Sinsheim
"Noch lange nicht über den Berg"

Joachim Löw und die deutsche Nationalmannschaft stehen vor schwierigem Weg zurück zu alter Klasse

10.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:02 Uhr
Neue Aufgabe: Beim Neustart der Nationalmannschaft nach dem WM-Desaster spielt Bayern-Spieler Joshua Kimmich (Mitte) eine wichtige Rolle. Als zentraler Mittelfeldspieler zeigte der Bayern-Spieler gegen Frankreich und Peru (hier mit Jefferson Farfan, rechts) jeweils eine ansprechende Leistung. −Foto: Deck/dpa

Sinsheim (DK) Der große Neustart der deutschen Fußball-Nationalmannnschaft nach dem WM-Debakel ist ausgeblieben, darüber kann nun auch der 2:1-Erfolg gegen Peru vom Sonntag nicht hinwegtäuschen. Das DFB-Team gehört momentan nicht mehr zur absoluten Weltklasse, der Weg dorthin zurück benötigt Zeit.

Man ist bescheiden geworden im DFB-Lager. "Wir haben unsere Ziele in dieser Woche erreicht, wir befinden uns auf einem guten Weg", so das Fazit von Bundestrainer Joachim Löw - nach einem torlosen Remis gegen einen uninspiriert wirkenden Weltmeister aus Frankreich sowie einem Zittersieg gegen international eher unbekannte Peruaner. Natürlich, der 58-Jährige konnte nach dem Auftritt in Sinsheim nicht gnadenlos auf sein Team einhauen - bloß nicht einmal das, was er nach dem blamablen WM-Aus in Russland vorrangig verbessern wollte, klappte gerade gegen Peru.

Löw hatte eigentlich die Defensive stärken wollen. wollte weniger anfällig sein für schnelle Konter durch tief stehende Kontrahenten. Die Realität jedoch sah gegen die "La Blanquirroja" im Kraichgau anders aus, vor allem in der zweiten Halbzeit präsentierte sich die DFB-Elf phasenweise vogelwild in der Abwehrarbeit - alles dem einen Ziel untergeordnet, vorne doch mal ein Durchkommen durch die südamerikanische Hintermannschaft zu finden. Löw registrierte das Ganze natürlich sehr genau ("In der Defensive hatten wir in einigen Situationen schon einige Probleme"), bittet allerdings auch sofort um Verständnis dafür: "Wir hatten in dieser Woche nur vier gemeinsame Trainingseinheiten. Das war nicht viel."

Die vielleicht bitterste Erkenntnis der beiden jüngsten Länderspiele: Der stolzen Fußballnation Deutschland fehlen aktuell schlicht die personellen Mittel, um den nach dem Desaster in Russland geforderten Umbruch in die Tat umzusetzen. Löw hatte ein Stück weit gar keine andere Wahl, als erneut auf die Arrivierten zu bauen - und er muss es, gerade nach den Eindrücken in Sinsheim, auch in naher Zukunft tun. Selbstverständlich betont der 58-Jährige, dass er den Einbau von frischen Kräften "nach und nach forcieren" möchte. Aber andererseits legt er sich auch sofort fest, dass Jerome Boateng und Mats Hummels als Innenverteidiger gesetzt bleiben. Ferner führe an Manuel Neuer als Nummer eins überhaupt nichts vorbei, Toni Kroos sei als Chef im Mittelfeld unersetzbar, die Qualitäten eines Thomas Müller benötige das Team unbedingt, und so weiter, und so weiter. Wirklicher Platz für Experimente? Kaum vorhanden.

Einzig Joshua Kimmichs Versetzung von der Rechtsverteidigerposition ins Zentrum sticht als echte Veränderung heraus - als Geistesblitz von Löw, um seinen Kritikern zumindest etwas Munition zu nehmen. Die aktuelle Stimmung in Fußball-Deutschland ist jedoch weiterhin höchst explosiv. Der Wille der Öffentlichkeit, Jogi und seinen Mannen noch eine Chance zu geben - sie ist zwar zweifellos da, was den Bundestrainer in den Tagen von München beziehungsweise Sinsheim sichtlich freute. Aber er weiß auch: "Wir sind noch lange nicht über den Berg, obwohl die Leute sehr positiv sind. Über Leistung und gutes Auftreten müssen wir sie weiter überzeugen." Ansonsten wird es, ohne dass er es explizit ausspricht, doch äußerst ungemütlich - für ihn persönlich sowie den gesamten DFB.

Die beiden nächsten Aufgaben im Oktober haben es in sich, im Rahmen der Nations League müssen die deutschen Elitekicker in den Niederlanden sowie in Frankreich ran. Dort gilt zunächst wieder: Das Resultat steht über allem. Also wieder keine Gelegenheit für Löw, um neue Dinge zu testen.

Bei den Außenverteidigern würde er gerne mal variieren. Mit Matthias Ginter, Thilo Kehrer, Nico Schulz, Antonio Rüdiger, Jonas Hector, Marcel Halstenberg und sogar den Augsburger Philipp Max hat der 58-Jährige gleich sieben Kandidaten auf dem Zettel stehen. Wenn das doch auch so für den Offensivbereich gelten würde. Aber nein. "Wir haben momentan niemanden, der der Torjäger Nummer eins ist und regelmäßig einnetzt", sagt Julian Brandt völlig richtig. Ein Marco Reus, ein Timo Werner, die sich in der vergangenen Woche vorne im Zentrum versuchen durften - zwar bemüht, aber in Sachen Abschlussqualitäten limitiert in ihren Mitteln. Zumindest DFB-Boss Reinhard Grindel ist trotzdem überzeugt: "Jogi wird auch hier Antworten finden."

Roland Kaufmann