Wirklich Couching statt Coaching?
Trainer Jochen Niemann: Karriereende mit einem offenen Hintertürchen

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05.06.2023 | Stand 15.09.2023, 0:24 Uhr

Der stolze Opa mit seiner stolzen Enkelin: Jochen Niemann bekam bei seinem letzten Punktspiel als Cheftrainer des TSV Hilgertshausen noch ein besonderes Präsent überreicht. Foto: privat

Lena liebt ihren Opa. Aber was zu weit geht, geht zu weit. Und so schlug die junge Dame vor Kurzem schnell mal die Flucht ein – weil eine Horde schreiender Männer nichts Besseres zu tun hatte, als ihrem Großvater kühlen Gerstensaft über den Kopf zu kippen. Ja, Erwachsene können mitunter schon außerordentlich kindisch sein.

Beziehungsweise komisch, wenn sie sich über alle Maßen über etwas freuen. Und die Kicker des TSV Hilgertshausen hatten zuletzt einen guten Grund dazu, denn sie holten sich in der A-Klasse München I überlegen den Meistertitel 2022/23. Dabei der Vater des Erfolges: Cheftrainer Jochen Niemann aus Schrobenhausen. Oder, etwas anders ausgedrückt: Lenas Opa.

„Wollte eigentlich nur ein paar Monate aushelfen“

Ab sofort möchte der 65-Jährige wieder mehr Zeit für seine Familie haben – und damit auch für seine Enkelin. Sagt er. Bloß so recht glauben mag’s ihm niemand. Niemann ohne seinen geliebten Sport, ohne Traineramt? Schlichtweg nicht vorstellbar. „Nein, ich werde nicht mehr rückfällig“, versucht Niemann dem sofort dagegenzuhalten: „Irgendwann muss es auch ein ,Fußballdepperl’ wie ich einsehen, dass es gut ist.“

Der Zeitpunkt für seinen Abschied: nahezu ideal. Als Hilgertshausener Aufstiegsheld abtreten zu dürfen, besser hätte es nicht laufen können. Wobei der Schrobenhausener doch eigentlich schon im Sommer 2021 aufhören wollte. Bloß dann kamen eben die Grünweißen aus dem Norden des Landkreises Dachau, fanden die richtigen Worte – und Niemann sagte doch bei ihnen zu. „Ich wollte dort aber eigentlich nur ein paar Monate bis zur Winterpause 2021/22 aushelfen, um dem TSV etwas Zeit zu geben, damit er einen guten Nachfolger für mich findet“, erinnert er sich.

Das „Dumme“ für den 65-Jährigen war nur, dass es von Anfang an ganz hervorragend für ihn lief. Also dachten die Hilgertshausener nicht mal im Traum daran, ihn vorzeitig gehen zu lassen. Vielmehr offerierten sie Niemann einen neuen Vertrag, gültig auch für die Saison 2022/23 – und schon gerieten alle ursprünglichen Vorsätze des Schrobenhauseners wieder ins Wanken. „Was hätte ich denn machen sollen?“, fragt er jetzt lachend: „Aufgrund des Erfolgs hat es mich natürlich gejuckt, ein zweites Jahr in Hilgertshausen dranzuhängen.“

Spontan Aufstiegsprämie festschreiben lassen

Aber einfach schnell Ja sagen, das wollte Lenas Opa dann doch nicht. Und so stellte er nicht ganz ernst gemeint in Richtung der Vereinsoberen die Forderung, dass bitte schön eine Aufstiegsprämie mit in den neuen Kontrakt aufgenommen werde. „Die meisten von ihnen haben ob dieser Bitte zunächst einmal geschmunzelt, bevor sie ihr Okay gaben“, erinnert sich Niemann. Und jetzt muss der TSV eben zahlen. Beziehungsweise darf – als stolzer Meister der A-Klasse München I sowie Kreisklassenaufsteiger.

51 Punkte holte er seinen 22 Saisonpartien, lediglich drei hiervon wurden verloren – wobei die Hilgertshausener vor allem in Sachen Defensivarbeit neue Maßstäbe setzten (nur 13 Gegentreffer). So dauerte es auch nur bis zum drittletzten Spieltag, ehe die Grünweißen ihren Titelgewinn perfekt machten. Oder, etwas genauer ausgedrückt: Bereits am Abend des 14. Mai, nach ihrem 1:0-Erfolg beim TSV Allach 09 II, knallten bei ihnen die Korken. Beziehungsweise wurde Großpapa Jochen mit kühlem Bier übergossen.

Niemann mittendrin – das galt allerdings nicht für die Saisonabschlussfahrt der Hilgertshausener Mannschaft. „Ein Blick auf mein Alter sollte wohl genügen, weshalb ich auf den Trip mit den Jungs nach ,Malle’ verzichtete“, sagt der einstige Cheftrainer unter anderem des SV Steingriff, der DJK Brunnen, des FSV Pfaffenhofen und der SpVgg Steinkirchen mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Und jetzt habe ich endgültig fertig.“

Tierpark Hellabrunn statt Relegationsspiel

Wobei ihm das mit dem „endgültig“ halt niemand abnimmt. Wohl nicht einmal er selbst. Oder doch? „Natürlich heißt es immer so schön: ,Sag’ niemals nie’“, gibt Niemann lachend zu: „Aber wenn ich noch einmal schwach werden würde, könnte die Gefahr bestehen, dass sich meine Frau auf meine alten Tage doch noch von mir scheiden lässt.“

Andererseits wisse seine Gattin nur zu gut, „dass sie damals ein regelrechtes Fußballdepperl’ geheiratet hat“. Eines, das bei einem für ihn hundertprozentig passenden Angebot sehr wohl nochmals schwach werden könnte. Bis dahin allerdings genießt seine Familie absolute Priorität – mit Enkelin Lena als großer Liebling. So ging’s für Niemann am vergangenen Wochenende auch nicht auf irgendeinen Fußballplatz, um irgendein Relegationsspiel zu beobachten – sondern in den Tierpark Hellabrunn. „Wir zogen mit der Kamera umher, machten tolle Aufnahmen“, berichtet der stolze Opa: „Das war ein rundum perfekter Tag.“

SZ