Fussball, Personalstory
Im Datsun der Mama zum Zweitligadebüt

Erinnerungen an ein ganz besonderes Spiel in der ganz besonderen Karriere von Schiedsrichter Winfried Buchhart

18.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:44 Uhr

Beim Kontrollieren der Tornetze: Winfried Buchhart (r.) am 18. August 1990 zusammen mit seinen beiden Schiedsrichter-Assistenten im Mainzer Bruchwegstadion. Foto: R. Kaufmann (Archiv)

Von Roland Kaufmann

Mainz/Schrobenhausen – 1. FSV Mainz 05 gegen den SV Meppen: Das klingt nicht wirklich nach Fußball der Spitzenklasse. Aber exakt vor 32 Jahren, am 18. August 1990, war dieses Duell schon etwas ganz Besonderes. Denn hierbei wurde schlicht und ergreifend Schrobenhausener Sportgeschichte geschrieben. Ja, Schiedsrichter Winfried Buchhart leitete damals in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt seine allererste Partie in der 2. Bundesliga. Weitere 48 folgten, außerdem kamen noch 60 Einsätze im deutschen Fußball-Oberhaus dazu. Winni, wie er allerorts nur genannt wurde, ist dann zwar bereits im November 2020 verstorben. Aber die Erinnerungen an seine Erlebnisse leben weiter. Wie eben an seinen Premierenauftritt in Mainz.

Was hatte die 2. Bundesliga 1990/91 nicht alles für Hochkaräter zu bieten. Den FC Schalke 04 etwa. Oder den SC Freiburg, Rot-Weiß Essen, Hannover 96 – und so weiter, und so weiter. Winfried Buchhart hätte in dieser Klasse in so vielen Traditionsspielstätten debütieren können. Stattdessen wurde es das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus Trümmerschutt errichtete Mainzer Bruchwegstadion, das bei grauem Himmel sowie zeitweiligen Regenschauern an diesem 18. August 1990 noch trister wirkte als sowieso schon.

Porsche blieb in der heimischen Garage

Die spärliche Kulisse – nur rund 4500 Zuschauer verloren sich auf den Tribünen – tat ihr Übriges dazu, dass dieser Kick selbst in den ausgeklügeltsten Fußball-Almanachen 1990 allerhöchstens eine Randnotiz darstellt. Was soll’s? Gerade für Buchhart waren diese 90 Minuten das Ende einer Reise. Einer weiten Reise – begonnen bereits in seiner Kindheit. Zu den Besten der Besten im deutschen Schiedsrichterwesen zu gehören, in einer der beiden Bundesligen Spiele leiten zu dürfen: Das war immer Winnis großer Traum. Und was hatte er dafür nicht alles auf sich genommen. Das alles für ein Debüt mit dem 1. FSV Mainz 05. Beziehungsweise mit dem SV Meppen.

Bereits die Anreise von der Paar an den Rhein: absolut Buchhart-like. So blieb damals sein schwarzer Porsche, obwohl von ihm heiß und innig geliebt, daheim in der Garage. Stattdessen kam Mamas guter alter Datsun zum Einsatz. Denn Winni stellte nicht mal annährend jenen „Poser“ dar, für den ihn manche Zeitgenossen immer wieder fälschlicherweise hielten. Er war vielmehr im Grunde seines Herzens bescheiden – in manchen Situationen sogar schüchtern. Mit einem Sportwagen schnell einmal bei seinem Zweitliga-Debüt vorzufahren? Folgerichtig ein absolutes „No- Go“ für ihn. Stattdessen stand halt seine Mutter für ein Wochenende ohne eigenes Auto da.

Samstag Spiel, also ging es am Freitag los. Zunächst mal nur nach Langenbruck – denn dort wartete mit Hermann Matschi einer der beiden Schiedsrichter-Assistenten für das Duell in Mainz. Ein gestandener Mann mit Vollbart vom Tegernsee, ein reichlich selbstbewusster Zeitgenosse – den musste man erst einmal verkraften... Buchhart tat’s im Stile eines echten Profis. Sprach davon, dass es „ein gutes Gefühl“ für ihn sei. „einen solch erfahrenen Mann an der Linie zu haben“. Matschi gefiel’s – und Winni machte sich mit den Worten selbst ein bisschen Mut.

Die Atmosphäre anschließend im alten Datsun: erfreulich entspannt. Und das Ganze übrigens nahezu „für lau“ – denn für jeden „Tag der Abwesenheit“ von Zuhause erhielt ein Zweitliga-Referee damals nur 72 Mark (umgerechnet 36,81 Euro). Nun gut: Außerdem gab’s vom DFB noch rund 3000 Mark (1533,88 Euro) an Trainingsgeld im Jahr, Fahrt- und Übernachtungskosten wurden zudem ersetzt – aber des Geldes wegen lohnte sich der Aufwand in jener Zeit trotzdem nicht. Ganz im Gegensatz zu jetzt, denn mittlerweile erhält ein Zweitliga-Referee 40000 Euro per annum und zusätzlich 2500 Euro pro gepfiffenem Spiel.

Anstecknadeln und Wimpel als Erinnerungsgeschenke

Es hat sich eben auch im deutschen Schiedsrichterwesen viel verändert. Das Gespann um Buchhart war damals, vor exakt 32 Jahren, schon froh und glücklich darüber, dass es nach dem Spiel Anstecknadeln sowie Wimpel der beteiligen Vereine als Erinnerungsgeschenke gab. Mittlerweile sind solche Präsente, um ja nicht in einen Bestechungsverdacht zu geraten, auf Profi-Ebene verboten. Ebenfalls bereits längst anders in schwarz-rot-goldenen Bundesligastadien: Im Gegensatz zu den 90er Jahren machen sich der Referee und seine beiden Assistenten inzwischen vor den Partien auf dem grünen Rasen warm. Im Bruchwegstadion anno 1992 war Buchhart gemeinsam mit Matschi sowie seinem zweiten Linienrichter (Winfried Johne aus dem oberfränkischen Rugendorf) nur kurz im Vorfeld des Spiels im Innenraum zu sehen gewesen – nämlich bei der Platzbegehung sowie dem Kontrollieren der beiden Tornetze. Anschließend ging’s brav in die Kabine – die erst um 15.24 Uhr, also sechs Minuten vor dem Anpfiff, wieder verlassen wurde. Wie sich die Unparteiischen damals auf Betriebstemperatur brachten? Eine gute Frage, die Buchhart gerne nur mit einem Lächeln im Gesicht beantwortete. Der Lauffreudigste war er schließlich nie.

Aber blicken wir auch noch kurz auf die Stunden vor seinem Premierenmatch in der 2. Bundesliga: ein üppiges Frühstück, ein kurzer Innenstadtrundgang gemeinsam mit dem Mainzer Schiedsrichterbetreuer – das war’s bereits. „Zwei Stunden Entspannung vor dem Spiel müssen sein“, so ein festes Ritual des Schrobenhauseners. Für ihn persönlich bedeutete das damals in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt: sich bei Unterhaltungsmusik aus dem Fernsehgerät nochmals aufs Ohr zu legen.

Und trotzdem gähnte er danach. Immer wieder, unübersehbar. „Es ist zwar komisch, aber wenn ich nervös werde, tue ich genau das“, verriet Winni den staunenden Zeitgenossen sofort. Erstmals für ein Zweitligamatch verantwortlich zu sein, das hinterließ eben doch Spuren bei ihm.

Gelbe Karte für einen gewissen Jürgen Klopp

Jetzt aber endgültig hinein in die Partie an sich. Exakt 27 Sekunden dauerte es nach dem Anstoß, bis Buchhart erstmals ein Foul ahnden musste. Und auch in der Folgezeit gaben es sich die beiden Teams so richtig – mit einem rigoros auftretenden Referee aus dem Herzen Bayerns mittendrin, der alle Härten konsequent mit Gelben Karten bestrafte. Eine hiervon zeigte er übrigens auch dem kantigen Mainzer Innenverteidiger, der sich irgendwie überhaupt nicht zurückhalten konnte. Der gute Mann war übrigens Jürgen Klopp. Ja, genau der.

Nur der Vollständigkeit halber: Der 1. FSV Mainz 05 schlug am Ende den SV Meppen aus dem Emsland mit 2:1 (0:0) – und Buchhart bekam von den Verantwortlichen der beiden Klubs durchaus lobende Worte für seine Spielleitung. Lediglich der eingeteilte Schiedsrichterbeobachter des DFB sah’s ein bisschen anders, wie Winni danach immer wieder gerne erzählte: „Von ihm bekam ich so schlechte Noten, dass ich eigentlich schon nach meinem ersten Zweitligaspiel sofort wieder abgestiegen war.“

Aber Buchhart gab nie auf, kam immer zurück – eben mit der Folge, dass er es auf 48 weitere Zweitligapartien brachte. Sowie 60 Erstligamatches. Von seiner späteren Karriere als DFB-Schiedsrichtermanager ganz zu schweigen. Der Schrobenhausener machte also seinen Weg, machte mit seinen Tätigkeiten im Unparteiischenwesen auch mächtig Werbung für Schrobenhausen. Umso trauriger ist es, dass er gerade einmal 62 Jahre alt wurde.

SZ