Ingosltadt
Der neue "Kannibale"?

Remco Evenepoel erinnert an Eddy Merckx - Bei den Junioren ähnlich erfolgreich wie das belgische Radsportidol

16.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:41 Uhr
Timo Schoch
Der Vorsprung war groß genug: Remco Evenepoel trägt bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck sein Rad über die Ziellinie. Der belgische Junior krönte sich dort zum Doppel-Weltmeister. −Foto: dpa

Ingolstadt (DK) Er gilt als nächster Eddy Merckx: Den Namen des belgischen Juniorenfahrers Remco Evenepoel sollte man sich gut merken. Der 18-Jährige startete in dieser Saison bei 15 internationalen Rennen und Rundfahrten - 13 gewann er, unter anderem die Junioren-Weltmeisterschaft in Innsbruck. Kein Wunder also, dass Evenepoel als großes Versprechen auf eine Weltkarriere im Radsport gilt. Dabei schien eine Laufbahn als Fußballprofi vorgezeichnet.

Die Voraussetzungen war katastrophal. Unglücklicherweise zu dem Zeitpunkt, als die Junioren bei der WM in Innsbruck erstmals die knapp acht Kilometer lange Auffahrt des Olympiabergs hochkletterten, ereilte Remco Evenepoel ein Hinterraddefekt. Der belgische Junior, der große Favorit auf die Goldmedaille im WM-Straßenrennen, war plötzlich in der Defensive. Vorne im Hauptfeld wurde Tempo gemacht. Das wohl größte Radsporttalent der letzten Jahrzehnte war abgehängt. Mit einigen Minuten Rückstand hechtete der 18-Jährige dem Feld hinterher.

Zweimal musste dieser Anstieg beim Juniorenrennen gefahren werden. Dann die Überraschung: Bereits auf der Kuppe der ersten Runde hatte Evenepoel den Rückstand aufgeholt. Beim zweiten Anstieg attackierte er - und das, obwohl er bislang die meisten Kräfte investiert hatte. Am Ende gewann Evenepoel überlegen das Rennen, mit knapp 90 Sekunden Vorsprung. Es war sein zweites Gold in Innsbruck. Bereits ein paar Tage zuvor wurde er Weltmeister im Zeitfahren.

So überlegen wie Evenepoel hat selten zuvor ein Juniorenfahrer seine Altersklasse dominiert. An 15 internationalen Rennen und Rundfahrten nahm er in dieser Saison teil. 13-mal stand er ganz oben auf dem Podium. Kein Wunder also, dass die Belgier von einem neuen Eddy Merckx träumen. Der "Kannibale" stand für unbedingten Siegeswillen und gewann unter anderem fünfmal die Tour de France. Evenepoel ähnelt ihm in vielerlei Hinsicht, aber er selbst will nicht in Verbindung mit dem großen belgischen Radsportidol gebracht werden: "Ich möchte nicht mit Eddy Merckx vergleichen werden. Alles ist jetzt anders und jeder Fahrer ist anders", sagte Evenepoel kürzlich bei "cyclingnews.com".

Doch gegen die Erwartungen kann er sich trotzdem nicht erwehren. Schließlich kommt sein kometenhafter Aufstieg völlig überraschend. Erst 2017 kam Evenepoel zum Radsport. Fast wäre er Fußballprofi geworden. Evenepoel spielte einen Großteil seiner Jugend für den RSC Anderlecht, den PSV Endhoven und belgischen Jugendmannschaften. Aber er erlitt Rückschläge und Enttäuschungen, so wechselte er kurzerhand die Sportart.

Als er dann auf das Rad umstieg, schien er sowohl körperlich aus auch mental zu alt für diesen Sport zu sein. Vor allem die Umstellung war zu Beginn hart: "Es war anfangs sehr schwierig und ich hatte viele Muskelprobleme, weil die beiden Sportarten so unterschiedlich sind", sagt er. Doch den Fußball vermisst er nicht mehr: "Ich bin glücklich, ein Radfahrer zu sein. Es war die richtige Entscheidung zu wechseln."

Sein Vater Patrick spielte dabei eine Rolle. Er war bereits ein professioneller Radfahrer in den 1990er-Jahren im Team Collstrop. Seine Erfahrung half Remco, sich an die Rennen anzupassen und sich schnell zu verbessern. Vor allem seine Zeitfahrqualitäten sind unglaublich. Das zeigte sich wieder beim internationalen Chrono des Nations, das am vergangenen Sonntag stattfand. Dort siegte Evenepoel nach rund 26 Kilometern mit über einer Minute Vorsprung. Mit seinen herausragenden Zeitfahrqualitäten musste sich Evenepoel auch bislang nicht großartig an eine Renntaktik orientieren. Er übernimmt häufig selbst die Initiative und greift an, um dann seine Zeitfahrfähigkeiten auszuspielen und zu gewinnen.

Seine Erfolge blieben natürlich nicht unentdeckt. Die beiden aktuell wohl besten WorldTour-Teams, Sky und Quick-Step Floors, bemühten sich um Evenepoel. Den Zuschlag bekam das belgische Team Quick-Step. "Ich weiß, dass es ein großer Schritt ist, vom Junior-Level zu den Profis zu kommen", sagte Evenepoel. Er wird sich deshalb zuerst auf kürzere Etappen konzentrieren, um sich an das Niveau der Profis anzupassen und sich in Höhentrainingslagern weiterentwickeln. Sollte er aber sein rasantes Tempo fortsetzen, wird Evenepoel schon bald auch in der WorldTour für Aufsehen sorgen. Die Voraussetzungen für eine einzigartige Karriere sind jedenfalls vorhanden. Gut möglich, dass Belgien bald einen neuen Kannibalen hat.
 

Timo Schoch