräch führten Julian Schultz und Alexander Petri.