Regensburg
"Es war definitiv meine beste Saison"

Regensburger Tennisprofi Julia Görges über ihre Erfolge und die Heimatverbundenheit

27.12.2018 | Stand 02.12.2020, 14:57 Uhr
Stand erstmals in den Top Ten der Weltrangliste: Julia Görges aus Regensburg hat eine erfolgreiche Tennissaison hinter sich. Der Höhepunkt war das Erreichen des Halbfinales in Wimbledon. −Foto: French/dpa

Regensburg (DK) Julia Görges hat die beste Tennis-Saison ihrer Karriere hinter sich. Sie hat das Halbfinale von Wimbledon erreicht, stand auf Platz neun der Weltrangliste. Im Interview mit der Heimatzeitung hat die 30-Jährige über ihren Erfolg, ihre Wahlheimat Regensburg und die Zeit nach der Karriere gesprochen.

Frau Görges, Ihre Kollegin Angelique Kerber war nach der Tennis-Saison auf den Malediven, Alexander Zverev auch. Sie dagegen haben Ihren Urlaub in Regensburg verbracht. Wieso zieht es Sie nicht in die Ferne?
Julia Görges: Für mich ist es immer wichtig, dass ich zuhause bleibe und Energie tanke. Regensburg ist eine sehr schöne Stadt, mein Zuhause. Ich habe jetzt die Zeit genießen können, in der ich nicht um die Welt fliege, was ich ja eh das ganze Jahr mache. Deswegen freue ich mich immer auf die zwei Monate, in denen ich zuhause schlafen kann und einfach mal normale Dinge machen und den Alltag genießen kann.

Wie sieht der Alltag denn aus?
Görges: Meistens schlafe ich ziemlich lang aus, ab und zu gibt es auch Pyjama-Tage vor dem Fernseher oder mit einem Buch. Je nach dem, wie das Wetter war, bin ich auch mit meinem Fahrrad in die Stadt gefahren, habe dort einen Kaffee getrunken, mich mit Freunden getroffen, Bücher gelesen oder bin mal ins Kino gegangen. Auf den Stippvisiten zwischen den Turnieren ist dafür ja leider wenig Zeit.

Können Sie noch unerkannt durch Regensburg laufen?
Görges: Einige sprechen einen schon an, aber das ist ja nicht negativ. Die Leute begegnen mir höflich und mit viel Respekt.

Sie waren 2017 in fünf Endspielen, haben das Turnier in Moskau gewonnen und die Elite Trophy, die B-WM. Danach sagten Sie, die Saison sei die beste Ihrer Karriere gewesen. Müssen Sie diese Aussage nach 2018 korrigieren?
Görges: Definitiv. Das ist schön, wenn man immer wieder eins draufsetzen kann (lacht). Das Jahr hatte sehr viele emotionale Phasen: das erste Mal in den Top Ten der Weltrangliste (Platz neun, Anm. d. Red.), das erste Grand-Slam-Halbfinale in Wimbledon. Das sind alles so besondere Momente, bei denen es auch dauert, bis man die verarbeiten kann, weil man immer gleich wieder zum nächsten Turnier aufbricht. Deswegen war das jetzt ganz schön, als die Saison zu Ende war. Da konnte ich das alles mit meinem Team Revue passieren lassen. Es war definitiv meine beste Saison.

Mit dem Höhepunkt Wimbledon-Halbfinale. Für viele kam das überraschend. Für sie auch?
Görges: Ehrlich gesagt war es für mich gar nicht so überraschend, ohne überheblich klingen zu wollen. Ich habe die letzten zwei Jahre sehr konstant gespielt und viel Arbeit mit meinem Team investiert. Daher war das für uns eine logische Konsequenz. Von außen sagt man natürlich, dass es eine Überraschung ist, weil es mein erstes Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier war. Aber ich habe schon das Gefühl gehabt, dass ich da hingehöre. Ich habe gewusst, ich spiele auf einem hohen Niveau, aber ich musste es halt noch bei den Grand-Slam-Turnieren zusammenbekommen. Wenn man positiv an die Sache herangeht, ist man danach gar nicht so überrascht.
Vorher sind Sie bei Grand-Slam-Turnieren nie über das Achtelfinale hinausgekommen. Was lief in Wimbledon anders?
Görges: Wichtig war, die dritte Runde zu überstehen. Da habe ich 10:8 im dritten Satz gegen Barbora Strycova gewonnen. Ich hatte ja nicht unbedingt eine dankbare Auslosung mit der Olympiasiegerin Moncia Puig schon in der ersten Runde. Ich habe mir jedes Match hart erarbeitet und nicht immer sonderlich tolles Tennis gespielt. Aber dafür gibt es hinterher ja auch keine Extrapunkte. Ab der dritten Runde habe ich freier gespielt. Da war der Gedanke in meinem Kopf: Wow, ich habe es in die zweite Turnierwoche geschafft. Von da an war ich entspannter.

Der Erfolg hat sie in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Wie hat sich Ihr Leben seit Wimbledon verändert?
Görges: Ich bin ja jetzt schon lange genug im Tennis-Zirkus dabei, dass ich die Höhen und Tiefen kenne. Deswegen war es für mich weniger überraschend, dass die Aufmerksamkeit natürlich gestiegen ist. Das fängt schon beim Alltag an, dass man am Rande von Turnieren mehr macht. Und dass die Leute einen anders wahrnehmen, dass mehr Zuschauer am Platz sind. Aber ich kann nicht sagen, dass sich sonderlich viel geändert hat. Ich möchte mir immer treu bleiben. Solange mir das gelingt, ist der Rest zweitrangig. Die größte Kunst ist, diese gestiegene Aufmerksamkeit in seinen Alltag einzubauen und professionell weiter zu arbeiten.

Vor einigen Jahren war diese Entwicklung ja nicht abzusehen. 2012 waren Sie schon mal auf Platz 15 der Weltrangliste. Danach lief nicht mehr viel zusammen. Bis Moskau 2017 haben sie sechseinhalb Jahre kein Turnier mehr gewonnen. Wieso lief damals, von außen betrachtet, nicht mehr viel zusammen?
Görges: Nicht nur von außen betrachtet (lacht). Das hatte mehrere Faktoren. Ich hatte damals schon lange mit meinem alten Team zusammen gearbeitet, auch sehr erfolgreich. Aber irgendwann habe ich stagniert. 2013 habe ich mir dann eine sehr zähe Handgelenksverletzung zugezogen, aber trotzdem weitergespielt, weil es sich sonst versteift hätte. Damit habe ich mir aber keinen Gefallen getan, weil ich das Vertrauen in meine Schläge verloren habe. Das hat sich in eine Richtung entwickelt, in die ich eigentlich nicht wollte. Ich habe damals sieben, acht Jahre mit meinem alten Team zusammengearbeitet. Da ist es klar, dass man manche Stimmen nicht mehr so hört wie noch zu Beginn. Dann habe ich mich entschieden, diesen radikalen Schnitt zu machen, auch wenn er risikoreich war.

Der Umzug nach Regensburg samt dem Wechsel auf Trainer Michael Geserer sowie Physiotherapeut und Athletiktrainer Florian Zitzelsberger 2015.
Görges: Ich bin sehr froh, dass Michael und Florian den Weg mit mir gegangen sind und wir so einen Teamgeist an den Tag legen.

Was hat sich seither bei ihnen verbessert?
Görges: Meine Fitness hat sich extrem weiterentwickelt, ich muss nicht mehr direkt auf Winner gehen, sondern kann auch mal längere Ballwechsel spielen und warten, ob vielleicht der sechste oder siebte Ball der richtige ist, um aggressiv zu sein. Ich habe meinen Aufschlag verbessert, mein Returnspiel erweitert. Und vor allem suche ich noch viel mehr den Weg ans Netz. Ich habe ja auch erfolgreich Doppel gespielt und versuche dieses Paket jetzt ins Einzel mitzunehmen. Das Frauentennis spielt sich selten am Netz ab. Deswegen versuche ich diese Qualität einzubringen, weil es schon unangenehm ist, wenn jemand aggressiv spielt, dem Ball hinterhergeht und vorne mit 1,80 Metern Körpergröße dann auch noch ein bisschen Reichweite hat. Diese Sachen bauen sich langsam zusammen wie ein Puzzle und das dauert seine Zeit. Aber das ist das Resultat dieser Arbeit.

Blicken Sie heute anders auf das Tennisleben?
Görges: Ja, mit Sicherheit. Ich genieße mein Leben mehr. Als junge, unverbrauchte Spielerin will man unbedingt Erfolg haben, koste es, was es wolle. Jetzt sehe ich das Ganze ein wenig anders, dass man das genießen sollte, was man hat. Ich analysiere ganz anders, bin kritisch zu mir selbst, aber in einer netten Art und Weise, damit ich auch meine Lehren daraus ziehen kann. Wenn man mit Spaß an die Sache heran geht, sind Niederlagen auch lehrreich. Früher ging bei Niederlagen die Welt unter, jetzt denke ich: Nächste Woche gibt es schon die nächste Chance. Das ist Gute an unserem Sport.

Vor etwa 30 Jahren, als Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich ihre großen Erfolge feierten, herrschte in Deutschland eine riesige Tennis-Euphorie. Jetzt gibt es mit Ihnen, Angelique Kerber und Alexander Zverev wieder eine erfolgreiche Generation. Wieso bleibt der ganz große Boom dieses Mal aus?
Görges: Ich glaube, der Fußball tut da einiges dazu. Der ist in Deutschland einfach sehr groß. In anderen Ländern ist das anders. In den USA ist Fußball kleiner, dafür Tennis größer. Bei uns regiert der Fußball. Das ist schon schade. Die Leute haben sich oft beschwert, weil wir keine Steffi Graf, keinen Boris Becker mehr haben. Die wird es auch nicht mehr geben. Aber wir haben eine dreifache Grand-Slam-Siegerin (Kerber, Anm. d. Red.), hatten zwei Top-Ten-Spielerin (Görges und Kerber, Anm. d. Red.) dieses Jahr. Diese Generation wird irgendwann gehen in vier, fünf Jahren. Dann wird man sich vielleicht umschauen und sagen: Ups, die Generation war doch recht golden im Vergleich zu dem, was in der Zeit davor war. Alex ist ja noch ein bisschen jünger als Angie und ich, da hofft man natürlich, dass da noch viel kommt. Aber es kann schon sein, dass die Leute irgendwann zurückblicken und sagen: Hätten wir doch mehr Tennis gezeigt.

Vier, fünf Jahre spielt die Generation noch, haben Sie gesagt. Was planen Sie denn für nach der Karriere?
Görges: Ich plane schon noch ein bisschen zu spielen, auch wenn ich immer gesagt habe, dass mit 30 Schluss ist. Aber mein Körper fühlt sich nicht dementsprechend an. Ich möchte irgendwann auf jeden Fall etwas arbeiten und auch eher nicht im Tennis, um etwas Abstand zu gewinnen. Wir werden sehen, wohin die Reise führt, aber ich möchte auf jeden Fall in eine andere Richtung gehen.

Auch geografisch oder sehen Ihre Zukunft in Regensburg?
Görges: Stand jetzt möchte ich hier bleiben.

Sie haben einmal gesagt, Sie arbeiten gerne mit Zahlen, machen Ihre Steuererklärung selbst. Welche Zahl steht denn am Ende der Saison 2019 vor Ihrer Weltranglistenplatzierung?
Görges: Da werden Sie keinen Erfolg bei mir haben (lacht). Für mich gibt es zwei Dinge, die wichtig sind: Gesund und glücklich sein. Das sind die Hauptbegriffe in meinem Leben. Und das sind auch die wichtigsten Dinge, um am Ende des Jahres auch die richtige Nummer vor meiner Weltranglistenplatzierung zu haben.

Das Interview führte

Alexander Augustin
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