Hockenheim
Nur vier Punkte fehlen

Audi-Pilot René Rast verpasst DTM-Titel trotz Siegesserie - Gary Paffett lässt Mercedes jubeln

14.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:28 Uhr
Der DTM-Fahrer Gary Paffett (vorne) aus Großbritannien hebt bei der Siegerehrung für den Gesamtsieg den Siegerpokal in die Höhe. Im Hintergrund steht der DTM-Fahrer Rene Rast. Foto: Uwe Anspach/dpa −Foto: Uwe Anspach (dpa)

Hockenheim (DK) "Der beste Tag meines Lebens", stottert und weint Gary Paffett gestern um 14.30 Uhr im Cockpit seines Mercedes-AMG C63 ins Mikrofon.

Der 37-Jährige ballt die Fäuste, wischt sich mit den Handschuhen über die Augen. Wenig später klettert der Brite aus dem Auto und stellt sich freudestrahlend aufs Dach. Im letzten Rennen von Mercedes in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) sichert sich Paffett - 13 Jahre nach seinem ersten Titel - erneut die Meisterschaft.

Lachender Zweiter ist Audi-Pilot und Vorjahressieger René Rast. Der 31-Jährige aus Minden gewinnt die Rennen am Samstag und Sonntag - und damit sechs DTM-Rennen in Folge. Doch am Ende fehlen vier Punkte zur erfolgreichen Titelverteidigung. Mit seiner Aufholjagd und den fehlerfreien Auftritten fährt Rast aber in die Herzen vieler Motorsportfans.

Paffett: 255 Punkte, Rast: 251 Punkte - der Audi-Pilot hat es gestern im Gegensatz zum Vorjahr (als er den damals führenden Mattias Ekström noch abfangen konnte) nicht geschafft, beim Saisonfinale erneut an die Spitze zu fahren. Nach einem atemberaubenden Samstagsrennen, bei dem Paffett auf dem fünften Platz landete, rettete der Mercedes-Fahrer gestern Nachmittag vor vollen Tribünen im Motodrom von Hockenheim als Dritter vier Punkte Vorsprung ins Ziel.

Was das Samstagsrennen versprochen hatte, hielt das Sonntagsrennen aber nicht. Rast, hinter Marco Wittmann (BMW) Zweiter in der Startaufstellung, schnappte sich Platz eins schon vor der ersten Kurve, Paffett hielt sich taktisch aus allen Manövern raus. Er wusste ja, dass ihm sogar Platz vier reichen würde. So fuhr Paffett als Dritter ins Ziel, ließ neben Rast auch Wittmann ziehen. Der Schotte Paul di Resta (Mercedes) war zwar als Führender ins Badische gereist, kam aber nie zurecht und landete in der DTM-Statistik des Jahres 2018 auf Platz drei (233 Punkte).

Ex-Meister Rast war sicher: "Wir haben ein tolle Show geboten, das Rennen am Samstag war phänomenal, heute war es dafür ein bisschen langweiliger. " Den zweiten Gesamtplatz sah er (natürlich) mit einem weinenden Auge, "weil wir das Ziel Titelverteidigung nie aus den Augen verloren hatten". Ganz der faire Sportsmann gratulierte er dem neuen Meister: "Mercedes und Gary haben es verdient. Wir werden nächstes Jahr wieder angreifen. Ich würde mich freuen, wenn ich noch ein paar Jahre dranhängen könnte - mit Audi. "

Was wäre wenn? Rast hatte sich beim dritten Saisonrennen auf dem Lausitzring überschlagen und das vierte Rennen dann ausgelassen. "Es war am Samstag nicht abzusehen, ob ich am Sonntag fahren konnte. Zudem war das Auto komplett zerstört, und wir waren nicht sicher, ob das Monocoque einen Riss hat", erinnerte er sich in Hockenheim. Auch wenn Rast mit dem Wissen, es würden ihm beim Finale nur vier Punkte fehlen, in einer Zeitmaschine zurückreisen könnte, meinte er rückblickend: "Ich würde wieder nicht starten! "

Meister Paffett gab zu, dass er eigentlich gedacht habe, Männer würden nicht weinen. Aber: "Es war so emotional. Es war ein unglaubliches Gefühl." Er bedankte sich bei Mercedes und seinem Team für die harte Arbeit, dachte aber auch an di Resta: "Er hatte ein unglaubliches Jahr, wir haben uns an der Spitze der Gesamtwertung immer wieder abgewechselt. Er verdient unseren Respekt für das, was er geleistet hat. " Rast ergänzte: "Es tut mir leid für Paul, aber so ist Motosport. "

Wegen der Dominanz von Rast machten auch am Samstag wieder Gerüchte die Runde, Audi hätte wegen der zu Saisonbeginn eher durchwachsenen Performance seines RS5 den Antrag gestellt, nachbessern zu dürfen - zum Beispiel mit weniger Gewicht oder einem etwas breiteren Heckflügel. Doch Sportchef Dieter Gass stellte klar: "Nein, das haben wir nicht. " Audi hat dagegen seine Motoren in der zweiten Saisonhälfte einer Inspektion unterzogen, was im Reglement ausdrücklich erlaubt ist. Nun behaupten böse Zungen, dies sei zu spät geschehen. Denn nach dieser Inspektion bewiesen die Ingolstädter eine bessere Performance.

Die plötzliche Konkurrenzfähigkeit macht Gass jedoch an mehreren Punkten fest: "Da gibt es keine Geheimnisse. Wir haben hart gearbeitet und alles umgesetzt, was das Reglement erlaubt. " Auch der während der Saison erhöhte Luftdruck "spielte uns in die Karten. Wir sind offensichtlich in der Lage, auf die Distanz ein bisschen besser mit den Reifen umzugehen". Hätte das Sonntagsrennen übrigens noch zwei, drei Runden länger gedauert, hätten die von hinten heranstürmenden Audi-Piloten Nico Müller (Schweiz) und Robin Frijns (Niederlande) Paffett vielleicht noch abgefangen.

Jetzt heißt es auf ein Neues im kommenden Jahr. Dann ohne Mercedes, das nach 30 Jahren der DTM auf Wiedersehen gesagt hat. Audi sorgte mit seinem emotionalen "See you"-Film bei vielen Fans für Gänsehaut. Die Schwaben verabschiedeten sich mit einem Triple: Gewinn der Fahrer-, Hersteller- und Teamwertung.

Neu in die Serie, die ab 2019 mit neuen Vierzylinder-Turbomotoren fährt, kommt Aston Martin, das mit Hilfe von HWA, das für Mercedes die DTM-Einsätze bestritten hat, in die DTM einsteigt. Nicht nur BMW-Sportchef Jens Marquardt erwartet Aston Martin daher gleich zu Beginn auf einem hohen Niveau. Am ersten Maiwochenende werden wohl erst einmal zwei Aston Martin am Start stehen.

Kommentar

René Rast, Gary Paffett, Paul di Resta? Am Ende, nach 20 Saisonrennen, war es fast schon egal, wer gestern Nachmittag Meister wurde. Das Finale in Hockenheim hat eindrucksvoll bewiesen: Die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) lebt. Sie ist gesünder, frischer und attraktiver, als sie es viele Jahre war. Und sie ist besser, als viele es meinen. 
Natürlich fehlt ab dem kommenden Jahr Mercedes, das über Jahrzehnte die DTM am Leben hielt und mit Audi und BMW zur Weltmarke gemacht hat. Mercedes hinterlässt große Fußstapfen und reißt zweifellos eine Lücke. Aber mit dem Neueinsteiger Aston Martin, der von HWA unterstützt wird, sind die Schwaben ja nicht ganz aus dem Rennen. Dank dieser Zusammenarbeit kann man die Briten auf Augenhöhe erwarten. 
Gerhard Berger hat als DTM-Chef offensichtlich das richtige Gespür, wohin es mit der Rennserie gehen muss – sportlich, technisch und auch in puncto Vermarktung. Die Fans goutieren die zuschauerfreundlichere Präsentation an der Rennstrecke und im Fahrerlager: So gut besucht wie am vergangenen Wochenende war Hockenheim schon seit Jahren nicht mehr. Fernsehsender Sat1 sorgte als neuer Fernsehpartner in seinem ersten Jahr zudem für eine emotionalere und peppigere Berichterstattung. Ex-Meister Timo Scheider gefiel dabei als niveauvoller  Experte am Mikrofon. 
Und ganz nebenbei haben die Herren Rast, Paffett und Co. bewiesen, dass der DTM keine Typen fehlen. Wie hat es BMW-Sportchef Jens Marquardt formuliert? „Ich habe schon heute Bock auf die DTM 2019.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.