Interview des Monats
Basketball-Legende Pesic: Ein Trainer ist da, um den Spielern zu helfen

Interview des Monats

26.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:34 Uhr
Svetislav Pesic an der Seitenlinie in Aktion. −Foto: Peter Kneffel (dpa)

Er gilt als impulsiv und trainierte seine Mannschaften mit harter Hand, aber mit großem Erfolg: Basketball-Trainerlegende Svetislav Pesic führte die deutsche Nationalmannschaft 1993 zum EM-Titel und formte danach aus Alba Berlin und Bayern München ein Spitzenteam. Mit 70 Jahren ist er noch immer aktiv – und gerade kurz davor, den nächsten Titel seiner imposanten Sammlung hinzuzufügen.

Herr Pesic, als Sie 1987  aus Jugoslawien nach Deutschland kamen, war der deutsche Basketball  längst nicht so entwickelt wie heute. Wie schwer waren die Anfänge?

Svetislav Pesic: Der deutsche Basketball war damals zwar nicht auf dem Niveau von heute, aber er war nicht amateurhaft. In  Europa kannte man  den Basketball in Deutschland. Damals hatten es mit Uwe Blab, Christian Welp und Detlef Schrempf drei sehr gute deutsche Spieler in die NBA geschafft. Das war eine sehr talentierte Generation, die auch bei der Junioren-WM 1987 in Bormio gespielt hatte. Zu dieser Zeit war ich noch  Nachwuchstrainer von Jugoslawien mit der bekannten jugoslawischen Generation um Toni Kukoc, Vlade Divac und Dino Rada. Es hatte mich gewundert, weshalb der Basketball in Deutschland nicht ein etwas besseres Niveau hatte. Mich hatte das einfach interessiert.

Die Erfolge mit Ihnen als Bundestrainer stellten sich erst nach einer Weile ein. Was waren die größten Hürden?

Pesic: Der Stellenwert der Nationalmannschaft in Jugoslawien war sehr hoch, Basketball war dort sehr wichtig. Aber als ich nach Deutschland kam, wollten hier die meisten Spieler nicht für ihre Nationalmannschaft spielen. Nach dem Motto: Wieso soll ich für die Nationalmannschaft spielen, wenn ich mit ihr nichts gewinnen kann? Die Spieler haben sich auf die Bundesliga und ihre eigene Mannschaft konzentriert.  Also musste ich Spieler, Trainer, Manager und Verantwortliche   überzeugen, dass sich ein Sport in einem Land ohne Nationalmannschaft nicht entwickeln kann. Das war natürlich sehr viel Arbeit für mich, denn vor allem die deutschen Trainer und Funktionäre haben nicht an deutsche Spieler geglaubt. Der Einzige, der Vertrauen hatte in die Spieler, war ich. Aber es war  sehr schwer, die Spieler zu überzeugen, wenn du   trainierst und trainierst, und trotzdem nicht gewinnst.     

Dann aber schafften Sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Barcelona und gewannen schließlich 1993 als Außenseiter den EM-Titel im eigenen Land. Es ist bis heute der größte Erfolg im deutschen Basketball.

Pesic: Wir fingen an, Spiel für Spiel zu gewinnen. Damit verbesserte sich natürlich bei den Spielern das Interesse für die Nationalmannschaft. Das Vertrauen war auf einem Level, das man für den Spitzensport braucht. Und Gott sei Dank hat der Deutsche Basketball-Bund an diese Generation geglaubt, das hat sich  für die Europameisterschaft bewährt. Dass  wir Europameister geworden sind, war eine Überraschung, aber keine große Sensation. Wir hatten schon zuvor in einigen Länderspielen gegen starke Gegner gewonnen. So hatten wir das Selbstvertrauen und den Spirit entwickelt und  sind  eine große Mannschaft geworden.

Das EM Auftaktspiel gegen Estland verloren die Deutschen allerdings noch deutlich mit 103:113. Zudem  gab es fast keine Zuschauer in den Stadien. Was haben Sie getan, damit das Ruder noch rumgerissen wurde?

Pesic: Wenn wir in Deutschland spielten, fühlten wir uns wie eine Gastmannschaft. Die Deutschen glaubten scheinbar nicht an ihre Nationalmannschaft. Aber dadurch war die Mannschaft  noch motivierter, es allen zu zeigen, dass wir eine gute Mannschaft sind.    Und wir waren eine wirklich sehr gute Mannschaft.  Die Niederlage gleich zum Auftakt gab uns neue Impulse. Wir fingen an, uns von Spiel zu Spiel zu steigern. Als wir in die Finalrunde in München kamen, hatten wir schon einige Erfahrung. Wir gewannen im Viertelfinale gegen Spanien, im Halbfinale gegen Griechenland. Dann kamen auch die Zuschauer, die Olympiahalle war voll. 

Ein noch größerer Erfolg folgte 2002, als Sie in den USA mit Jugoslawien die WM gewannen.

Pesic: Das war auf jeden Fall der größte Erfolg des jugoslawischen Basketballs.  Die US-Amerikaner hatten eine überragende Mannschaft,   und wenn man diese in ihrem eigenen Land geschlagen hat,  ist das sicherlich ein sehr, sehr großer Erfolg. Für mich war das einer der emotionalsten Tage meiner Karriere. Als ich am Ende die Goldmedaille überreicht bekam und die deutsche Mannschaft auf der anderen Seite Bronze erhielt, habe ich mich sehr gefreut. Ich war ja viel länger Trainer in Deutschland als in Jugoslawien. In der deutschen Mannschaft waren zudem mein Sohn Marko sowie sechs Spieler, die ich in meiner Karriere in Deutschland trainiert hatte. In diesem Moment dachte ich: Was willst du noch erreichen? (lacht) Es war ein Tag, an dem mir bewusst wurde: Es hat sich gelohnt, so viel Zeit in diesen Sport zu investieren. 

Schon ein Jahr später existierte der Staat Jugoslawien nicht mehr. Wie haben Sie den Zerfall Ihres Heimatlandes mitbekommen?

Pesic: Ich war zu dieser Zeit in Deutschland, aber ich hatte von 1971 bis 1987 in Sarajewo gelebt, ehe ich nach Deutschland kam. In Sarajevo war ich Spieler und Trainer, auch meine Frau ist dort geboren, genauso wie mein Sohn und meine Tochter. Es hatte keiner damit gerechnet, dass diese Katastrophe kommen wird. Ich hatte aus meiner Familie und der Familie meiner Frau niemanden verloren, aber für unsere Freunde und Bekannten war es eine sehr schwere Zeit. Es war auch schwer zu helfen. Für mich war Jugoslawien ein Land, das immer in sehr positiver Erinnerung bleibt. 

Sie gelten als sehr impulsiver Trainer, wurden auch mal laut, trainieren mit harter Hand und üben Druck auf Spieler aus. Sie leben Basketball. Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis?

Pesic: Ich bin seit 37 Jahren Trainer. Ich habe nicht immer gewonnen, aber ich habe die Mannschaft, die ich trainiert habe, immer vereint. Ich habe  verstanden, dass Basketball ein Teamsport ist. Der Trainer ist da, um den Spielern zu helfen. Mein Job ist es, Teil der Mannschaft zu sein, ich wollte nie darüber stehen.  Die Deutschen sprechen immer von Selbstvertrauen und mentaler Stärke, aber es gibt keinen Spieler, der mit diesem Selbstvertrauen geboren wird. Das muss man entwickeln. Vor allem in Deutschland heißt es, dass meine Erfolge auf hartem Training beruhen. Wenn ich zu einer Mannschaft kam, habe ich gesagt: „Wir trainieren nur einmal am Tag.“ Dann waren alle überrascht. „Wirklich, nur einmal am Tag?“ Dann habe ich gesagt: „Einmal, aber dafür den ganzen Tag.“

Wie hat sich der Basketball in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Pesic: Sehr positiv. In Deutschland hat sich der Basketball sehr verbessert. Hier in Europa wird ein sehr, sehr guter Basketball gespielt. Der europäische Spitzenbasketball ist sehr nah an der NBA. Dabei ist die spanische Liga sicherlich nach der NBA die stärkste Liga. Ich bin mir sicher, dass mindestens fünf oder sechs europäische Mannschaften ohne Probleme mit allen Teams der NBA mithalten. Das ist eine wichtige Tendenz, die zeigt, dass Basketball nicht nur ein amerikanischer, sondern  definitiv wie der Fußball ein globaler Sport ist. 

Was müssen deutsche Mannschaften wie Bayern München tun, damit sie in der Euroleague eine stärkere Rolle spielen?

Pesic: In München ist es natürlich sehr schwer, denn dort haben alle Sportarten außerhalb des Fußballs immer Probleme, sich durchzusetzen. Im Spitzensport ist Erfolg ohne Kontinuität nicht möglich. Bayern München hat in nur einer Saison fünf Spitzenspieler verloren, die  zu den besten Europas gehören. Wenn du nicht mit diesen  fünf Spielern  rechnen kannst, dann wird es schwer.

Waren Sie gar nicht überrascht vom Viertelfinal-Aus der Bayern gegen Ludwigsburg?

Pesic: In diesem Turnier konnte eigentlich nur eine Mannschaft verlieren, und das war Bayern München. Sie waren vor der Unterbrechung dominant, sie waren Tabellenerster. Aber dann kommt dieses System, der Druck, und ihre zwei besten Spieler, Dedovic und Monroe,  haben nie gespielt. Ludwigsburg ist ein Klub, der in den vergangenen zehn Jahren zwar nichts gewonnen hat, aber immer im oberen Teil der Tabelle stand. Und in so einem Turnier ist alles möglich.

Auch in Spanien gibt es ein Finalturnier. Sie sind mit dem FC Barcelona gerade ins Halbfinale eingezogen.  Wie ist es vor Ort in Valencia? 

Pesic: In Valencia ist es sehr warm (lacht). Wir  haben  drei Hotels mit jeweils vier Mannschaften und leben in Quarantäne. Wir waren schon sechs Tage vor dem Turnier hier, es ist ein bisschen anstrengend, aber die Spieler gewöhnen sich sehr schnell an die neue Situation und sind sehr motiviert.  

Als Trainer des FC Barcelona sind Sie schon gegen Ihren Sohn Marko angetreten, der  Geschäftsführer und Sportdirektor beim FC Bayern ist. Wie ist es, gegen seinen eigenen Sohn zu spielen?

Pesic: Das ist nicht einfach, vor allem für meinen Sohn. Schon als Marko noch für Alba Berlin spielte, haben wir in der Euroleague gegeneinander gespielt. Auch als Trainer der jugoslawischen Nationalmannschaft habe ich gegen Deutschland und Marko gespielt. Und jetzt eben, wenn ich mit Barcelona gegen Bayern München spiele. Aber wir sind alle Profis, wir versuchen, das Beste für unsere Klubs und unsere  Mannschaft zu geben. 

Sie traten im Juli 2016 aus gesundheitlichen Gründen bei Bayern zurück. Jetzt sind Sie 70 Jahre alt – und trainieren  noch immer. Haben Sie einen Plan, wie lange  Sie noch weitermachen?

Pesic: Ich hatte  schon die Entscheidung getroffen, aufzuhören. Damals habe ich mich gefragt: Was ist der Sinn, Trainer zu bleiben? Es gibt auch andere Dinge im Leben − meine Familie, meine Enkelkinder. Doch dann rief mich der Präsident von Barcelona an. Meine Frau sagte: „Wenn der Präsident anruft, kannst du nicht ,nein’ sagen.“ Also ging ich nach Barcelona. Wenn mich ein anderer Klub oder eine Nationalmannschaft angerufen hätte, wäre ich nicht mehr zurückgekehrt. Aber ich hatte sehr gute Erinnerungen an Barcelona, der Präsident ist ein Freund von mir. Ich bin noch ein Jahr in Barcelona, dann sehen wir weiter. Alles ist möglich. 

Was machen Sie nach Ihrer Karriere, haben Sie schon Ideen?

Pesic: Ich werde auf jeden Fall in München leben. Ich hatte damals, als ich in Berlin lebte, gedacht, dass ich  immer in Berlin sein werde. Aber seit ich Trainer in München war, leben wir dort, ich habe  ein sehr schönes Haus, meine Tochter und mein Sohn Marko leben dort. Ich genieße München, die Stadt gefällt mir sehr. Ich weiß aber nicht, was ich dann machen werde (lacht). 

Sie sind einer der erfolgreichsten Basketball-Trainer der Welt. Warum haben Sie nie in der NBA gespielt?

Pesic: Ich bekam während der WM 2002 ein Angebot. Ich sollte drei Jahre Assistenztrainer bei einem NBA-Klub werden und mich in den drei Jahren auf einen Posten als Chefcoach vorbereiten.  Aber ich sagte meinem Agenten: „Wie soll ich Assistenztrainer werden, wenn ich nie Assistenztrainer war?“ (lacht) Ich war immer Cheftrainer. Außerdem hatte ich schon in Barcelona unterschrieben. Ich mag die NBA, aber das ist nicht meine Welt. Ich fühle mich in Europa sehr wohl. 

Haben Sie sich all Ihre Träume erfüllt in Ihrer Karriere?

Pesic: Ich träume noch. Ein Trainer muss immer  träumen, damit er alle anderen motivieren kann.

Das Interview führte Julia Pickl.

Zur Person

Name: Svetislav Pesic

Geburtstag: 28. August 1949 in Novi Sad, Jugoslawien

Beruf: Basketballspieler und -trainer

Spitzname: Der Alte

Größte Erfolge: Weltmeister 2002 mit Jugoslawien, Europameister 1993 mit Deutschland und 2001 mit Jugoslawien

Gut zu wissen: Bei der EM 1992 sollte Nationalspieler Christian Welp  auf Wunsch Svetislav Pesics nicht dabei sein, da er den Beginn der Vorbereitung verpasst hatte. Pesic ließ sich umstimmen – und Welp erzielte im Finale gegen Russland die entscheidenden Punkte zum 71:70-Sieg.

Was man so hört: Wenn Svetislav sagt ‚spring!‘, dann frag nicht ‚warum?‘, sondern höchstens ‚wie hoch?‘“ (Ex-Nationalspieler Stephan Baeck)

Julia Pickl