Karriereende?
Caiuby: „Ich wollte auch ein normales Leben“

Ex-Ingolstädter erzählt seine Geschichte als Fußball-Profi

12.01.2022 | Stand 23.09.2023, 10:05 Uhr

Caiuby liebt Sport über alles. Fußball sowieso, aber auch Volleyball und Karate. In der Jugend war der 33-jährige Brasilianer sogar Südamerikameister in diesem Kampfsport und wäre vielleicht sogar dabei geblieben, wenn man ebenso damit Geld hätte verdienen können wie mit Fußball. Nur eines mag Caiuby nicht: Radfahren. „Ich habe beim FC Ingolstadt wegen eines verspäteten Flugs einmal ein Training verpasst. Dann hat mich Trainer Marco Kurz suspendiert und mich zum Radfahren geschickt. Ich habe mich ohne Handy total verfahren und fand erst nach vier Stunden wieder zurück. Danach wollte ich nie wieder auf ein Rad“, sagt Caiuby und lacht selbst herzlich über diese Episode. Es ist eine von vielen in seinem Leben.

Caiuby erzählt gerne davon. Fußball ist sein Leben. Jedenfalls die meiste Zeit davon. Aber allmählich beschleicht den geschmeidigen Stürmer, der beim VfL Wolfsburg, FC Ingolstadt und FC Augsburg in Deutschland seinen Weg gemacht hat, das Gefühl, dass sich seine Karriere dem Ende zuneigt. Vor acht Monaten wurde sein Vertrag bei den Schanzern nicht verlängert, seither ist er auf Vereinssuche.

Caiuby wohnt nach wie vor in Ingolstadt, im Hotel Domizil. Sein Lachen hat er nicht verloren, doch wirkt der so lebensfrohe Brasilianer ernsthafter. Er grübelt über das Leben nach dem Fußball. „Der Plan war, und er ist es immer noch, dass ich noch zwei Jahre Fußball spiele“, sagt der langjährige Stürmer, den Trainer Tomas Oral zuletzt beim FCI zum Mittelfeldspieler umgeschult hat. „Leider kam dann der Umbruch beim FCI. Ich hätte gerne hier weitergespielt, und Tommy hat mit mir schon darüber gesprochen, ob ich später sein Co-Trainer werde“, erzählt Caiuby, der nach seinem Comeback bei den Schanzern noch 19 Drittliga-Spiele (ein Tor) bestritt.

Oral, der ihn zweimal bei den Schanzern unter seinen Fittichen hatte und ihm im Januar 2021 nach 21 Monaten Spielpause zum Comeback verhalf, meint: „,Caiu’ ist ein dynamischer Typ. Er hat seine körperlichen Defizite schnell aufgeholt und war topfit. Ich wäre mit ihm guter Hoffnung in die Zweite Liga gegangen.“

Dieses Vorhaben ist Geschichte. Wenn Caiubys Berater Efraim Linck, der ihn einst nach Deutschland brachte, nichts mehr für ihn auftut, könnte es das gewesen sein. Mit Anfragen regionaler Amateurklubs, die wie der SV Hundszell mit Ex-FCI-Kapitän Marvin Matip oder der FC Gerolfing künftig mit dem früheren Nationalspieler Christian Träsch prominente Ex-Profis für sich gewinnen konnten, will sich Caiuby noch nicht beschäftigen. „Ich bin noch nicht so weit“, sagt Caiuby, der jedoch seine Karriere reflektiert und sich auch den Brüchen stellt. Glanz und Glamour gehören zu ihm genauso wie Selbstzweifel und Sturheit.

Mehr zufällig als gewollt, landet Caiuby Francisco da Silva, wie er mit vollem Namen heißt, in Deutschland. „Ich wollte nie nach Deutschland, viel lieber Italien oder Spanien, aus diesen Ländern sahen wir die Spiele im Fernsehen“, sagt Caiuby, dem dann ein gescheiterter Transfer die Tür zum VfL Wolfsburg öffnete. „Felix Magath wollte eigentlich einen anderen Spieler, aber dann schlug mein Berater mich vor. Ich rief Grafite und Josué an, die damals in Wolfsburg spielten, und die sagten mir: Pack deine Sachen und komm. Das ist deine Chance.“

Mit 19 verließ der älteste Spross von Maria da Conceicao und Milton da Silva die Heimat, ließ seine fünfköpfige Familie mit den beiden jüngeren Schwestern Arielle und Anichelle sowie den 15000-Einwohner-Ort Boa Esperança im Bundesstaat São Paulo hinter sich. Nach 13 Jahren Ausbildung in Fußballinternaten, in denen er mit den späteren Premier-League-Profis Oscar (FC Chelsea) und Lucas (Tottenham) aufwuchs, schaffte er nach einigen Profistationen in Brasilien den Sprung nach Europa. Und landete im Meisterteam von Felix Magath. Gleich in seinem ersten Einsatz „auf Schalke“ (2:2) glückte ihm kurz nach seiner Einwechslung das Führungstor zum 2:1, acht Minuten später musste er aus taktischen Gründen wieder vom Platz. Am Ende standen neun Einsätze zu Buche und der Titel. „Das war schon cool, ich habe da viel erlebt. Und Magath war das Beste, was mir passieren konnte. Ich habe da so hart trainiert wie nie wieder in meiner Karriere. Danach war alles ein Kinderspiel“, sagt Caiuby.

Aber so leicht fällt ihm der permanente Fokus auf den Fußball dann doch nicht. Durchaus räumt er einen gewissen Hang zur „Gemütlichkeit“ ein, wie es der spracheninteressierte Caiuby in hervorragendem Deutsch ausdrückt – und weiß daher grundsätzlich auch die führende Hand eines Trainers zu schätzen. Über den MSV Duisburg mit Peter Neururer („Wir hatten ein tolles Team. Ich verstehe heute noch nicht, wie wir nicht aufsteigen konnten“) und den FC Ingolstadt (2011 bis 2014) kehrt der schnelle und kopfballstarke Stürmer beim FC Augsburg aber erst fünf Jahre später in die Bundesliga zurück.

„Meine erfolgreichste, aber auch schwierigste Zeit“, sagt Caiuby. Neben 100 Bundesliga-Spielen (11 Tore) für die Schwaben musste er eine Saison wegen eines Knorpelschadens im Knie pausieren („Damals ging es mir wirklich schlecht, und ich wollte schon aufhören“), leistete sich mehrfach unerlaubt längere Urlaube, weil es innerhalb der Familie Probleme gab oder er seinen Abschied vom FCA provozieren wollte, wurde suspendiert und musste schließlich seinen bis 2020 datierten Vertrag vorzeitig auflösen. Zudem kämpft er bis heute gegen eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nach einem Nachtklubbesuch – er beteuert weiter seine Unschuld. Der Ruf vom Skandalprofi manifestierte sich – der Preis für den einstigen Publikumsliebling war hoch. „Ich habe Fehler gemacht, die meiner Karriere geschadet haben“, sagt er und weiß um seinen emotionalen Zwiespalt. „Fußball-Profi zu sein ist ein Traum, ein privilegierter Beruf. Aber ich wollte auch ein normales Leben führen.“

Ein schmaler Grad für einen Profi. Dabei war es leicht, ihn zu begeistern. „Ralph Hasenhüttl hat zu mir gesagt, er will mich auf dem Platz sehen. Und wenn es sonst ein Problem gibt, soll ich ihn anrufen. Damit hat er mich sofort gewonnen“, erinnert er sich an seine erste Zeit beim FCI, in der er am produktivsten war. Bei Oral kam er in der Saison 2012/13 auf 10 Tore und 4 Vorlagen. Bundesligisten lockten ihn wieder, aber der damalige FCI-Sportdirektor Thomas Linke überredete Caiuby, noch ein Jahr zu bleiben. Manche konnten mit dem Brasilianer, der überall auch gut bei den Fans ankam und Publikumsliebling war, durchaus umgehen.

Caiuby weiß, dass er es sich manchmal selbst unnötig schwergemacht hat. Der Profi-Fußball, an den er durch seinen Patenonkel und Mentor Joao Victor herangeführt wurde, hat ihm vieles ermöglicht. Aber jetzt rückt das „normale“ Leben näher – mit allen Konsequenzen. Am Montag flog er für einige Tage nach Madrid, sein Sohn Caiuby junior feierte seinen achten Geburtstag und lebt dort mit seiner Mama. Dann gibt es noch den zweijährigen Sohn Derek in São Paulo. Und schließlich überlegt Caiuby, ob er nicht doch schon die Karriere beenden, in Ingolstadt bleiben und in das Unternehmen seiner Freundin einsteigen soll, die in der Fitnessbranche (Indoor-Cycling) arbeitet. Dann allerdings müsste er vielleicht doch noch am Radfahren Spaß finden und dabei nicht mehr an Marco Kurz denken.

DK