Job-Entscheidung
Landtierärztin: Keine Angst vor großen Tieren

16.03.2023 | Stand 16.03.2023, 14:51 Uhr

Viel Handwerk - Zu dem Beruf gehört auch viel Handwerk. «Die praktischen Elemente der Arbeit am Tier kommen im Studium aber viel zu kurz», kritisiert Tierärztin Lisanne Tesch. - Foto: Patrick Pleul/dpa

Eine junge Veterinärmedizinerin aus Bernau behandelt nicht nur Hunde und Katzen. Ihre Leidenschaft gilt Rindern, Schafen und Ziegen. Sie hat sich bewusst für eine Tätigkeit als klassische Landtierärztin entschieden.

Die gut acht Wochen alten Kälbchen springen in ihrem Gatter auf dem Gelände der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal in Bernau aufgeregt herum - möglichst weit weg von der jungen Frau in langer Schürze und Gummistiefeln, die gerade zu ihnen gekommen ist.

«Die wissen, wenn ich da bin, passiert nichts Gutes», lacht Lisanne Tesch, die ihr langes Haar zum Pferdeschwanz gebunden hat und das Stethoskop griffbereit um den Hals trägt. Impfungen gegen Grippe und Flechte hat die Nachwuchs-Tierärztin den Jungrindern bereits verabreicht, den Nabel auf Entzündungen kontrolliert und ihnen auch schon mal ins Maul geschaut.

Spannender als die Kälbchenkontrolle sind für die 27-Jährige aus Bernau im Kuhstall akute Notfälle wie schwere Geburten oder eine gefährliche Labmagenverlagerung. «Ich muss den Labmagen zurück an seinen Platz drehen.

Für die Behandlung von Nutztieren entschieden

Operationen unter Stallbedingungen sind schon eine Herausforderung, auch körperlich», erzählt Tesch, die sich nach dem Veterinärmedizinstudium an der Freien Universität Berlin bewusst für die Behandlung von Nutztieren entschieden hat. Auch wenn das bedeutet, gerade in Notfällen bei Wind und Wetter sowie zu jeder Tages- und Nachtzeit zu ihren Patienten zu eilen.

Tesch ist in Kreisen des Veterinärmediziner-Nachwuchses wohl eine große Ausnahme. «Klassische Landtierärzte, die Nutztiere behandeln, werden immer weniger, da die alten in Rente gehen, und junge kaum nachkommen», bestätigt Andrea Schulze, Geschäftsführerin des Brandenburger Landestierärzteverbandes. Von den 533 Praxen im Land werden in insgesamt 258 ausschließlich Kleintiere wie Hund, Katze, Meerschwein oder Wellensittich behandelt.

Es gibt nur 39 explizite Großtierpraxen, dazu 37 auf Pferde spezialisierte Tierärzte und 177 sogenannte Gemischtpraxen. Das Problem dabei: 90 Prozent der Veterinärmedizin-Absolventen in Deutschland sind nach Angaben von Schulze weiblich. «Und gerade Frauen scheuen sich vor der Behandlung von großen Tieren», stellt sie dar. Viele von ihnen gingen gar nicht erst in die Praxis, sondern in Forschung und Wissenschaft.

Ein Knochenjob, rund um die Uhr und mit weniger Verdienst

«Die Behandlung von Kuh oder Pferd ist in der Tat ein Knochenjob, körperlich schwer, rund um die Uhr, der Verdienst weitaus geringer als bei der Behandlung von Kleintieren», fasst der Brandenburger Landestierarzt Stephan Nickisch zusammen. «Das hält kaum einer lange durch, schon gar keine Frau.» Tesch sieht das allerdings etwas anders. «Wenn die Kraft fehlt, gibt es Hilfsmittel, spezielle Gerätschaften.

Und ich spanne den Tierbesitzer mit ein», sagt die Nachwuchs-Veterinärmedizinerin, die bei der komplizierten Geburt eines Kalbes schon mal einen Mini-Gabelstapler zweckentfremdet. Dem Klischee, Frauen könnten keine großen Tiere behandeln, will die 27-Jährige bewusst entgegentreten.

Viele Veterinärmedizin-Studentinnen hätten eine idealisierte Vorstellung von dem Beruf - das führe in der Praxis zu Enttäuschungen, sagt Landestierarzt Nickisch. Das kann auch Tesch bestätigen. Ihrer Ansicht nach gehört das Studium überarbeitet, schon was die Zulassungsbeschränkung auf den Numerus Clausus betrifft. «Ein Durchschnitt von 1,0 im Abitur macht Dich nicht zu einem guten Studenten.

Zu dem Beruf gehört auch viel Handwerk. «Die praktischen Elemente der Arbeit am Tier kommen im Studium aber viel zu kurz», kritisiert die Bernauerin, die nach ihrem Abschluss Erfahrungen in Afrika, der Mongolei und der Schweiz sammelte.

Beide Eltern waren Tierärzte, Tochter Lisanne wuchs damit auf, wollte unbedingt Veterinärmedizinerin werden. Die 27-Jährige hat gemeinsam mit einer Kollegin Anfang 2023 die Kleintierpraxis ihrer Mutter in Bernau übernommen. Nutztiere behandelt sie allerdings bereits seit Herbst 2021. «Ich bin gern draußen, mag körperlich schwere Arbeit», begründet sie diese Entscheidung.

Viele sehen Vierbeiner als Familienmitglieder

Zudem seien Tierbesitzer in der Landwirtschaft bodenständig und weniger anstrengend als Hunde- oder Katzenhalter, die ihre Vierbeiner häufig als wichtige Familienmitglieder oder auch Partnerersatz ansehen würden. Selbst wenn medizinische Grenzen erreicht seien, würden manche alles dafür tun, das Leben ihrer geliebten Tiere zu verlängern, merkt Tesch kritisch an. Sie selbst hat Hund, Katze, Pferd und Kuh - alles gesundheitlich beeinträchtige Problemfälle, die andere nicht mehr haben wollten.

«Für den Bauern sind seine Tiere in erster Linie Kapital, bei dem die Kosten- und Nutzen-Relation stimmen muss. Wenn eine Behandlung nicht mehr sinnvoll ist, entscheidet er sich dagegen», macht die 27-Jährige deutlich, die auch aktive Jägerin ist. Die Behandlung von Pferden überlässt sie Spezialpraxen.

Schafe, Kühe, Ziegen und ab März dieses Jahres auch Schweine betreut sie in einem Umkreis von 35 Kilometern. «Landwirte merken schnell, ob man Erfahrungen hat. Das beginnt schon damit, wie der Tierarzt an den jeweiligen Patienten herantritt», so ihre Erfahrungen.

Tobias Böttcher, Leiter Landwirtschaft bei der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, ist froh, Tesch gefunden zu haben, nachdem der alte Tierarzt in den Ruhestand ging. «Sie hat keine Scheu, behandelt unsere Kühe gewissenhaft und professionell», lobt der Barnimer, der für 150 Jungrinder und 70 Milchkühe verantwortlich ist. Die junge Tierärztin bringe frischen Wind in den Stall, auch mit neuen Behandlungsmethoden, statt «Schema F». «Und der Erfolg gibt ihr Recht.»

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